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       # taz.de -- Romaday in Berlin: Für mehr Sichtbarkeit
       
       > Am Romaday fordern Berlins Rom_nja mehr Teilhabe und beeindrucken mit
       > Intersektionalität. Es gibt noch weitere spannende Veranstaltungen.
       
   IMG Bild: Hamze Bytyci (Die Linke, Roma-Trial) bei der Romaday-Parade am Freitag
       
       Berlin taz | Laut und fröhlich war die Parade zum Romaday, die am Freitag,
       den 8. April, durch die Mitte Berlins zog. Es gab Luftballons und Fahnen in
       den Farben der Romaflagge, und der Rapper Mal Élevé heizte den Kids, die um
       den Lautsprecherwagen tanzten, ordentlich ein.
       
       Das Motto der Parade „F*ck your Paradise“ spielt auf den ersten von Rom_nja
       organisierten Pavillon 2007 auf der Venedig-Biennale an. Der hieß „Paradise
       lost“.
       
       Wo das Paradies ist, wer Teil davon ist und ob sich das überhaupt lohnt,
       war immer wieder Thema in Rede- und Liedbeiträgen und Diskussionen im
       Anschluss der Parade.
       
       Die Anfangskundgebung am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten
       Sinti und Roma wurde von zwei Jugendlichen der Theatergruppe „Wir sind
       hier“ moderiert. Trotz eher schlechten Wetters und hoher Coronazahlen waren
       etwa 200 Teilnehmer_innen vor Ort, die unter lauten „Opre Roma“ („Roma
       steht auf“)-Rufen, von dort zur Volksbühne zogen. Anmelder der Demo war
       Hamze Bytyci (Die Linke), der die Selbstorganisierung Roma-Trial vor 10
       Jahren mitgegründet hat.
       
       Das Spezifische an Rom_nja-Diskriminierung aus seiner Sicht? „Keiner hörts,
       keiner siehts, keiner weiß davon.“ Und darum ist Sichtbarkeit auch so ein
       großes Thema für die Community, darum gehen sie auf die Straße und fordern
       lautstark ihre Teilhabe ein.
       
       ## „Werfen Sie Tomaten!“
       
       Saraya Gomis, Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung in der
       Senatsverwaltung für Justiz, machte den Akteur_innen der Community gleich
       zu Anfang ein unkonventionelles Angebot: „Kommen Sie notfalls mit Tomaten
       vor die Senatsverwaltung und bewerfen uns damit, damit etwas voran geht.“
       
       Die Selbstorganisierung der Rom_nja hat den Vertreter_innen der Politik
       also einiges beigebracht. Am Vorabend hatte die Integrationsbeauftragte des
       Berliner Senats, Katarina Niewiedzial, zur Podiumskussion geladen.
       Gemeinsam mit dem neu ernannten Antiziganismus-Beauftragten der
       Bundesregierung Mehmet Daimagüler, mit Violeta Balog von Amaro Foro, Milan
       Raković vom Rroma-Informations-Centrum sowie Doris Liebscher, Leiterin der
       Ombudsstelle bei der Landesantidiskriminierungsstelle Berlin, wurden dort
       Entwicklungen der letzten Jahre diskutiert.
       
       Dabei wurde insbesondere auf die positiven Entwicklungen geschaut. Laut
       Violeta Balog hat sich in den letzten Jahren enorm viel getan, die
       Bürger_innenrechtsbewegung sei viel greifbarer und sichtbarer geworden. Es
       sei wichtig, dass die Betroffenen für sich selbst sprächen. Mehmet
       Daimagüler betonte, er sei als Nicht-Angehöriger der Rom_nja-Community
       darauf angewiesen, von dieser Feedback zu bekommen.
       
       In der anschließenden Diskussion merkte eine Zuhörerin an, dass viele
       Politiker_innen die Rom_nja in Deutschland jahrelang als „Problem“
       wahrgenommen hätten: „Die Politik von dieser Sichtweise wegzubringen, war
       ein Erfolg der Selbstorganisierung.“
       
       In der Podiumsdiskussion wurde auch deutlich, wie die Belange von Rom_nja
       auf unterschiedlichen Ebenen unterdrückt wurden und teils noch werden: Ob
       es darum ging, ein Denkmal für im Nationalsozialismus ermordete Sinti:zze
       und Romn:ja zu errichten und zu erhalten, sie in politische
       Entscheidungsprozessen einzubinden, Repräsentation in öffentlichen Ämtern
       zu schaffen oder sie als Geflüchtete zu schützen, wie im aktuellen
       Ukraine-Krieg, wo Rom_nja und Sinti_zze in Ankunftsstrukturen mit
       Diskriminierung und Abweisung zu rechnen haben. Rom_nja haben keinen Staat,
       in den sie flüchten könnten, sie haben keine Botschaft, die sie aus
       Kriegsgebieten holt. Und oft genug keine Ausweispapiere, um Grenzen zu
       passieren und in Aufnahmeländern ins Asylverfahren aufgenommen zu werden.
       Sie stehen in jeder Hinsicht hinten an.
       
       Seit Jahrhunderten in Deutschland 
       
       Und das, obwohl Sinti_zze und Romn_ja seit Jahrhunderten in Deutschland
       leben, laut Schätzungen der verschiedenen Sinti:zze und Romn_ja-Verbände
       sind es aktuell etwa 70.000 bis 150.000. Sie sind die größte ethnische
       Minderheit Europas und doch nahezu unsichtbar. Oder, wie Daimagüler es
       ausdrückt: „Es gibt keinen Bereich des öffentlichen Lebens, wo sie nicht
       ihre Spuren hinterlassen haben.“
       
       Vor diesem Hintergrund beeindruckt es, wie intersektional die Redebeiträge
       bei der Parade ausgewählt wurden. Keine Opferkonkurrenz, sondern
       konsequentes Zusammendenken steht auf dem Plan der Community. Denn sie
       weiss um die Wichtigkeit der Solidarisierung, gerade als Minderheit, die
       stets vergessen wurde.
       
       So gab es Redebeiträge aus der afghanischen Community, vom Korea-Verband,
       vom International Woman Space und von der Reach Out–Opferberatung. Der
       Tenor: All Refugees welcome, wider die Spaltung, wider das Gerede von den
       guten, den weißen, den gebildeten Geflüchteten. Die Kämpfe müssen
       solidarisch gekämpft werden. Nur so kann es was werden mit dem Paradies.
       
       Im Anschluss an die Parade führte die Jugendgruppe „Wir sind hier!“, ein
       Zusammenschluss aus Jugendlichen aus Berlin und Kiew, ein Forumtheaterstück
       im Grünen Salon auf. Dabei ging es um die Verfolgung, Zurückweisung und
       Unterdrückung von Rom_nja in Deutschland.
       
       10 Apr 2022
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bo Wehrheim
       
       ## TAGS
       
   DIR Sinti und Roma
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   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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