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       # taz.de -- Regierungsbildung in Hamburg-Harburg: Nonstop Nonsense
       
       > In Hamburg-Harburg soll eine neue Bezirksamtsleitung gewählt werden.
       > Abtrünnige SPDler und ein belauschtes Gespräch beim Friseur erschweren
       > das stark.
       
   IMG Bild: Ein Bild aus weniger peinlichen Zeiten: Klaus Thorwarth (links) spricht 2014 mit Ole Thorben Buschhüter beim PUA Elbphilharmonie
       
       Hamburg taz | Der eher unscheinbare Hamburger Bezirk Harburg tauchte in den
       vergangenen Wochen erstaunlich oft in den Medien auf. Seit der Bezirkswahl
       im Juni geht es hier drunter und drüber. Größtes Streitthema ist die
       Besetzung der Bezirksamtsleitung.
       
       Vor sechs Jahren hatte eben diese Frage die damalige Koalition von CDU und
       SPD gesprengt. Während die CDU damals den ehemaligen SPDler Klaus Thorwarth
       vorschlug, wollte die SPD die parteilose Sophie Fredenhagen an der Spitze
       sehen. Die SPD kündigte schließlich die Koalition auf, wählte Fredenhagen
       gemeinsam mit den Stimmen von Grünen und Linken ins Amt und regierte fortan
       mit den Grünen.
       
       Seit der [1][Wahl im Juni] hat Rot-Grün nun keine Mehrheit mehr. Den Sommer
       über fanden wieder Sondierungsgespräche zwischen CDU und SPD statt. „Die
       Gespräche mit der SPD liefen konstruktiv ab, und wir hatten viele
       Schnittmengen. Ich hatte das Gefühl, dass es eine große
       Kompromissbereitschaft gab“, sagt dazu der CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer
       Bliefernicht.
       
       Wäre da nicht der Elefant im Raum: die Personalie Fredenhagen. Die SPD will
       sie unbedingt, die CDU auf keinen Fall. Bliefernicht brachte nun wieder
       Thorwarth ins Spiel, der zuletzt bei allen Parteien hausieren ging, um für
       sich als Bezirksamtsleiter zu werben. „Klaus Thorwarth ist kein offizieller
       Kandidat der CDU, weder von Partei noch von Fraktion“, betont der
       CDU-Kreisvorsitzende André Trepoll auf taz-Nachfrage. Dennoch arrangierte
       der CDU-Fraktionsvorsitzende Bliefernicht die Treffen von Thorwarth mit den
       anderen Parteien.
       
       Nur mit einem Treffen hatte Bliefernicht nichts zu tun: Thorwarth entschied
       im Alleingang, auch mit der [2][AfD] ein Bier trinken zu gehen. Vergangene
       Woche dann der Eklat: Beim Friseur erzählte Thorwarth freimütig von seinen
       vertraulichen Gesprächen mit den anderen Parteien. Über die AfD sagte er,
       dass er sie als Bezirksamtsleiter genauso wie alle anderen Fraktionen
       behandeln wolle – sie würde ja, käme sie an die Macht, „nicht gleich den
       Reichstag abfackeln“.
       
       Was Thorwarth nicht wusste: Zufällig saß auch Claudia Loss beim Friseur,
       die am Wochenende zur Kreisvorsitzenden der SPD in Harburg gewählt wurde.
       „Anfangs war ich schon irritiert, wie er da aus vertraulichen Gesprächen
       mit anderen Fraktionen berichtete“, sagt Loss der taz. „Als er dann auch
       noch die AfD verharmloste, musste ich ihn zur Rede stellen. Also bin ich zu
       ihm gegangen und habe ihn konfrontiert.“ Thorwarth ist für die taz nicht zu
       erreichen, um sich zu dem Vorfall zu äußern.
       
       Sowohl Bliefernicht als auch der CDU-Kreisvorsitzende Trepoll betonen, es
       käme nicht infrage, dass Thorwarth bei einer Bezirksamtsleiterwahl auf die
       Stimmen der AfD angewiesen wäre. „Deren Stimmen zählen wir natürlich nicht.
       Wir wollen eine demokratische Mehrheit“, sagt Bliefernicht der taz.
       
       Für Claudia Loss ist nach dem Vorfall beim Friseur klar: Thorwarth darf auf
       keinen Fall Bezirksamtsleiter werden. Damit ist sie nicht allein. „Das
       Gespräch mit Herrn Thorwarth war im Wesentlichen ein Vortrag von ihm über
       sich selbst“, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Bianca Blomenkamp. „Er
       hat uns Frauen weitestgehend ignoriert. Für uns steht nicht nur deshalb
       fest, dass wir ihn auf keinen Fall als Bezirksamtsleiter wählen werden.“
       
       Auch die Linke war nicht überzeugt von Thorwarths Vorstellung. „Wir würden
       ihn definitiv nicht wählen“, sagt Linken-Fraktionsvorsitzender Jörn
       Lohmann.
       
       Nun kommt es in Harburg voraussichtlich zu einer Koalition, die es in
       Hamburg bisher noch nie gegeben hat: Am Wochenende beschloss die Harburger
       SPD, in Rot-Rot-Grüne Koalitionsverhandlungen treten zu wollen. Auch
       Vertreter von Grünen und Linken sagen der taz, dass sie dafür bereitstehen.
       Die Linke wird dies am 11. September bekanntgeben, die Grünen werden am
       Samstag darüber abstimmen, wobei es sich nur noch um eine Formalie handeln
       dürfte. Es wäre das erste Mal, dass die Linke in Hamburg in
       Regierungsverantwortung kommt.
       
       Für die Koalition gibt es aber noch ein großes Hindernis: Zwei Abgeordneten
       der SPD-Fraktion in Harburg wird vorgeworfen, sich an der [3][Zerstörung
       von Wahlplakaten ihrer eigenen Vize-Fraktionsvorsitzenden beteiligt zu
       haben]. Gegen sie und weitere Parteimitglieder laufen strafrechtliche
       Ermittlungen. Obwohl die Unschuldsvermutung gilt, sprach die SPD ein
       Betätigungsverbot für die beiden Abgeordneten innerhalb der Partei aus. Sie
       gelten als aussichtsreiche Kandidaten für die Wahl zur Hamburgischen
       Bürgerschaft im kommenden Jahr, dürfen nun aber nicht antreten.
       
       „Unabhängig davon, dass natürlich die Unschuldsvermutung gilt, ist es die
       Aufgabe des Landesvorstands, Schaden von der Partei fern zu halten.
       Insofern halte ich das Vorgehen für vertretbar“, sagt Loss. Die Betroffenen
       weisen die Vorwürfe zurück. Bis Redaktionsschluss hat der Anwalt der Beiden
       auf Nachfrage der taz keine Stellungnahme abgegeben.
       
       Drei weitere Abgeordnete sind ebenfalls nicht zufrieden mit der
       Fraktionsspitze und boykottierten am Wochenende die
       Kreismitgliederversammlung. Damit ist ein Drittel der Harburger
       SPD-Fraktion nicht auf Linie.
       
       ## Der lachende Dritte
       
       „Die SPD muss ihre internen Streitigkeiten in den Griff kriegen, ansonsten
       kann es keine Koalition geben“, sagt der Linke Lohmann. Tatsächlich würde
       nur eine Rot-Rot-Grün-Koalition 27 Abgeordnete stellen, 26 braucht es für
       die Mehrheit.
       
       Der lachende Dritte ist derzeit CDU-Mann Rainer Bliefernicht. „Ich sehe
       nicht, wie die SPD diese Abgeordneten wieder einfangen will. Insbesondere
       nicht die beiden, gegen die sie sogar Strafverfahren eingeleitet hat“, sagt
       er der taz. „Die Unzufriedenheit von bis zu fünf Abgeordneten in der SPD
       ist so groß, dass keine Mehrheit für eine weitere Amtszeit von Frau
       Fredenhagen gewährleistet ist.“
       
       In dieser Rechnung tauchen noch nicht die drei Abgeordneten von Volt auf,
       die eine solche [4][Mehrheit sichern könnten]. Deren Fraktionsvorsitzende
       Isabel Wiest sagt der taz, dass sie Fredenhagen grundsätzlich für eine
       geeignete Kandidatin hält. Allerdings möchte Volt – wie auch die CDU – die
       Nachfolge der Bezirksamtsleitung am liebsten über eine öffentliche
       Ausschreibung klären, weshalb ihre Stimmen für Fredenhagen mindestens
       unsicher sind.
       
       Wenn es zur Ausschreibung kommt, ist mit einem Bewerber ganz sicher zu
       rechnen: Klaus Thorwarth.
       
       11 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Marta Ahmedov
       
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