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       # taz.de -- Repressionen in Belarus: „Schön auf die Eier halten“
       
       > Das Protokoll eines Gesprächs von Sicherheitskräften wird öffentlich. Bei
       > der unabhängigen Nachrichtenagentur Belapan findet eine Razzia statt.
       
   IMG Bild: Der Belarussische Präsident Lukaschenko bei einer Eliteeinheit der Polizei Ende Dezember
       
       Mönchengladbach taz | Sie waren mit zehn maskierten Uniformierten um die
       Mittagszeit gekommen. Sofort nach ihrem Eindringen in die Büroräume der
       unabhängigen belarussischen Nachrichtenagentur Belapan befahlen die
       ungebetenen Gäste den JournalistInnen, während der Hausdurchsuchung weder
       Telefone noch EDV-Geräte zu berühren.
       
       Begründet wurden die Hausdurchsuchung und die anschließende Mitnahme von
       PCs und Servern mit Ermittlungen gegen den am Dienstag festgenommenen
       Journalisten Andrej Alexandrow. Alexandrow war zwischen 2014 und 2018
       stellvertretender Chef der Agentur und arbeitete anschließend als freier
       Mitarbeiter für Belapan. Ihm wird, so eine Sprecherin des staatlichen
       Ermittlungsbüros gegenüber Belapan, eine „grobe Verletzung der öffentlichen
       Ordnung“ vorgeworfen.
       
       Alexandrows Kollegen rätseln über die tatsächlichen Motive der Festnahme.
       Alexandrow, so berichtet der Direktor von Belapan, Dmitrij Nowoschilow,
       gegenüber dem Portal curenttime.tv, habe sich an keiner einzigen
       Protestaktion beteiligt.
       
       JournalistInnen sorgen sich auch um ihren Kollegen Igor Losik. Der Blogger
       und Gründer des Telegramkanals „Belarus im Gehirn“ befindet sich seit einem
       Monat im Hungerstreik und denkt nicht daran, seine Aktion abzubrechen.
       Solange die Vorwürfe einer „Organisation von Massenunruhen“ und „Störung
       der öffentlichen Ordnung“ aufrechterhalten würden und er weiter in Haft
       bliebe, denke er überhaupt nicht ans Aufhören, zitiert der russische Dienst
       der Deutschen Welle den Journalisten. Auch ein Aufruf von
       [1][Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja] und anderen
       Persönlichkeiten konnte ihn nicht zu einem Abbruch bewegen.
       
       ## 300 Euro Strafe
       
       Aufsehen erregte auch die Verurteilung einer der ältesten Aktivistinnen der
       belarussischen Protestbewegung Anfang dieser Woche. Zu umgerechnet 300 Euro
       wurde die 89-jährige Valerija Smirnowa von einem Gericht in Minsk
       verurteilt, weil sie sich an einem der immer Montags stattfinden
       Protestmärsche von RentnerInnen beteiligt hatte.
       
       Grund zum Feiern hatte die Rentnerin trotzdem. Es hätte ja auch eine
       Arreststrafe sein können. Weniger Glück hat die Studierende Jana
       Solonowitscha. Sie ist seit dem 1. November in Arrest, nachdem sie wegen
       Beteiligung an Protesten mehrmals verurteilt worden war. Frühestens am 23.
       Februar wird sie ihre Zelle verlassen können.
       
       Unterdessen hat Präsident Alexander Lukaschenko einen neuen Kodex zu
       Ordnungstrafen unterschrieben. Dieser sieht eine Erhöhung der Geldstrafen
       für die Verwendung verbotener Symbole vor. So soll ein Zeigen der
       weiß-rot-weißen belarussischen Fahne auf Balkonen oder in Fenstern mit bis
       zu 550 Euro bestraft werden können. Die weiß-rote-weiße Flagge war 1918 und
       von 1991 bis 1995 Nationalflagge des Landes. Heute gilt sie als Symbol der
       Opposition.
       
       Unterdessen sind [2][Gesprächsprotokolle] an die Öffentlichkeit gelangt,
       die einen Einblick in die Stimmungslage derer geben, die die Macht von
       Alexander Lukaschenko mit aller Gewalt erhalten wollen. „Bypol“, eine
       Gruppe von Sicherheitskräften, die sich der Opposition verbunden fühlt,
       veröffentlichte Mitschnitte einer Zusammenkunft ihrer regimetreuen
       Kollegen. Darauf ist auch die Stimme von Nikolaj Karpenkow, dem derzeitigen
       Vize-Innenminister, zu hören. Das Treffen soll Ende Oktober stattgefunden
       haben.
       
       ## Über 30.000 Festnahmen
       
       An einer Stelle empfiehlt ein Anwesender den schonungslosen Einsatz von
       Druckluftwaffen: „Wenn jemand auf dich losgeht, setz die Waffe ein, die ja
       nicht tödlich ist. Schieß auf Beine, den Bauch, die Eier, damit er kapiert,
       was er angerichtet hat.“
       
       Seit der Präsidentschaftswahl am 9. August 2020 gehen in Belarus regelmäßig
       Menschen für Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen auf
       die Straße. Insgesamt wurden über 30.000 Demonstrierende und Passanten
       festgenommen, viele von ihnen in der Haft schwer misshandelt. Viele
       Staaten, unter ihnen auch Deutschland, erkennen die Wahl vom 9. August
       nicht an.
       
       15 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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