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       # taz.de -- Schulferien in Bayern: Die globalisierte TK-Breze
       
       > Pünktlich wie der Stau kommt die Debatte über Bayerns Ferien-Sonderweg.
       > Identitätspolitik? Beherrscht keiner so souverän wie Markus Söder.
       
   IMG Bild: Die globalisierte TK-Breze
       
       Identitäten sind volatil. Man bekommt sie übergestülpt bei Geburt – qua
       Staatsbürgerschaft – oder durch kulturelle Tradition – Taufe, Kommunion,
       Firmung. Plötzlich ist man Deutscher oder Katholik. Plötzlich ist man ein
       Mann, wird als solcher gelesen, zum Beispiel wenn man nachts eine Straße
       entlanggeht und auf einmal spannt, für die Frau vor mir bin ich jetzt eine
       konkrete Bedrohungslage.
       
       Und so wie eine Erziehung der Gefühle zum Prozess des Erwachsenwerdens
       gehört, so auch eine Erziehung der eigenen Identitäten. Im aufgeklärten
       Kosmos steht das unter dem Leitstern der Emanzipation: Ich erfahre, ich
       lerne, die Person zu sein, die ich sein möchte, ich setze mich mit meinen
       Privilegien und strukturellen Benachteiligungen auseinander, ich
       konstituiere mich in einer, aber vor allem gegen eine Welt, die mir dauernd
       vorschreiben möchte, wer ich gefälligst zu sein habe.
       
       Identitätszuschreibungen wirken aber auch integrierend, ermächtigend.
       Bayern ist dafür ein gutes Beispiel. Wer sich ein Dirndl oder eine
       Lederhose anzieht, wer eine globalisierte Weißwurst aus der eingeschweißten
       Verpackung zutzeln mag (samt TK-Breze) und simplen Rhythmen folgen kann,
       alle die dürfen auch in Berlin oder in Arnsberg Oktoberfest feiern – und
       bayerisch sein.
       
       Dieses Bayerische ist heute sozusagen das einzige noch im Angebot
       befindliche positive gesamtdeutsche Identitätsangebot, nachdem Preußentum
       und Wirtschaftswunder-/Autoland sich erledigt haben. Bayern ist heute,
       gerade auch im Ausland, Deutschland – nicht umsonst trägt Friedrich Merz
       gern Trachtenanzug und hat ein [1][„Häuserl“] mit Blick auf die
       gesamtdeutsche Eliteenklave Tegernsee.
       
       ## „Nation Branding“
       
       Diese identitätspolitische Integrationskraft, heute „Nation Branding“
       genannt, hat Bayern – lange Zeit [2][ein rückständiges Randgebiet] der
       deutschen Nation – sich mühsam aneignen müssen.
       
       „Das moderne Bayern“, [3][sagt der Regensburger Professor für Bayerische
       Landesgeschichte Bernhard Löffler,] beginnt vor gut 200 Jahren „mit dem
       Eingliedern der sogenannten neubayerischen Gebiete Schwaben und Franken. Da
       entsteht ein ‚Staatsbayern‘, das dann über die Brüche des 19. und 20.
       Jahrhunderts in erstaunlicher Konstanz bewahrt wird. Wenn man andere
       Bundesländer ansieht, ist es dort wesentlich komplizierter.“
       
       Und Löffler erinnert im Gespräch mit der taz auch daran, wie man einen
       Staat macht: „Es gibt kein Bundesland, das ähnlich mit landeshistorischen
       Professuren ausgestattet ist wie Bayern, nicht mal annähernd. In Bayern ist
       an jeder Uni mindestens eine solche Professur vorhanden. Das ist ein sehr
       bewusstes Institutionalisieren.“
       
       Womit wir bei der unabänderliche Terminierung der bayerischen Sommerferien
       sind, die – [4][es ist wirklich schon oft gesagt worden] und taucht
       deswegen erst jetzt in diesem Text auf – einer der zentralen Marker
       bayerischer und somit eben auch Söder’scher Identitätspolitik sind.
       
       Söder ist, was das Beharren wie das Setzen solcher Marker angeht, ein
       Overachiever, weil er selbst ein „Neubayer“ ist. Von seiner fränkischen,
       evangelischen Herkunft her hat er mit den barocken,
       bedirndelt-lederbehosten „Altbayern“ nicht mehr zu tun als der Sauerländer
       Merz – der ist wenigstens katholisch.
       
       ## Das Söder’sche McBayern
       
       Unvergessen jedenfalls in Bayern ist das sogenannte [5][„Dirndl-Gate“.]
       Marga Beckstein, als Ehefrau des damaligen (fränkischen, evangelischen)
       Ministerpräsidenten Günther Beckstein weigerte sich trotz ihrer
       inoffiziellen Rolle als „Landesmutter“ beim Oktoberfest Dirndl zu tragen.
       Sie sei in Nürnberg aufgewachsen und da gebe es keine Tracht, zitierte sie
       die SZ.
       
       Das ist 15 Jahre her und wirkt angesichts des Söder’schen
       Identitässtaubsaugens so ehrenfraumäßig wie hoffnungslos altmodisch. Dass
       die aktuell von Gebilden wie NRW und Thüringen vorgebrachten Forderungen,
       die Bayern mögen sich doch ferienmäßig den anderen Bundesländern anpassen,
       auch diesmal wieder gescheitert sind, verstärkt diese Identitätsblase nur
       noch: Bayern ist in dieser Lesart nicht nur ein sehr stures, sondern auch
       ein sehr starkes Land – und wie gesagt, das Angebot steht: Tendenziell
       können alle Söder-Bayern sein.
       
       Dass das gar nicht alle sein wollen – schon klar und geschenkt, es geht ja
       hier um Mehrheitstrends. Die Sache hat aber eine noch traurigere Seite:
       Eine bayerisch-obstinate, un- und antideutsche Identität jenseits des
       Söder’schen McBayern ist, wenn überhaupt, nur noch in Reservaten zu finden,
       die Marke ist einfach zu stark.
       
       Aber zum Glück sind nicht nur Identitäten volatil, sondern auch die Macht.
       Mag ja sein, dass die August- und September-Sommerferien [6][„fest
       verankert“ sind in der „DNA der Bayern]“, wie Söder nun sagt – seine
       Herrschaft aber dauert genauso lang, wie er seine Netzwerke
       zufriedenstellt. Und mit denen ist es ähnlich wie mit den Ferien: Die gehen
       immer schneller vorbei, als man sich das zu Beginn hat vorstellen können.
       
       16 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.abendzeitung-muenchen.de/bayern/so-lebt-friedrich-merz-am-tegernsee-einblicke-der-anwohner-art-1036647
   DIR [2] /Braune-Tradition-zwischen-Main-und-Alpen/!5956403
   DIR [3] /Buch-ueber-Bayerns-Weg-in-die-Moderne/!6068700
   DIR [4] /Aenderung-des-Ferienbeginns-in-Bayern/!5641065
   DIR [5] https://www.sueddeutsche.de/bayern/dirndl-gate-marga-beckstein-bleibt-eisern-1.708883
   DIR [6] https://www.deutschlandfunk.de/schulferien-diskussion-soeder-erteilt-nrw-absage-108.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ambros Waibel
       
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