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       # taz.de -- Sängerin Y'akoto über Umzug nach Ghana: „Ich bin auf jeden Fall eine Hexe“
       
       > Während der Pandemie zog die in Hamburg geborene Sängerin Y’akoto nach
       > Ghana. Mit der taz spricht sie über die Gründe und über das Matriarchat.
       
   IMG Bild: Blüte, Feuer, Vulva oder doch einfach eine Hexe? Y’akoto in Kostüm
       
       taz: Frau Y’ akoto, warum haben Sie sich entschlossen, Deutschland zu
       verlassen und wieder nach Ghana zu ziehen? 
       
       Y’akoto: Ich hatte das Gefühl, in Hamburg und Berlin künstlerisch in einem
       Hamsterrad gefangen zu sein. Musikalisch wollte ich mich weiterentwickeln,
       anstatt mich zu wiederholen. [1][Nachdem ich in Deutschland viel erlebt und
       gelernt hatte], wurde es Zeit für einen Umbruch. Deshalb bin ich 2016 nach
       Paris gegangen, um meinen Horizont zu erweitern. Dort habe ich tolle
       Künstler:innen aus Kamerun, Togo und eben auch aus Ghana kennengelernt.
       Das hat die Neugier auf mein Herkunftsland, in dem ich als Kind viel Zeit
       verbracht hatte, geschürt. 2018 habe ich mich dann auf den Weg nach Ghana
       gemacht.
       
       Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert? 
       
       Alle fragten, was ich in Ghana zu suchen habe, denn dort gebe es gar keine
       funktionierende Musikindustrie. Das war schon ein Stunt, aber dadurch habe
       ich an mir gelernt, dass es mir tatsächlich um die Kunst geht und nicht per
       se um Erfolg. So bin ich also eine unabhängige Künstlerin geworden – ohne
       Plattenfirma. Als dann 2020 die Pandemie begann, bin ich einfach in Ghana
       geblieben. Inzwischen pendle ich zwischen Accra und London.
       
       Welchen Einfluss hatte der Umzug auf Ihr Album „Part 4: The Witch“? 
       
       Einen sehr massiven. Zum einen war meine künstlerische Freiheit die größte
       Inspiration. Andererseits hat mich vor allem das Nachtleben in Accra
       angetrieben. Ich bin zum Vampir mutiert und habe die Club- und Subkultur
       eingesaugt. Ich liebe Underground-DJs, die die Urform von [2][Afrobeat] mit
       der modernen Variante Afrobeats mischen.
       
       Sind Afrobeats die Basis Ihrer Songs? 
       
       Es ist unmöglich, meine Musik zu kategorisieren. Ob Powerballaden,
       Experimentelles, Afrobeats, Pop oder R&B: Auf meinem Album findet sich
       alles.
       
       Definieren Sie sich, wie der Albumtitel suggeriert, als Hexe? 
       
       Ich bin auf jeden Fall eine Hexe. Für mich steht sie für Rebellion,
       Meinungsstärke, Selbstbestimmung. Vom 14. bis zum 17. Jahrhundert wurden
       Frauen, die allein mit Katzen gelebt haben, als Hexen bezeichnet. Nur, weil
       sie einen alternativen Lebensentwurf hatten. Sie waren gebildet und
       unabhängig, weder dem Patriarchat noch der Kirche wollten sie dienen.
       Deshalb schlug ihnen Hass entgegen.
       
       Stichwort Rebellion: Widmet sich Ihr Lied „Peace to the Youth“ diesem
       Thema? 
       
       Ich bin der Meinung, dass Kinder und Teenager am interessantesten sind. Die
       Fähigkeit, die Welt kritisch zu betrachten, hat man am ehesten, wenn man
       jung ist. Darum ist es für mich ein Unding, dass wir Älteren so viel
       Vertrauen schenken – geraden Politiker:innen. Die wichtigsten
       Entscheidungen auf diesem Planeten werden von Leuten getroffen, die
       vielleicht noch 15 bis 20 Jahre zu leben haben. Je älter man wird, desto
       mehr hat man zu verlieren: Häuser, Geld, Verantwortung. Dementsprechend
       werden jetzt Kriege geführt, die auf Territorialansprüche zurückzuführen
       sind: Das gehört uns! Ich finde einfach, dass die Generation Z viel
       intelligenter agiert, wenn sie den Fokus auf die Klimakrise und die
       Nachhaltigkeit legt.
       
       War es ganz in Ihrem Sinne, dass in Deutschland erstmals 16- und 17-Jährige
       wählen durften? 
       
       Für mich ist das Jungsein an sich mit dem Hang zum Hinterfragen ein super
       Phänomen. Ob man mit 16, 17 schon die Weitsicht hat, sehr wichtige
       Entscheidungen zu treffen, ist eher eine politisch-moralische Frage. Da bin
       ich skeptisch. Besonders, weil wir über Social Media undifferenziert
       Informationen zugeschossen bekommen. Viele sind nicht gut recherchiert,
       also nicht fundiert. Ich halte es für problematisch, wie schnell sich nicht
       nur junge Menschen für oder gegen etwas entscheiden.
       
       Wie bewerten Sie den EU-weiten Rechtsruck bei der Europawahl – auch in
       Deutschland? 
       
       Meine Antwort als Hexe wäre: Wir sind leider gefangen in den Zyklen der
       Zeit, darum wiederholt sich Geschichte immer wieder – solange wir nicht den
       Mut haben, uns wirklich von innen heraus zu verändern. Als Y’akoto sage
       ich: Geschichtlich betrachtet liegt der Genozid an den Juden während des
       Zweiten Weltkriegs noch nicht lange zurück. Umso merkwürdiger ist es, dass
       sich Deutschland wieder in diese Richtung bewegt. Die Deutschen wollen
       gesehen werden, ihre Gefühle sollen anerkannt werden. Das haben die
       Rechtspopulist:innen begriffen. Sie appellieren an die negativen
       Gefühle der Menschen. An ihre Angst, ihre Sorgen.
       
       Solche Ängste werden oft auf Emigrant:innen projiziert. Handelt das
       Stück „London“ von ihnen? 
       
       Ich spreche über Menschen, die man gern übersieht. Der Song beginnt damit,
       dass ich sehe, wie sich ein Mann in der Nähe einer Bahnstation einen Schuss
       setzt. Selbst wenn jemand Drogen nimmt, ist diese Person doch mal mit der
       Hoffnung auf ein besseres Leben in eine Großstadt fernab ihrer Heimat
       gekommen. Viele ihrer Träume werden dann von der harten Realität zerstört.
       London ist sehr teuer, es regnet ständig, die Herausforderungen der
       Großstadt sind enorm. Alles, was man findet, ist Enttäuschung.
       
       Auf der anderen Seite gibt es in „Silver Lining“ die Zeile: „Done with
       being depressed, it’ s so out of fashion“. 
       
       Ich spüre ein kollektives Gefühl von Depression. So viele Leute in meinem
       Alter stecken in Jobs fest, die sie eigentlich gar nicht machen wollen. Sie
       wurden vom System aufgesaugt. Genauso sehe ich aber Menschen, die zu dem
       Schluss kommen: Ich habe genug davon, deprimiert zu sein. Das ist so aus
       der Mode. Sie verlassen die Stadt und somit dieses Leben, in dem man nur
       Geld, Erfolg oder materiellen Dingen hinterherjagt.
       
       Sind Sie selbst manchmal depressiv? 
       
       Ich bin wahrscheinlich die am wenigsten deprimierte Person, dich ich kenne.
       Denn ich habe das Privileg, mich als Künstlerin täglich ausdrücken zu
       können. Zugleich trage ich eine große Verantwortung in Bezug auf das, was
       ich sage, wie ich mich präsentiere und welche Energie ich in die Welt
       hineintrage. Ich glaube immer an ein positives Ergebnis.
       
       Auch wenn Sie an die Rolle der Frau in der ghanaischen Gesellschaft denken? 
       
       Nach dem Ende der [3][Kolonialgeschichte] musste sich der afrikanische
       Kontinent der westlichen Kultur anpassen. Das Patriarchat hat das
       Matriarchat verdrängt. Bis heute werden Frauen unterdrückt, die sich den
       Konventionen widersetzen, nicht in einem bestimmten Alter heiraten, frei
       denken und auf ihre Unabhängigkeit pochen.
       
       29 Jul 2024
       
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