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       # taz.de -- Regierungskrise in Israel: Netanjahu entlässt Innenminister
       
       > Der israelische Ministerpräsident beugt sich dem Obersten Gericht und
       > enthebt Arjeh Deri des Amtes. In Tel Aviv demonstrieren Zehntausende
       > gegen die Justizreform.
       
   IMG Bild: Gegen die Justizreform gingen Zehntausende Israelis auf die Straße
       
       Tel Aviv ap/dpa | Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat
       sich dem Obersten Gericht gefügt und seinen Innenminister Arjeh Deri
       entlassen. Er enthebe ihn schweren Herzens und mit großem Bedauern seines
       Amtes, sagte Netanjahu am Sonntag zu Deri, dem Vorsitzenden der
       ultraorthodoxen Schas-Partei. „Diese unselige Entscheidung ignoriert den
       Willen des Volkes“, sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros. „Ich
       beabsichtige, jeden legalen Weg zu finden, damit Sie weiterhin einen
       Beitrag zum Staat Israel leisten können.“ Deri sagte, er werde Parteichef
       bleiben und das Programm der Regierung weiter unterstützen.
       
       Das Oberste Gericht [1][hatte am Mittwoch entschieden], dass Deri nicht für
       ein Ministeramt geeignet sei, weil er im vergangenen Jahr wegen
       Steuervergehen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist.
       Gleichzeitig diskutiert Israel hitzig über Pläne der neuen Regierung für
       eine Justizreform. Danach soll das Parlament Gerichtsentscheidungen
       überstimmen können. Das Gericht soll auch nicht mehr darüber urteilen
       dürfen, ob Regierungsentscheidungen angemessen und vernünftig sind.
       Kritiker sehen darin den Versuch, das Oberste Gericht zu schwächen.
       Vertreter der Koalition sind dagegen der Meinung, das Gericht sei nicht
       demokratisch gewählt und zu mächtig.
       
       Deris Entlassung dürfte [2][die am weitesten rechts stehende Koalition in
       der Geschichte Israels] erschüttern. Einige Schas-Abgeordnete hatten nach
       dem Gerichtsurteil gedroht, das Bündnis zu verlassen. Am Sonntag wurde
       jedoch erwartet, dass die Koalition überleben und schnell Gesetze auf den
       Weg bringen wird, die Deri den Weg zurück ins Kabinett ebnen. Fürs Erste
       wurde damit gerechnet, dass Netanjahu zumindest vorläufig einen anderen
       Schas-Vertreter zum Innenminister ernennt.
       
       ## Demonstration gegen die Justizreform
       
       Mehr als hunderttausend Menschen hatten zuvor in der israelischen
       Küstenstadt Tel Aviv gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin
       Netanjahu demonstriert. Der [3][bisher größte Protest gegen die Ende
       Dezember vereidigte rechtsreligiöse Koalition] richtete sich vor allem
       gegen deren Pläne, die Kritiker als gezielte Schwächung des Justizsystems
       betrachten.
       
       Demonstrantinnen und Demonstranten versammelten sich den dritten
       Samstagabend in Folge an mehreren Orten im Zentrum Tel Avivs. Dabei
       schwenkten sie unter anderem israelische Flaggen. Auf Plakaten war zu lesen
       „Stoppt das Ende der Demokratie“, auch Bilder Netanjahus waren zu sehen mit
       dem Schriftzug „Verbrecher“.
       
       Der israelische Schriftsteller und Friedensaktivist David Grossman sprach
       auf der Demonstration von einem „großen Erwachen“ der Öffentlichkeit in
       Israel, dem „Beginn der Rückkehr aus der lähmenden inneren Emigration“. Mit
       Blick auf die umstrittene Justizreform verglich er das Land mit einem Haus,
       das in Flammen steht. „Ich weigere mich, Heimatloser im eigenen Land zu
       sein“, sagte Grossman.
       
       Der liberale frühere Ministerpräsident Jair Lapid nahm ebenfalls an der
       Kundgebung teil. Auch in den Städten Jerusalem, Haifa und Beerscheba gingen
       Tausende Menschen auf die Straßen.
       
       Sie protestierten vor allem gegen höchst umstrittene Pläne des
       Justizministers Jariv Levin. Eine Mehrheit im Parlament soll demnach ein
       Gesetz verabschieden können, auch wenn es nach Ansicht des höchsten
       Gerichts gegen das Grundgesetz verstößt. Levin will außerdem die
       Zusammensetzung des Gremiums zur Ernennung von Richtern ändern. Die
       tiefgreifenden Veränderungen könnten Netanjahu auch bei einem laufenden
       Korruptionsprozess gegen ihn in die Hände spielen.
       
       Befürworter der geplanten Justizreform fühlen sich durch das Urteil gegen
       Deri bestätigt. Sie werfen dem Obersten Gericht seit Jahren eine übermäßige
       Einmischung in politische Entscheidungen vor.
       
       Die Richter begründeten ihr Urteil mit der wiederholten Verurteilung Deris.
       Zudem führten sie an, dass er im vergangenen Jahr bei einem Verfahren wegen
       Steuervergehen vor Gericht versichert habe, er werde sich aus der Politik
       zurückziehen. Deri selbst streitet dies ab.
       
       22 Jan 2023
       
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