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       # taz.de -- Regierungskoalition in Italien geplatzt: Krise zur Unzeit
       
       > Italia-Viva-Chef Matteo Renzi glaubt, mitten in der Pandemie müsse er
       > Italien auch noch eine Regierungskrise bescheren. Damit hat er sich
       > verzockt.
       
   IMG Bild: Stürzt Italien in eine Regierungskrise: Matteo Renzi
       
       Welcher Teufel reitet Matteo Renzi? Der frühere Ministerpräsident und
       heutige Chef der Kleinpartei Italia Viva glaubt, ausgerechnet mitten in der
       Pandemie, mitten in der durch sie ausgelösten tiefen ökonomischen und
       sozialen Krise müsse er Italien [1][auch noch eine Regierungskrise]
       bescheren.
       
       Italien braucht diese Krise nicht. Unter Ministerpräsident Giuseppe Conte
       hat die Regierung gerade im Angesicht der Coronapandemie insgesamt einen
       ordentlichen Job gemacht, hat sie sowohl in der ersten Welle im März als
       auch in der zweiten Welle von Oktober an insgesamt entschlossen reagiert,
       hat sie nicht zuletzt in Brüssel die Auflegung des großen europäischen
       Pakets „Next Generation EU“ erreicht, aus deren Fonds 209 Milliarden Euro
       nach Italien fließen werden.
       
       Gewiss, wie andere Regierungen in Europa auch hätte sie im Sommer sehr viel
       mehr tun können, um das Land für die zweite Welle besser aufzustellen,
       hätte sie im Herbst auch früher zu härteren Maßnahmen schreiten müssen –
       aber es war und ist ausgerechnet immer wieder Renzis Italia Viva, die sich
       gegen weitere Einschränkungen in Schule, Wirtschaft, Privatleben sträubte.
       
       Die Bekämpfung der Pandemie könne nicht der einzige Daseinszweck einer
       Regierung sein, tönte Renzi auf seiner Pressekonferenz, auf der er am
       Mittwochabend den Koalitionsbruch verkündete. [2][Dann aber kam er zur
       Sache – besser zu der Person], die ihn wirklich stört: Giuseppe Conte. Der
       Regierungschef genießt, anders als der unbeliebte Renzi, hohe Popularität,
       und er durfte sich von seinem Widersacher als „Populist“, ja als kleiner
       Diktator malen lassen, der „der Demokratie Wunden zugefügt hat“, der „mit
       einem Dekret nach dem anderen“ regiere.
       
       Conte muss weg – dies ist Renzis eigentliche Botschaft. Dabei hatte er
       selbst, nach dem Bruch der Koalition zwischen den Fünf Sternen und der
       rechtspopulistischen Lega (auch sie schon unter Conte), an der Wiege der
       zweiten Regierung Conte mit ihrer Koalition aus Fünf Sternen, der
       [3][gemäßigt linken Partito Democratico (PD)] und der kleinen radikal
       linken Liste Liberi e Uguali (LeU) gestanden.
       
       ## Zeit erkaufen für die eigene Kleinpartei
       
       Renzi wollte sich seinerzeit wohl nur Zeit erkaufen, um die PD, zu der er
       damals noch gehörte, spalten und seine eigene Partei Italia Viva gründen zu
       können, ohne dass ihm schnelle Neuwahlen mit einem Sieg des Lega-Chefs
       Matteo Salvini einen Strich durch die Rechnung machten.
       
       Italia Viva („Lebendiges Italien“) kam dann auch, doch sie erwies sich
       schnell als Totgeburt, die in den Meinungsumfragen bei 3 Prozent
       herumkrebst. Den Traum, zum italienischen Macron zu werden, musste Renzi
       begraben. Schlimmer noch, die PD und die Fünf Sterne arbeiteten gerade in
       der Pandemie zwar nicht reibungslos, aber insgesamt doch recht gut zusammen
       – und Renzi stand im Abseits, hatte kaum etwas zu melden, schlimmer noch:
       wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.
       
       Wenigstens dies konnte er mit der von ihm losgetretenen Regierungskrise
       ändern. Doch weder Italien noch seiner Partei wird dieser Schritt, besser:
       diese Verzweiflungstat viel nützen. Renzi hat vorerst nur erreicht, dass
       sich die anderen drei Koalitionspartner geeinter denn je hinter Conte
       scharen, dass sie Renzis Vorgehen als „äußerst gravierend“, als „gegen das
       Land gerichtet“ brandmarken. Und er darf sich über den Applaus der
       Rechtsopposition freuen, die unter der Führung der Lega jetzt wieder die
       Morgenluft schneller Neuwahlen wittert.
       
       Sein Problem aber hat er damit nicht gelöst: Seine Italia Viva wird bei
       jedweder Lösung – Neuauflage der Koalition, ein Weiterregieren Contes ohne
       Renzi und stattdessen mit dem Vertrauen neurekrutierter Mitte-Abgeordneter,
       eine Allparteien-Notstandsregierung oder eben Neuwahlen – weiter marginal
       bleiben. Nur 13 Prozent der Italiener glauben, Renzi handele im Interesse
       des Landes, 73 Prozent sehen ihn von persönlichen Interessen gesteuert. Und
       gerade Neuwahlen würden wohl den politischen Tod seiner Partei bedeuten.
       
       Renzi gilt als Spieler, der gerne hoch pokert. Doch diesmal könnte er sich
       wohl verzockt haben, genauso wie der andere Matteo, Salvini von der Lega in
       der Regierungskrise vom August 2019. Anders als Salvini, der einer für 30
       Prozent guten Partei vorsteht, könnte Renzi sich da jedoch mit seiner
       3-Prozent-Partei auf ein Himmelfahrtskommando begeben haben, dem zuerst er
       selbst zum Opfer fällt.
       
       14 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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