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       # taz.de -- Regierungskrise in Frankreich: Wie kann es weitergehen?
       
       > Drei Szenarien, wie das Land auch nach einem Misstrauensvotum regiert
       > werden kann. Der Staatshaushaltsentwurf für 2025 würde vorerst in den
       > Müll wandern.
       
   IMG Bild: In einer „Krisensituation“ könnte er ohne das Parlament weiterregieren: der französische Präsident Emmanuel Macron
       
       Paris taz | Falls die Regierung Barnier [1][über die Vertrauensfrage]
       strauchelt, ist unklar, wie es in Frankreich weitergeht. Die Verfassung
       besagt, dass der Staatspräsident, Emmanuel Macron, jemanden seiner freien
       Wahl mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen muss. In welcher
       Frist, das ist nicht festgelegt. Auch nicht, ob der neue Premier und sein
       Ministerkabinett nicht eventuell sogar [2][dasselbe Team] sein darf, das
       zurücktreten musste.
       
       Ohnehin wird Macron nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum die bisherige
       Regierung vorerst damit betrauen, die laufenden Staatsgeschäfte
       weiterzuführen. Und das kann bei Macron, wie man aufgrund seiner langen
       Bedenkzeit vor der Nominierung von Barnier weiß, dauern.
       
       Der Staatshaushaltsentwurf für 2025 wandert in den Müll. Er gilt als vom
       Parlament verworfen, wenn bei der Prozedur mit dem Verfassungsartikel 49.3
       die Opposition mit Erfolg einen Misstrauensantrag dagegen einsetzt. Und
       selbst wenn Macron sogleich eine neue Regierung einsetzt, bleibt nicht
       genügend Zeit, um bis zur gesetzlichen Frist vor Jahresende einen neuen
       Haushaltsentwurf dem Parlament zur Debatte vorzulegen. Droht im kommenden
       Jahr ein Frankreich ohne Regierung und Staatshaushalt?
       
       Damit Frankreichs Staat aber weiterhin funktionieren kann, bleiben noch
       mehrere Optionen. Zunächst kann die Regierung versuchen, den verworfenen
       Haushaltsentwurf für 2025 trotzdem per Dekret in Kraft zu setzen. Dieser
       Kraftakt wäre laut mehreren Verfassungsjuristen aber ziemlich fragwürdig
       und würde wohl vom Verfassungsgericht annulliert. Zweitens kann die
       (vorläufige) Regierung, gestützt auf den Verfassungsartikel 45, in dieser
       speziellen Situation eine Gesetzesvorlage mit demselben Staatshaushalt wie
       für 2024 einbringen und hoffen, dass dies von beiden Parlamentskammern
       akzeptiert wird.
       
       ## Wird Macron mit Vollmachten regieren?
       
       Es bleibt eine dritte Möglichkeit, die nicht so abwegig ist, wie sie auf
       den ersten Blick scheint. Gestützt auf den Verfassungsartikel 16 kann
       Emmanuel Macron als Präsident in einer Krisensituation Vollmachten geltend
       machen und ohne Einwände einer Regierung oder des Parlaments seine
       Haushaltspolitik per Dekret durchsetzen. Vielleicht hatte man zu schnell
       verdrängt, dass diese von General de Gaulle nach seiner Rückkehr an die
       Macht 1958 diktierte Verfassung der fünften Republik dem Staatschef eine
       unvergleichbar große Macht gewährt.
       
       Falls er mit Vollmachten regiert, würde der parlamentarische Einfluss der
       Parteien wie ein demokratisches Alibi wirken. Der Regierungschef würde auf
       die Rolle eines ausführenden Untergebenen des Präsidenten reduziert. Die
       bisherigen Staatschefs änderten daran nichts. Präsident Nicolas Sarkozy
       formulierte das treffend so: „Der Premierminister ist (nur) ein
       Mitarbeiter. Der Patron, das bin ich.“ Falls also Macron ganz legal mit
       Vollmachten herrschen will, würde dies nur in drastischer Weise eine
       Realität der institutionellen Machtverteilung verdeutlichen.
       
       Agnès Verdier-Molinié ist nicht die Einzige, die argwöhnt, Macron habe
       selber mit der Auflösung der Nationalversammlung und den Neuwahlen die
       jetzige Krise nicht nur verursacht, sondern womöglich diese Situation
       geschaffen, die es ihm erlaubt, ungestört von Regierung und Parlament als
       Staatschef zu regieren. [3][In Le Figaro] meint die für ihre
       ultraliberalen Stellungnahmen bekannte Politologin, die Abgeordneten, die
       sich etwas darauf einbildeten, dass sie die Regierung stürzen können, seien
       also bloß Macrons „Hofnarren“.
       
       Die Oppositionsfraktionen spekulierten darauf, dass Macron selber zur
       Klärung der verfahrenen Situation zurücktreten werde, um so den Weg für
       vorzeitige Präsidentschaftswahlen freizumachen. Dies aber sei eine
       tragische Illusion – und darum auch das Misstrauensvotum zum Sturz des
       Ministerkabinetts ein Fehler. Auch fünf sozialistische Abgeordnete der NFP
       sind gegen den Sturz von Barnier.
       
       Wenn aber die 185 Unterzeichner des NFP-Misstrauensantrags und mit ihnen
       auch 126 RN-Abgeordnete in der Nationalversammlung gegen Barnier stimmen,
       wäre das Schicksal der Regierung arithmetisch besiegelt. Ob das Macron nun
       will oder nicht.
       
       4 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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   DIR Rudolf Balmer
       
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