# taz.de -- Robert Habeck zu Besuch in Katar: Eine heikle Einkaufstour
> Der Wirtschaftsminister versucht, neue Energielieferanten zu gewinnen.
> Für den Grünen ist es eine Gratwanderung zwischen Klimaschutz und
> Realpolitik.
IMG Bild: Ausgerechnet Katar: Wirtschaftsminister Robert Habeck am Sonntag bei seinem Besuch in Doha
Getrieben vom Ziel, möglichst schnell vom [1][russischen Gas] wegzukommen,
war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Wochenende in Katar. Am
Montag ist er in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zu Besuch. Mit
Katar vereinbarte der Minister am Sonntag eine langfristige
Energiepartnerschaft. Diese umfasse nicht nur LNG-Lieferungen, sondern auch
den Ausbau von erneuerbaren Energien sowie Maßnahmen zur Energieeffizienz,
so Habeck.
Die Mission ist politisch gleich doppelt heikel. Erstens: Ein grüner
Minister geht auf Einkaufstour, um den Nachschub fossiler Energien für das
Energiewende-Land Deutschland zu besorgen. Zweitens: Ein grüner Minister
sucht die Geschäfte ausgerechnet mit Katar. Mit jenem Land, das so oft
kritisiert wurde für seinen Umgang mit den Menschenrechten, speziell im
Zusammenhang mit den Vorbereitungen zur Fußball-WM 2022.
Damit hat die Weltpolitik die Grünen auf den Boden der Realität geholt.
Denn für Verfechter der reinen grünen Lehre schwinden die Alternativen. Der
Atomausstieg als Gründungsthema der Partei steht nicht zur Disposition. Ein
baldiger Kohleausstieg ist längst ein Imageprojekt. Und mit den russischen
Kriegsverbrechen gilt nun auch das Erdgas aus Deutschlands Hauptlieferland
als nicht mehr tragbar.
Man muss also auf andere Förderländer zurückgreifen. Weil bestehende, nicht
aus Russland kommende Pipelines weitgehend ausgelastet sind, muss man nun
notgedrungen Länder suchen, die auf dem Seeweg Gas liefern können. Solches
Flüssigerdgas wird damit zur letzten verbleibenden Alternative, um in den
kommenden Jahre jenen Energieverbrauch abzudecken, den die Erneuerbaren
(noch) nicht schaffen.
Das Erdgas wird dafür auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühlt, wird
somit flüssig, und benötigt nur noch ein Sechshundertstel seines
ursprünglichen Volumens. In Tankschiffen kann es dann rund um den Globus
transportiert und an europäischen Terminals ins hiesige Erdgasnetz
eingespeist werden. Korrekt spricht man von Flüssigerdgas (oder LNG,
Liquified Natural Gas).
Erdgas aus den USA ist umstritten
Dieses gilt es nun weltweit zu suchen. Aber warum ausgerechnet in Katar?
Weil das Land in der Vergangenheit der weltgrößte LNG-Lieferant war. Ganz
aktuell haben die USA mit ihren Mengen zwar aufgeschlossen. Doch deren
Erdgas ist umstritten, weil es durch Fracking gewonnen wird, auch
„unkonventionelle Förderung“ genannt. Dabei werden Chemikalien ins Gestein
gepresst, um dieses aufzubrechen. Man gefährdet Trinkwasser, und es
entweicht deutlich mehr des starken Treibhausgases Methan als bei der
Erschließung klassischer Lagerstätten. Auch Frackinggas wäre für einen
grünen Minister also schwer zu vermitteln.
Weitere LNG-Anbieter sind Australien, Malaysia, Nigeria und Indonesien.
Doch Katar kann eben am meisten liefern und ist vergleichsweise nah. Weil
Minister Habeck weiß, wie politisch angreifbar seine aktuelle Mission
ist, teilte sein Ministerium vor Reiseantritt mit, Gegenstand der Gespräche
in den Emiraten werde „neben den Fragen der Wirtschaftsbeziehungen auch der
Austausch zu gesellschaftlichen Werten“ sein. Daher werde „auch die Lage
bei den Menschenrechten eine Rolle spielen“.
Habeck betonte am Sonntag, dass er mit dem katarischen Wirtschaftsminister
auch über Arbeitsschutz und gewisse Arbeitsstandards gesprochen habe. Diese
seien zwingend notwendig für Investitionen. Sein Amtskollege habe das
verstanden, so Habeck.
Auch zur Energiewende hatte Habeck ein paar Sätze für heimische Kritiker
parat, ehe er sich auf den Weg nach Katar und in die Emirate machte. Es sei
nötig, „die künftige Umstellung von konventionellem Erdgas auf grünen
Wasserstoff jetzt noch schneller auf den Weg bringen“. Dies gehe am besten
im europäischen und internationalen Verbund. Dafür seien „unsere Partner in
Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten von zentraler Bedeutung“.
Schon jetzt kommen übrigens große Mengen an LNG nach Europa und damit auch
nach Deutschland. Der Branchenverband der deutschen Energiewirtschaft
(BDEW) berichtete von einem monatlichen Rekordhoch der europäischen
LNG-Importe bereits im Januar. Ein eigenes LNG-Terminal hat Deutschland
zwar nicht, aber einige der 26 Anlagen, die es in der EU derzeit gibt, sind
durch eine gute Infrastruktur angebunden, etwa jene in Dunkerque, Rotterdam
und Zeebrugge.
Will man das russische Gas in Europa komplett ersetzen, dürften es eng
werden. 60 Prozent der europäischen Kapazitäten befinden sich in Spanien
und Frankreich, wo die Infrastruktur nicht ausreicht, um genug Gas in
andere EU-Mitgliedstaaten zu transportieren.
Habeck muss ausloten, was geht
Deswegen will Deutschland nun möglichst schnell – in [2][Brunsbüttel] und
Stade – jene LNG-Terminals bauen, deren Umsetzung bis zuletzt strittig war.
Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine hatten Umweltverbände Front
gemacht dagegen mit dem Verweis auf „fossile Lock-in-Effekte“, also die
langfristige Bindung an fossile Infrastruktur. Vor allem auch die grüne
Basis hatte diese Ablehnung lange Zeit vehement vertreten. Bis der
Kriegsbeginn auch diese wie so viele andere Weltsichten hinwegfegte.
In einer solchen Situation der Entscheidung zwischen vielen Lösungen, von
denen jede einzelne bisher gehegte politische Ziele konterkariert, bleibt
einem Realpolitiker wie Habeck nur die eine Option: ausloten, was geht,
ausbauen, was sinnvoll erscheint. Deswegen war der Minister vergangene
Woche bereits in Norwegen, wo er mit dem dortigen Ministerpräsidenten Jonas
Gahr Støre eine „enge Zusammenarbeit“ vereinbare mit dem Ziel „möglichst
schnell großvolumige Wasserstoffimporte nach Deutschland“ zu ermöglichen.
Die reine grüne Lehre ist auch das freilich nicht. Denn es soll zumindest
für den Start um „blauen Wasserstoff“ gehen, also solchen, der unter
Entstehung von CO2 aus Erdgas erzeugt wird, das dann in Norwegen
unterirdisch eingelagert wird. Eine Technik, die in Deutschland ebenfalls
ökologisch umstritten ist. Man werde zudem eine Pipeline von Norwegen nach
Deutschland prüfen, „mit der perspektivisch grüner Wasserstoff
transportiert werden könnte“, sagte Habeck zudem. Die bestehenden
Erdgas-Lieferungen aus Norwegen nach Mitteleuropa sind nämlich bereits an
der Grenze ihre Kapazitäten angelangt.
Aber Infrastruktur braucht Zeit. Der Bezug von LNG aus Katar hingegen geht
theoretisch schnell, wenn man sich handelseinig wird. Denn die Schiffe
können ihren Zielhafen jederzeit ändern. Denkbar wird damit übrigens das
folgende Szenario: Europa ersetzt das russische Erdgas großteils durch LNG,
das bisher nach Asien gelangte. Russland verkauft unterdessen sein Gas, das
es in Europa nicht mehr absetzen kann, umso engagierter nach Asien,
speziell nach China. Energiewirtschaftlich wäre dies ein Nullsummenspiel.
Geostrategisch freilich eine Neusortierung.
20 Mar 2022
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DIR Bernward Janzing
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