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       # taz.de -- SEK sucht Rentner: Deutsche wieder mobilisiert
       
       > lm Regionalverkehr von NRW wurde die RAF-Vergangenheit erfolgreich
       > nachgestellt: Denunziation, Kopfgeld, Spezialeinsatzkräfte – alles war
       > dabei.
       
   IMG Bild: BKA-Handouts, undatiert – aber brandaktuell
       
       Huch, ist das aufregend! Am Samstag ging die Polizei in Wuppertal auf
       Verbrecherjagd. Ein Augenzeuge hatte im Zug einen älteren Herrn gesehen,
       den er aus dem Fernsehen zu kennen glaubte: [1][Ernst-Volker Staub],
       gesucht für Raubüberfalle und Beteiligung am RAF-Terror. Nach dem Notruf
       aus der Regionalbahn startete die große Maschinerie: Der Zugverkehr
       großzügig umgeleitet, Sondereinsatzkräfte aus ganz Nordrhein-Westfalen im
       Anmarsch, Beamte mit Helm und Maschinenpistolen auf den Bahnsteigen. „Dann
       ging auch noch das Licht im Zug aus“, zitiert die Bild eine Passagierin.
       „Es war eine bedrückende Stimmung.“
       
       Endlich bekommen [2][wir Spätgeborenen den Hauch einer Ahnung davon, wie es
       damals gewesen sein muss.] Der Einsatz von Wuppertal als Reenactment der
       1970er Jahre, als der Staat einmal zeigte, zu welchem Fahndungsaufwand er
       in der Lage ist. Die Polizei verteilte hunderttausendfach vervielfältigte
       Flugblätter und betrieb engmaschige Verkehrskontrollen; kaum ein
       Langhaariger blieb unbehelligt. In einem Waldstück wird nachts ein
       verdächtiges Auto gemeldet? Direkt mal die Häuser des anliegenden Dörfchens
       stürmen. Im „[3][Deutschen Herbst“] 1977, so steht es in den Büchern,
       erreichten die Maßnahmen ihren Höhepunkt – als Reaktion auf den real
       existierenden und menschenverachtenden Terrorismus der Roten Armee
       Fraktion.
       
       Das Schöne dagegen an der neuen polizeilichen Leistungsschau (neben der
       Tatsache, dass erneut die Jungen von damals im Visier sind, und wir Jungen
       und Mittelalten von heute entspannt zusehen dürfen): Einen so bitterernsten
       Antagonisten gibt es diesmal nicht. Der Peak des zeitgenössischen
       Linksterrorismus sind mit Hammern bewaffnete Antifas, danach kommt bis zu
       den Klimaklebern lange nichts – und sogar die haben sich von ihrer
       radikalsten Aktionsform mittlerweile verabschiedet.
       
       Immerhin das haben sie wohl gemeinsam mit Staub (69) und den mit ihm
       gesuchten Burkhard Garweg (55) und Daniela Marie Luise Klette (65): Das
       seit Jahrzehnten untergetauchte Trio gehörte der dritten Generation der RAF
       an, ist nach Ansicht der Ermittler*innen aber schon längst nicht mehr
       politisch aktiv. Nur zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts hätten sie bis
       ins Jahr 2016 etliche Raubüberfälle begangen. Seit acht Jahren ist damit
       aber offenbar auch Schluss.
       
       ## Wofür es noch reicht
       
       Fü[4][r „Aktenzeichen XY“] immerhin reicht es. Die älteste True-Crime-Show
       der Welt zeigte am Mittwoch mal wieder verschwommene Überwachungsaufnahmen
       der Gesuchten. Über die ZDF-Sendung hatte in den späten 1960er Jahren
       Ulrike Meinhof – noch nicht als RAF-Gründerin, sondern als Konkret-Autorin
       – geschrieben, sie zeige, „inwieweit Kriminelle sich als Hassobjekte in
       Deutschland eignen und inwieweit Deutsche auf diese faschistische Manier
       mobilisierbar und gleichzeitig kontrollierbar“ seien. Zugespitzt
       formuliert, sicherlich. Der Fall Wuppertal deutet aber zumindest darauf
       hin, dass die Mobilisierung noch immer funktioniert: Drei Tage nach der
       Ausstrahlung kam der Anruf aus der Regionalbahn.
       
       Dazu beigetragen haben sicherlich auch die ausgelobten 150.000 Euro
       Belohnung für entscheidende Hinweise auf das RAF-Trio. Und die
       Argumentation des zuständigen Staatsanwalts in der Livesendung: Unzählige
       Menschen seien durch die Überfälle der drei schwer traumatisiert worden.
       Dass keine weiteren Fälle dazukommen, sei nicht garantiert.
       
       Fair point: Unvermittelt vermummten und schwer bewaffneten Personen
       gegenüberzustehen – das wünscht man tatsächlich niemandem. Folgerichtig
       also, dass die Sensibilität in der Bevölkerung aktuell erhöht ist gegenüber
       Menschen, auf die die Täterbeschreibung zutrifft (bisschen über 1,80 Meter,
       alt, die Zähne auch nicht mehr die besten). Und richtig so, dass der
       mutmaßliche Ernst-Volker Staub in Wuppertal unvermittelt vermummten und
       schwer bewaffneten Personen gegenüberstand. Ohne solche Vorkehrung bei der
       Festnahme wäre das Eskalationsrisiko bei Tätern höheren Alters erhöht, auch
       darauf wies die Staatsanwaltschaft bei „Aktenzeichen XY“ hin: „Aufgrund des
       Verlustes kognitiver Fähigkeit kann es bei Konfrontationen mit der Polizei
       durchaus zu Todesfällen kommen.“ Traue keinem Terroristen über 60.
       
       Am Samstagabend stellte sich schließlich heraus, dass es sich bei dem
       Fahrgast doch nicht um den gesuchten Ex-Terroristen handelte. Aber ein
       Beinbruch ist das nicht. Der Vorteil an der alternden Gesellschaft: Es
       kommen genügend andere Gelegenheiten zum Zugriff. Schon heute sind knapp 15
       Millionen Deutsche über 60. Viele von uns begegnen den Alten im Alltag,
       nicht wenige von uns sind selber welche. Der SEK-Einsatz von Wuppertal, er
       muss also nicht der letzte bleiben. Ernst-Volker, das Reenactment geht
       weiter!
       
       18 Feb 2024
       
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