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       # taz.de -- Regierungsbildung in der Sackgasse: Auf Lecornu folgt… Lecornu
       
       > Am Freitagabend nominierte der französische Staatspräsident Emmanuel
       > Macron zum zweiten Mal Sébastien Lecornu als Premierminister, Empörung
       > inklusive.
       
   IMG Bild: Sébastien Lecornu: wohl von Macron überredet oder genötigt
       
       Paris taz | Der Nachfolger von [1][Premierminister Sébastien Lecornu, der
       am letzten Montag nach einer verpatzten Regierungsbildung zurückgetreten
       war,] heißt Sébastien Lecornu. Präsident Macron hatte versprochen, bis
       Freitag einen „neuen“ Regierungschef zu ernennen. Die Stunden verstrichen,
       und dann kam die Meldung, die in Frankreich viele perplex lässt. Einige
       glaubten gar, das müsse wohl ein schlechter Scherz sein. Lecornu hatte
       nämlich kurz zuvor gesagt, er habe seine „Mission“ beendet und wolle diesen
       „Job“ des Premierministers nicht mehr. Und sein Rücktritt war das
       Eingeständnis seines Scheiterns.
       
       Nun scheint ihn [2][Macron] trotzdem dazu überredet oder genötigt zu haben,
       erneut den Versuch einer Regierungsbildung zu wagen. „Aus
       Pflichtbewusstsein“ nehme er den Auftrag an, dem Land vor Ende des Jahres
       einen Staatshaushalt (für 2026) zu geben, sagte Lecornu.
       
       Die zum Teil sehr vehement negativen Reaktionen auf seine Nominierung
       lassen indes vermuten, dass dies für ihn ein fast schier unmögliches
       Unterfangen sein wird. Die Ausgangslage ist noch wesentlich ungünstiger als
       bei seinem ersten Anlauf. Die Sozialisten erklärten, es gebe keinerlei
       „Absprache“ mit Macron oder Lecornu, die Grünen kündigten an, sie würden
       sogleich einen Misstrauensantrag einreichen. Damit drohen auch schon die
       Rechtspopulisten des Rassemblement national (RN) sowie die Linkspartei La
       France insoumise und die Kommunisten.
       
       Lecornus Unternehmen mutet umso riskanter an, da die bisherige
       Regierungskoalition aus Macronisten und Konservativen auseinanderbricht.
       Ex-Innenminister Bruno Retailleau hatte erklärt, der „Gemeinsame Sockel“
       sei für ihn „tot“. Mit ihm will ein Teil der Konservativen der Partei Les
       Républicains nicht mehr mit den Macronisten regieren.
       
       Und selbst bei diesen regt sich Widerstand. Macrons früherer
       Premierminister Edouard Philippe erklärte am Freitag, seine Partei Horizons
       wolle sich nicht mehr an der nächsten Regierung beteiligen. Selbst aus
       Macrons Partei Renaissance klangen die Glückwünsche zu Lecornus Ernennung
       seltsam trocken.
       
       ## Regierung könnte durch ein Misstrauensvotum erneut gestürzt werden
       
       Noch im Verlauf des Wochenendes soll er seine neue Regierung
       zusammensetzen, damit diese gerade noch fristgemäß am Montag dem Parlament
       ein Entwurf für den Staatshaushalt vorlegen kann. Dabei zeichnet sich ab,
       dass die nächste Regierung zur Verabschiedung in Ermangelung einer Mehrheit
       zum verpönten Verfassungsartikel 49.3 greifen muss, der es ihr ermöglicht,
       die Vorlage ohne Votum für angenommen zu erklären. Das wiederum dürfte fast
       unweigerlich zur Folge haben, dass die Regierung durch ein Misstrauensvotum
       erneut gestürzt wird. Präsident Macron scheint der Meinung zu sein, dass
       dies dennoch die einzige Lösung sei.
       
       Am Nachmittag hatte Präsident Macron die Parteispitzen und Fraktionschefs
       in den Elysée-Palast bestellt. Er wollte einen minimalen Konsens für einen
       Ausweg aus der politischen Krise finden. Namentlich die Sozialisten, Grünen
       und Kommunisten hatten gehofft, dass der Präsident ihnen zudem ankündigen
       werde, einen aus den Reihen der linken Wahlallianz „Neuen Volksfront“ als
       nächsten Premierminister mit der Regierungsbildung zu beauftragen.
       
       Dies forderte die politische Linke vergeblich, wie auch schon im Juni 2024
       die NFP (zu der auch die Jean-Luc Mélenchons Linkspartei La France
       insoumise gehört). Nach zweieinhalbstündigen Diskussionen hinter
       verschlossenen Türen wurde schnell deutlich, dass dies nur ein Wunschtraum
       der Sozialisten und Grünen war – und dass Macron zu keinem Zeitpunkt in
       Erwägung gezogen hatte, einen linken Premierminister zu nominieren.
       
       Für die Argumente, Warnungen und Forderungen der Opposition und aus seinem
       eigenen Umfeld schien Macron keinerlei Verständnis zu haben. Er sagte, er
       habe konstatiert, dass die Mehrheit der Anwesenden gegen eine Auflösung der
       Nationalversammlung und Neuwahlen seien; zweitens stelle er fest, dass der
       „Gemeinsame Sockel“ der Regierungskoalition aus Macronisten und
       Konservativen samt der „Stabilitätsplattform“ als politische Basis
       weiterhin bestehe. Es wurde klar, dass der Präsident zu keinem Kurswechsel
       und keiner Änderung seiner vorgefassten Meinung bereit war.
       
       „Wir kommen sprachlos und erschüttert aus diesem Treffen. Wir haben auf
       keine unserer Fragen eine Antwort erhalten, sondern lediglich erfahren,
       dass der nächste von Macron ernannte Premierminister nicht aus unserem
       Lager kommt“, sagte sichtlich aufgebracht die Grüne Marine Tondelier. Wenn
       aber der Präsident wieder einen rechten Regierungschef nominiere und
       keinerlei Konzessionen mache, werde das alles „sehr übel enden“. Letztlich
       gehe wegen Macrons Sturheit nur Zeit verloren. Ähnlich wie die Tondelier
       äußerte sich auch der Parteichef der Kommunisten, Fabien Roussel, mehr
       verärgert als enttäuscht über den ergebnislosen Verlauf der Diskussion im
       Elysée.
       
       Nicht anwesend an diesem Rendezvous mit dem Präsidenten, das in den Medien
       als „Treffen der letzten Chance“ für einen Kompromiss mit einem Teil der
       Linken bezeichnet wurde, war La France insoumise (LFI). Auch [3][das
       rechtspopulistische Rassemblement national (RN)] war nicht eingeladen
       worden. Beide Extreme der französischen Politik verlangen nicht nur einen
       personellen Wechsel und einen Regierungswechsel, sondern den Rücktritt des
       Staatspräsidenten. RN-Sprecherin Marine Le Pen spottete bei einem Abstecher
       in die Provinz über ein „jämmerliches Spektakel“ der anderen Parteichefs,
       die wie „Teppichhändler“ mit Macron feilschten.
       
       11 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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