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       # taz.de -- Reichsbürger diskutieren Razzia: Werbung für das Deutsche Reich
       
       > In Hannover begrüßen Reichsbürger die Razzia vor anderthalb Wochen als
       > PR. Mit dabei: ein Beschuldigter der mutmaßlichen Terrorgruppe.
       
   IMG Bild: Halten die Bundesrepublik für illegitim und zeigen deshalb gerne schwarz-weiß-rot: Reichsbürger
       
       Hannover taz | Auf dem Spielplan des Leibniz-Theaters stehen
       Weihnachtsstücke: „Die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens“ oder
       „Swinging Christmas“. In das private Theater in Hannover kehren in dieser
       Zeit aber auch Männer und Frauen ein, um ganz anderen Geschichten zu
       lauschen; [1][Geschichten von Fürsten und Adelsgeschlechtern, von 1871 und
       dem Deutschem Reich].
       
       Von der wirklichen Wahrheit ist in dem Eckgebäude an der Kommandanturstraße
       die Rede. Denn diejenigen, die sich in einem Nebenraum des Leibniz-Theaters
       auf Einladung des Leiters immer wieder treffen, glauben an ein vermeintlich
       einzigartiges Wissen. Sie wollen es unbedingt an Jüngere, auch in Schulen,
       weitergeben.
       
       Es waren rund 30 Leute, die sich am vergangenen Samstag in den hinteren
       Räumen des Theaters einfanden, um Erhard Golla aus Solingen zum Thema „Der
       rechtliche Weg in die Verfassung 1871“ zu lauschen. Um 14 Uhr begann die
       Einführung gegen Spende von zehn Euro, Kaffee, Tee, Wasser und Kekse
       inklusive. Das Treffen war über einen regionalen Unterchat namens
       „Wahlkommissionen“ beworben worden. Autos kamen aus Hessen, Wolfenbüttel,
       Wittmund, Flensburg.
       
       Ein ähnliches Treffen, am 13. Dezember am selben Ort, war spontaner Art.
       Der Anlass: die bundesweite Razzia gegen mehr als 50 Aktive der sogenannten
       Patriotischen Union oder auch „Neue Deutsche Armee“ genannt, einer Gruppe
       von Reichsbewegten, die für den Tag X einen Staatsstreich geplant haben
       sollen.
       
       ## Waffen und Goldbarren
       
       Die Polizei nahm den 71-jährigen Immobilienhändler Heinrich XIII. Prinz
       Reuß als Rädelsführer fest, und stellte bei unzähligen Razzien 93 illegale
       Waffen sowie Goldbarren im Wert von sechs Millionen Euro sicher. [2][Einer
       der Durchsuchten wird wenige Tage später in Hannover mit Applaus begrüßt:
       Matthes Haug.] Auch er soll der Gruppe um Prinz Reuß angehöre
       
       Nur eine Woche nach der Razzia begrüßt der Leiter des Theaters, Joachim
       Hieke, den Physiker aus Baden-Württemberg auf dem Podium. Neben diesem
       sitzen der bekannte Reichsideologe Hans-Joachim Müller sowie Haugs
       Co-Referent Björn Auen. Hieke gibt sich beeindruckt: Seit zwei Jahren öffne
       er sich dieser Szene in seinem Haus. In Telegram-Gruppen werden Mitschnitte
       der Veranstaltung per Audiodatei verbreitet. Sie liegen der taz vor.
       
       Um 6 Uhr morgens habe die Polizei seine Tür aufgebrochen, der Rahmen sei
       kaputt, berichtet Haug, Autor von „Das deutschen Reich – von 1871 bis
       heute“. Mit Kabelbinder sei er als Terror-Unterstützer festgesetzt worden.
       „Ich treffe mich ab und zu mit Prinz Reuß“, sagte Haug, [3][etwa auf dem
       Jagdschloss des Prinzen in Thüringen]. In Hannover kennt nicht nur Haug
       „den Prinzen“, sondern auch Hans-Joachim Müller aus Leipzig. Auf dem Podium
       berichtet er von seiner Bekanntschaft mit dem mutmaßlichen Rädelsführer der
       Patriotischen Union.
       
       Müller, Haug und weitere behaupten in Hannover, 1871 seien die Menschen
       wirklich frei gewesen. Gepriesen werden Bismarck und die Verfassung des
       Deutschen Reiches. Für sie ist die BRD eine ungeliebte Verwaltungseinheit,
       die abgeschafft gehöre, während das Deutsche Reich noch schlummere. „Es ist
       eine Riesenchance, wenn wir an 1871 anknüpfen, eine einmalige Chance für
       Deutschland“, sagte Haug.
       
       Bundesweit geht das Bundesamt für Verfassungsschutz von etwa 23.000
       Anhänger*innen der heterogenen, reichsideologischen Szene aus. In
       Niedersachsen rechnet das Landesamt für Verfassungsschutz der Bewegung rund
       900 Personen zu. Müller dürfte zu den Stars dieser verschachtelten, kaum
       überschaubaren, aber in jüngerer Zeit erstarkten Szene gehören. 2020
       verbreitete er die antisemitische US-amerikanische Verschwörungsideologie
       QAnon.
       
       Mehr als zehn Millionen Mal wurden seine Videos auf Youtube bislang
       angeschaut. Bei Telegram hat er eigene Kanäle. In einem gemeinsamen Video
       mit Martin Kohlmann, dem rechtsextremen Kopf von „Freies Sachsen“,
       schwärmte er davon, in diesem Bundesland ein eigenes Königreich zu
       errichten.
       
       In Hannover redet Müller mit alterstiefer Stimme; er redet und redet,
       gefällt sich in der Rolle des belesenen, autoritären Ostdeutschen. Er
       betont, er sei ja Lehrer. Hieke berichtet stolz, seit zwei Jahren mit
       Müller bekannt zu sein. „Lass uns mal einen anderen Staat machen“, darüber
       seien sie ins Gespräch gekommen.
       
       Der Kulturschaffende Hieke ist in Hannover als Gegner staatlicher
       Coronamaßnahmen bekannt. Schnell sind sich auf dem Podium am 13. Dezember
       alle einig, dass der vereitelte Putsch ausschließlich positive Propaganda
       für sie darstelle. Ein „Aufweckprogramm für die deutschen Schlafschafe“,
       witzelt Hieke.
       
       ## Wirr aber entschieden
       
       Diese Ansicht teilt Hans-Joachim Müller, der sich auch Hajott nennen lässt
       – wie die Abkürzung von Hitlerjugend. Müller zeigte sich entsetzt, dass die
       staatlichen Handlanger sich an den „Hochadel“ wagten. Reuß bräuchte bloß
       seine zwei Fürstentümer zurück, um ein Reich haben zu können, sagte Müller.
       „Prinz Reuß hat zu mir gesagt, wenn ich kein Staatsvolk habe, dann
       schmeißen mich die Russen gleich wieder raus.“ Reuß soll als Regent in spe
       schon Kontakt zur russischen Regierung aufgenommen haben.
       
       Es geht wirr, aber entschieden zu. Von der Bundesrepublik oder
       Bundesregierung hält in dem Saal anscheinend niemand etwas.
       
       Auch am vergangenen Samstag tagten die Reichsideologen noch lange im
       Hinterzimmer. Der Referent Golla warb für die deutsch-russische
       Freundschaft – es geht um mehr als nur das Deutsche Reich. Medien, die vor
       dem Leibniz-Theater filmen, stören da nur. Fragen werden gar nicht erst
       zugelassen. Sofort stürmen Besucher heraus, schimpfen und es kommt zu
       Handgreiflichkeiten. Einer Bitte um Stellungnahme kam Hieke am Sonntag
       nicht nach.
       
       18 Dec 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
   DIR Andrea Röpke
       
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