# taz.de -- Russische Sprache in der Ukraine: Verständlich, aber unklug
> Russisch soll in der Ukraine seinen Schutzstatus verlieren. Der Schritt
> könnte angesichts der vielen Russischsprachigen im Land nach hinten
> losgehen.
IMG Bild: Das war einmal: „Es lebe die große sowjetische Freundschaft!“, sowjetisches Plakat in ukrainischer (oben) und russischer Sprache
Translator
Wer verstünde nicht, dass viele Ukrainer*innen nach knapp 1.400 Tagen
vollumfänglicher russischer Invasion mit Abscheu, ja abgrundtiefem Hass
reagieren, wenn sie die Sprache des Aggressors hören. Doch ob ein
Gesetzentwurf der Regierung, der seit Kurzem dem Parlament vorliegt, eine
politisch kluge Entscheidung ist, darf bezweifelt werden.
Dem Vorschlag zufolge, der bereits im Dezember vergangenen Jahres auf dem
Tisch lag, soll das Russische in der Ukraine von der Liste besonders zu
schützender Minderheitensprachen gestrichen werden. Dem steht jedoch
[1][die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des
Europarates] entgegen, die in der Ukraine seit dem 1. Januar 2006 in Kraft
ist. Und nicht nur das: Auch Artikel 10 der ukrainischen Verfassung stellt
die russische Sprache – neben anderen – explizit unter den Schutz des
Staates.
Es ist nicht das erste Mal, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine
Regierung etwas zu kreativ mit ihren Rechtsgrundsätzen umgehen. Erinnert
sei an den Versuch, [2][im Sommer zwei Antikorruptionsbehörden auf Linie zu
bringen]. Das Vorhaben scheiterte. Auch der jetzige Vorstoß ist juristisch
anfechtbar, wirft jedoch noch andere Fragen auf.
Das gilt umso mehr, als Sprache in der Ukraine ein Politikum und seit dem
24. Februar 2022 umstrittener ist denn je. Auch wenn viele etwas anderes
behaupten: Es ist nicht willkommen, aber keineswegs verboten, in der
Ukraine Russisch zu sprechen. Diskriminierung mag es geben, aber sie ist
kein Massenphänomen. Russisch ist die Muttersprache jedes dritten
Ukrainers, jeder dritten Ukrainerin. Von ihnen steht ein Großteil für das
Land ein.
Warum die Regierung gerade jetzt Handlungsbedarf sieht, erschließt sich
nicht. Die Initiative könnte zudem nach hinten los gehen: Die Gesellschaft
dürfte weiter polarisiert werden, der Kreml bekommt eine weitere
Steilvorlage für seine Propaganda. Braucht die Ukraine das? Nein, es gibt
weitaus wichtigere Probleme: Der nächste Winter steht vor der Tür.
14 Oct 2025
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## AUTOREN
DIR Barbara Oertel
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