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       # taz.de -- Reportage aus dem Hambacher Forst: (Staats-)Gewalt im Wald
       
       > Der Klang des Waldes und der seiner Zerstörung: RWE und Polizei bereiten
       > das Ende des Hambacher Forstes vor. AktivistInnen stellen sich quer.
       
   IMG Bild: Hätte man mit den alten, grünen Uniformen gar nicht so gut sehen können: Polizisten im Hambacher Forst
       
       Niederzier taz | Ein Windsäuseln ist zu hören, mal wird es im frühlingshaft
       hellen Blattwerk auch zum leichtes Rauschen. Ein Vogel zwitschert kurz. Aus
       der Ferne das monotone Surren des benachbarten Kieswerks. Schiere Ruhe mit
       ein paar Tupfern dazwischen. So friedlich muss das Paradies klingen.
       
       24 Stunden vorher, am Donnerstag morgen, klang der Hambacher Forst an der
       gleichen Stelle ganz anders. Kurz nach Morgengrauen war das Grauen in den
       12.000 Jahre alten Wald zurückgekehrt: Kettensägen heulen, Räumfahrzeuge
       dieseln durchs Gehölz, Polizei und RWE-Mitarbeiter überall. Von oben, aus
       den weitläufigen Hängebrückensystemen der Baumhaussiedlung Oaktown kommen
       hysterische Schreie: „Verpisst Euch, Ihr Terroristen! Ihr Menschenfeinde!
       Ihr Heimatmörder…“ Als eine Frau ruft „Nehmt Eure Drecksgriffel von meinem
       Zuhause“, müssen auch ein paar PolizistInnen kurz lachen.
       
       Wrooooaaam, krächz, ächz. Die Maschinen wüten weiter. Die Widerständler,
       alle bis auf Sehschlitze vermummt, handeln ebenfalls, so das von den
       Baumkronen aus geht. Plötzlich geht ein kleiner Schwall Gülle nieder. Es
       stinkt widerlich. Einer aus dem Arbeitertrupp hat an der Schulter ein paar
       Tropfen abbekommen. Er glaubt, es sei Urin. Er riecht dran. Er ist nicht
       nur angeekelt sondern sichtlich entsetzt. Ein Kollege nickt, sagt: „Die
       pinkeln da runter. Hol Dir ein neues Hemd.“
       
       Von ihrem Volltreffer ahnen sie oben in den Bäumen nichts. Die RWE-Trupps
       spannen jetzt zwei riesige grüne Baumarkt-Schirme auf, wenn die Kollegen
       zum Barrikaden sägen unter die Häuser treten.
       
       ## Razzien im Wiesencamp
       
       Die Aktionen dieser Tage sind militärisch organisiert. Stufe 1 in der
       Vorwoche: Entwaffnung. Mehrfach Razzien im Wiesencamp am Waldrand,
       Leibesvisitationen, gerne mit vorgehaltener Waffe. Alles an Werkzeugen bis
       hin zu Küchenmessern wird konfisziert. Es gilt vom Nachschub abzuschneiden,
       bis hin zum Befehl: Wasserkanister ausleeren. Stufe 2 am Mittwoch:
       Verbarrikadierte Waldwege freifräsen. Stufe 3 am Donnerstag:
       Boden-Infrastruktur zerstören, die Siedlungen unten filetieren. Alles zum
       großen Finale freilegen für besseren Zugang.
       
       Wie im gallischen Dorf. Immer in 100er Trupps kommen sie: 50 RWE-Arbeiter,
       50 Begleitpolizisten. Mit infernalischem Lärm zerschreddert ein Häcksler
       alles am Boden zu Püree – Vorratsbunker, Gemeinschaftsplätze, Unterstände,
       Infostände, eine Dusche. „100 Meter Sicherheitsabstand“, sagt ein Polizist
       streng. Dass die Baumbewohner keine 20 Meter schräg über der Maschine
       leben, stört nicht.
       
       Zur Operation Kahlschlag gehört der Krieg um Worte. Den führen RWE und
       Polizei mit leicht durchschaubaren Methoden: Man wolle „Unrat sowie
       offensichtlichen Müll“ beseitigen, hieß es am Mittwochmorgen. Die Wahrheit:
       sie zerstören Stück für Stück die Infrastruktur.
       
       Ständig entdecken sie dabei vermeintliche Waffen, „augenscheinliche
       Sprengfallen“ oder „gefährliche Gegenstände (Stofflappen, Glasflaschen)“,
       dazu unbekannte chemische Substanzen – am Ende waren es, so stellte sich
       heraus, harmlose Attrappen. Immer wieder werden verletzte Polizisten
       gemeldet. Als am Mittwochabend ein Aktivist von einem Tripod aus fünf
       Metern geholt wurde, brach ihm ein Polizist rücksichtslos den Arm.
       
       Und immer wieder der Gewaltvorwurf der stets professionell gewaltbereiten
       Polizeikräfte an die WaldbewohnerInnen. Und sie setzen auf Ekelreflexe:
       Einsatzkräfte würden mit Fäkalien beworfen, heißt es immer wieder.
       Macheten, Messer, Zwillen, die aktuellen angeblichen Waffenfunde, stellen
       sich mehrheitlich als Asservatenrelikte der vergangenen Jahre heraus. Fake
       news auf rheinisch.
       
       ## Bagger an der Abbruchkante
       
       Die Braunkohlebagger stehen direkt vor der Abbruchkante der gut 200 Hektar,
       die vom fast 5.000 Hektar großen Hambacher Forst geblieben sind. Wann
       erfolgt der große Zugriff auf die geschätzt 200-300 AktivistInnen selbst?
       Auch wenn RWE den frühesten Rodungsbeginn gerade vom 1. auf den 14. Oktober
       verschoben hat, werden die Einsatzkräfte kaum lange warten. Schon in der
       ersten Nacht sind wieder neue Barrikaden auf den Waldwegen aufgetürmt. Neue
       Bombenattrappen und Scheinfallen werden folgen.
       
       Das Wiesencamp aus Holzhütten, Zelten und alten Wohnwagen, direkt am
       südlichen Waldrand (errichtet auf Privatgelände), ist die Nahtstelle zur
       Außenwelt. Rebecca, 21, erzählt vom Leben hier. „Viel Unterstützung“ gebe
       es aus den umliegenden Dörfern. „Manche kommen jeden Abend mit Vorräten zu
       uns. Eine Familie hat ihren Garten für uns gespendet. Die bringen alles,
       was da wächst.“ In der Bretterbuden-Küche ist schon mittags emsig Betrieb,
       alles kompromisslos vegan. Ein paar Dutzend Leute seien sie hier, sagt
       Rebecca, die meisten deutlich unter 30, „aber, wie schön, gestern hat eine
       Frau, die ist bestimmt Mitte 50, hier ihr Zelt aufgeschlagen.“
       
       Mike lebt seit zehn Tagen hier. „Ich habe es mit eigenen Ohren gehört“,
       erzählt er beim Plausch auf einem durchnässten Sofa, „nachts haben sie aus
       Polizeiwagen Lautsprecher gehalten mit Kettensägenheulen. Ein anderes Mal
       Affengeräusche.“ Am Tag vor seiner Ankunft sei aus einem Einsatzfahrzeug
       bei der Anfahrt dröhnend laut der Ritt der Walküren von Richard Wagner zu
       hören gewesen.
       
       Das gehört zur psychologischen Kriegsführung der Polizei? Wagners Walküren:
       in einer weltberühmten Szene des Kriegsfilms Apocalypse now von GIs
       abgespielt, als sie in Hubschrauberverbänden die Vietkong angreifen („da
       scheißen sich die Schlitzaugen vor Angst in die Hosen“). Ein schönes
       Vorbild der deutschen Staatsmacht. Eine Polizeisprecherin wird sich der taz
       gegenüber winden: Nein, das gehöre nicht zum Einsatzkonzept, man wolle
       „alles unterlassen, was zu Provokation und Eskalation beitragen kann“. Um
       die Sache indirekt zu bestätigen: „Wir können aber nicht in jeden Wagen
       gucken.“
       
       Zwei Frauen im Wiesencamp hängen den fünf Polizisten, die hier Wache
       stehen, gerade ein neues Transparent vor die Nase: „Lass uns alle Bäume
       pflanzen, nackig durch die Wälder tanzen…“ Ein junger Beamter aus Bonn
       lächelt: „Ach nee, nicht warm genug heute.“ Die Polizisten verhindern den
       Wiesencampern den Zugang zum Wald. Grußlos gehen sie plötzlich weg. Zum
       Tanzen? Abmarschbefehl.
       
       Umgehend stapfen zehn Wiesencamper durch den prasselnden Regen gut einen
       halben Kilometer ins Dorf Gallien. „Was braucht ihr?“ rufen sie nach oben.
       „Wasser zuerst. Die Kanister haben sie auch vernichtet. Und alles Brot
       zerschreddert.“ Bewohner Gonzo erzählt später, RWE-Mitarbeiter hätten bei
       den abgeräumten Lebensmitteln noch geplündert: „Das Beste haben sich die
       Drecksäcke rausgesucht, Pasten und so. Die kriegen wohl sehr wenig Lohn.“
       
       Alle sind nervös. Und man darf unterstellen: obrigkeitshörig. Jedenfalls
       untersagte Donnerstagmorgen die Bezirksregierung einer Schulklasse aus
       Köln-Holweide, mit dem Waldpädagogen Michael Zobel mittags zur Führung in
       den Wald zu gehen. „Gestern noch“, sagt Zobel, der innerhalb von vier
       Jahren über 15.000 Menschen den Forst gezeigt hat, „waren alle begeistert,
       Gastschüler aus Burkina Faso sollten mit, samt Übersetzer, alles war seit
       Wochen organisiert – und plötzlich Stop. Keine Begründung. Es wird immer
       irrer.“ Schade, man hätte gern gelernt, was
       Hainbuchen-Stieleichen-Maiglöckchen-Wald (ein solcher ist der Hambacher
       Forst, der einzige in Europa) auf burkinafasisch heißt.
       
       Seit Donnerstag Mittag ist der Tag X ausgerufen, der Hilferuf nach Aktionen
       draußen und Solidarität im Wald. Materialwünsche werden getweetet, [1][die
       Polizei baut sich jetzt schon am S-Bahnhof Buir] auf, zwei Kilometer vom
       Wald entfernt. Personenkontrollen, Durchsuchungen. Proteste.
       
       ## Baumhäuser in Gallien
       
       In den Baumhäusern in Gallien geht nach den Bodenoffensiven das Leben
       ohnehin weiter. Hochklettern in eine der mächtigen Holzkonstruktionen. In
       gut fünf Metern Höhe das erste Stockwerk, zwei weitere darüber.
       Überraschend gut ausgebaut alles, mit Glasscheiben und auch Strom. Im
       Stockwerk 1 ist das Lager – von Kartoffeln, Dosengemüse über Werkzeuge bis
       zu unzähligen Kletterausrüstungen, darüber sind Küche und Wohnraum, in der
       Loftetage das Matratzenlager. Gut ein halbes Dutzend Leute wohnt hier. Wie
       eine WG sei das, sagen sie. Und nicht jede Minute sei gelebter Widerstand,
       man habe auch gemütliche Doppelkopfabende.
       
       Sie wissen, nach sechs Jahren kann jeden Tag das Ende kommen. Und, lebt man
       jetzt weiter, als ginge es immer weiter? „Wir leben hier“, sagt
       schlagfertig die junge Frau, die sich Ghost nennt, „damit es weiter geht!“
       
       Unten, an einem jungen Baum, schaukeln zwei kleine Traumfänger, die den
       Angriff ringsum zufällig überstanden haben. Ein gutes Omen? „Man muss daran
       glauben“, lächelt eine sehr junge Baumhausgallierin.
       
       7 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Müllender
       
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   DIR Räumung im Hambacher Forst: „Der Wald bleibt, der Wald geht“
       
       Die einen wohnen in Baumhäusern. Die anderen kommen in Hundertschaften. Tag
       eins der Räumung eines Symbols.
       
   DIR Kommentar Räumung Hambacher Forst: Lebensgefahr durch Schutzmaßnahme
       
       Im Forst wird geräumt, weil die Baumhäuser keinen Schutz vor Feuer bieten.
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       Im Hambacher Forst hat die Polizei hat nun eine Plattform abgebaut.
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   DIR „Stimmungsmache“ im Hambacher Forst: Vietcong-Ente nistet im Rheinland
       
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       Polizei wurde der Tunnel, um den es geht, bereits 2012 geräumt und
       verfüllt.
       
   DIR Proteste am Hambacher Forst: Polizei hält AktivistInnen auf
       
       Am Bahnhof Buir saßen etwa 100 Menschen fest, die ihre Personalien nicht
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   DIR Aktivistin über Tag X im Hambacher Forst: „Menschen werden nicht gefährdet“
       
       Die ersten Bäume im Hambacher Forst sind gefällt. Karolina Drzewo vom
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   DIR Kommentar „Tag X“ im Hambacher Forst: Auf die Bäume
       
       Im Hambacher Forst werden demnächst Aktivisten alte Bäume verteidigen. Sie
       wollen den Wald in die Nachkohlezeit retten.