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       # taz.de -- Rezension zu Nazi-Satire „Jojo Rabbit“: Mit Adolf am Küchentisch
       
       > In Taika Waititis neuer Komödie schlägt sich ein Zehnjähriger mit einem
       > ganz speziellen imaginären Freund herum: Hitler. Ist das nun lustig?
       
   IMG Bild: „Wenn du erst grrroß bist, mein Sohn…“: Regisseur Taika Waititi aus Neuseeland gibt den Diktator
       
       Die Debatte darüber, ob man über Hitler lachen darf, ist im deutschen
       Kulturbetrieb ein festes Ritual geworden. Das ist nicht abwertend gemeint,
       denn das Ritual war die längste Zeit gar kein so doofer Bestandteil der
       nötigen Vergangenheitsbewältigung. Die These, dass Faschismus und Holocaust
       nicht zum Lachen sind, stößt immer wieder auf die Gegenthese, dass man sich
       in einer freien Gesellschaft schließlich über alles lustig machen dürfen
       soll. [1][In der Debatte wird dann von Fall zu Fall entschieden.]
       
       Die längste Zeit galt dabei die Prämisse: Wenn der Humor der Aufklärung
       dient, ist’s gut, [2][wenn er nur albern ist], rümpft man die Nase. Und
       wenn er die Falschen verspottet, verurteilt man ihn. Wie gesagt: Das ist
       kein schlechtes Verfahren. Aber wie oft bei Ritualen droht es zu versteifen
       und damit an Überzeugungskraft zu verlieren.
       
       In Taika Waititis „Jojo Rabbit“ ist Hitler (vom Regisseur selbst gespielt)
       von Anfang an eine ziemlich lächerliche Gestalt: Da steht er in seiner
       braunen Uniform im Kinderzimmer des zehnjährigen Johannes „Jojo“ Betzler
       (Roman Griffin Davis) und versucht, Motivation zu versprühen. Dem Jungen
       ist ein bisschen bange vor seiner ersten Hitlerjugend-Freizeit. Adolf will
       ihn aufbauen: Er sei doch der beste, loyalste kleine Nazi, den er kenne.
       Und dann üben sie gemeinsam den Hitlergruß, aber so richtig. So ganz, ganz
       richtig.
       
       Bis schließlich Jojo beim Auf-die-Straße-Rennen förmlich abhebt vor lauter
       Armausstrecken und -hochhalten. Aus dem Off singen dazu die Beatles „Komm
       gib mir deine Hand“. Zwischen die Szenen, in denen Jojo armhebend durch die
       Gassen seiner deutschen Kleinstadt tanzt, sind Archivaufnahmen von
       Menschenmassen geschnitten, die Hitler die Hand geben wollen.
       
       ## Unpassendes wird kurzgeschlossen
       
       Als Zuschauer fühlt man sich da mit der Entscheidung, ob man das lustig
       finden soll, schon sehr allein gelassen. Man erkennt, dass hier Unpassendes
       kurzgeschlossen wird – ein bewährtes komödiantisches Verfahren seit
       mindestens der Antike –, aber man ist sich unsicher, ob es auch zündet.
       
       Der Neuseeländer Waititi kennt sich mit Humor aus. Nicht nur, dass er mit
       „Thor: Tag der Entscheidung“ die bislang beste Superhelden-Komödie gedreht
       hat; die Indie-Filme, die er davor verantwortete – „Wo die wilden Menschen
       jagen“ und „5 Zimmer Küche Sarg“ –, sind geprägt von einem sehr feinen,
       melancholisch getönten Sinn für die inhärente Komik dessen, wie Menschen
       über sich selber denken.
       
       Sei es der kleine Ausreißer, der in der neuseeländischen Wildnis von einem
       Leben als Gangsta-Rapper träumt, oder der 200-jährige Vampir, der sich
       kokett als „Wiegenräuber“ bezeichnet, wenn er seiner inzwischen 70-jährigen
       Jugendliebe hinterhersteigt – eingebildete Stärken verwandeln sich in
       Waititis Humor oft in sympathische menschliche Schwächen.
       
       Als Satire auf Tagträume und unsichtbare Freunde funktioniert „Jojo Rabbit“
       bestens. Der kleine Jojo, der sich von seinem Adolf noch durch die
       Hitlerjugend-Freizeit coachen lassen muss, findet in einem Verschlag der
       Wohnung, in der er mit seiner Mutter (Scarlett Johansson) lebt, eines Tages
       ein junges Mädchen (Thomasin McKenzie).
       
       ## Ein bisschen wie bei Lubitsch
       
       Elsa ist Jüdin, das begreift er schnell; sehr viel länger braucht er, um
       all die kruden Vorstellungen, die ihm seine Nazi-Umgebung über Juden und
       ihre Kultur einflüstert, zu überwinden und mit seinen wahren Gefühlen für
       die 15-Jährige in Einklang zu bringen. Erst recht, als seine Mutter eines
       Tages nicht nach Hause kommt und stattdessen Hauptmann Deertz (Stephen
       Merchant) aufkreuzt und die Wohnung durchsucht. Als dann auch noch
       Hauptmann Klenzendorf (Sam Rockwell) kommt, fühlt man sich als Zuschauer
       tatsächlich ein bisschen wie in [3][Lubitschs] „Sein oder Nichtsein“ –
       „Schulz!!!!“ –, weil man nicht weiß, wer hier die richtigen und wer die
       schauspielernden Nazis sind.
       
       So setzt einen der Film immer wieder zwischen die Stühle – kein sehr
       komfortabler Platz. Soll man mitfühlen mit Jojo, der enttäuscht darüber
       ist, dass er mit den anderen Hitlerjugend-Jungs nicht mithalten kann? Soll
       man über Rebel Wilson lachen, die als Nazi-Braut Unsinn von sich gibt? Oder
       etwa Mitleid haben mit dem zusehends kläglicher werdenden Adolf, dem es
       nicht passt, dass ihm Jojo entgleitet?
       
       Wobei der Witz ist, dass sich die ganzen Ambivalenzen gar nicht so schlecht
       anfühlen, man aber – vielleicht vor allem als Deutscher – doch denkt, sie
       müssten einen mehr bedrücken. Weil doch nur das Lachen, das im Halse
       stecken bleibt, pädagogisch wertvolles Lachen ist, oder? Aber wenn das
       Komische gleichzeitig schrecklich-komisch sein muss, wie könnte man dann
       eine Kindergeschichte damit erzählen?
       
       Ob „Jojo Rabbit“ als Nazi-Satire funktioniert, sei dahingestellt. Als
       Geschichte eines Jungen, der aus erlernten Vorurteilen herausfindet,
       erweist sich der Film mit seiner ausgestellten Leichtigkeit als mitreißend
       und wunderbar großherzig: Das Kind im Zentrum nämlich, Jojo und seine
       Gewissensnot, wird immer ernst genommen.
       
       22 Jan 2020
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Schweizerhof
       
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