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       # taz.de -- Schulunterricht in Schleswig-Holstein: Landesregierung will an politischer Bildung sparen
       
       > Schleswig-Holstein will die Zahl der Schulstunden in der Oberstufe
       > kürzen. Das soll auch den Geografie- und Politikunterricht treffen.
       
   IMG Bild: Die Schüler*innen hätten gerne weniger Stunden – aber bitte nicht in Politik oder Geografie
       
       HAMBURG taz | [1][Schleswig-Holstein befindet sich auf Sparkurs],
       anscheinend auch bei der politischen Bildung. Die Landesregierung plant,
       die Unterrichtsstunden an Gemeinschaftsschulen und Gymnasien zu reduzieren
       und damit auch gesellschaftswissenschaftliche Fächer zu schwächen. [2][Zu
       diesen zählen neben Religion und Philosophie auch Geschichte, Wirtschaft
       und Politik (Wi-Po) sowie Geografie.] Dabei werden gerade in diesen Fächern
       Krisen wie der Klimawandel, der Rechtsruck und Kriege behandelt.
       
       Die angekündigten Kürzungen sollen folgendermaßen aussehen: Zunächst werden
       die Stunden bis zur Oberstufe gleichmäßig für jeden Fachbereich reduziert.
       Hiervon ist Wi-Po zunächst ausgenommen. In der Oberstufe muss dann zwischen
       Wi-Po- und Geografieunterricht gewählt werden. Bisher musste dasjenige
       Fach, welches für die Oberstufe nicht gewählt wurde, trotzdem verpflichtend
       für ein weiteres Schulhalbjahr belegt werden. Dieses verpflichtende
       Halbjahr fällt nun weg.
       
       Die Ankündigung der Regierung richtet sich gegen die [3][Empfehlung der
       Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz]. Diese
       empfiehlt in einer Stellungnahme im Juli 2024 klar „die langfristige
       Stärkung der Fächer Politik und Geschichte“. Die Forschungslage zeige, dass
       den Jugendlichen politisches Wissen und Vertrauen in die Politik fehle.
       
       Dem aktuellen [4][Druck auf den demokratischen Rechtsstaat] müsse man in
       der Schule begegnen, wo noch alle Kinder erreicht werden, finden die
       Wissenschaftler*innen. Denn an den Schulen würden „demokratiefeindliche,
       rechtsextremistische, antisemitische, antimuslimische oder andere
       menschenfeindliche Aussagen offen geäußert“.
       
       ## Mehr rechte Gewalt an den Schulen
       
       Das gilt auch für Schleswig-Holstein. [5][Im Schuljahr 2023/24 gab es dort
       24 dokumentierte Fälle rechter Gewalt an Schulen]. Ein Anstieg zum vorigen
       Schuljahr um 118 Prozent. Und auch in einem der letzten Bundesländer, indem
       die AfD nicht mehr im Landtag sitzt, [6][war die Partei bei den 16- bis
       24-Jährigen zweitstärkste Kraft bei den jüngsten Europawahlen, bei jungen
       Männern mit fast 20 Prozent sogar stärkste Kraft.]
       
       Aus Sicht des Landesbeauftragten für politische Bildung, Christian
       Meyer-Heidemann, sind die Kürzungspläne im Fach Wi-Po ein „fatales Signal“.
       Und es sei nicht das erste Mal, dass eine Entscheidung zulasten dieses
       Faches getroffen werde, berichtet er der taz.
       
       Vor der Oberstufenreform in Schleswig-Holstein 2021 mussten die
       Schüler*innen nämlich zwei von den drei Fächern Religion, Geografie und
       Wi-Po für die Oberstufe wählen. Durch die mit der Reform eingeführte
       Privilegierung des Religionsunterrichts, der nun ebenso wie Geschichte bis
       zum Abitur verpflichtend ist, sei die Konkurrenz zwischen den Fächern
       Geografie und Wi-Po bereits verschärft worden.
       
       Auch in der Mittelstufe (Klassen 7 bis 10) reicht der Wi-Po-Unterricht nach
       Ansicht Meyer-Heidemanns nicht aus. Die meisten Schüler*innen erhielten
       erst in den Klassenstufen 9 und 10 zweistündig Wi-Po-Unterricht.
       
       „Die politische Bildung muss aber in Zeiten, in denen Jugendliche in
       sozialen Netzwerken schon viel früher mit politischen Inhalten konfrontiert
       werden, auch viel früher ansetzen“, fordert Meyer-Heidemann. Im Übrigen
       widerspreche die geplante Kürzung den Beschlüssen zur Stärkung der
       politischen Bildung, die von allen Fraktionen im Landtag getragen wurden.
       
       Das schleswig-holsteinische Kultusministerium rechtfertigt die Pläne damit,
       dass Demokratiebildung ja nicht nur im Fach Wi-Po stattfinde, sondern eine
       Querschnittsaufgabe sei. Eine Sprecherin verweist zudem auf die
       internationale ICCS-Studie zur politischen Bildung, die bei
       Schüler*innen in Schleswig-Holstein ein „gutes politisches Fachwissen“
       nachgewiesen habe.
       
       Auch das ist für Meyer-Heidemann kein gutes Argument: „Der Mittelwert ist
       zwar okay, alarmierend ist aber die große Streuung“, findet er. Es gibt
       viele Schüler*innen, die ein sehr gutes politisches Wissen haben und
       gleichzeitig viele, die kaum politisches Wissen haben.“ Das gefährde die
       Demokratie. Denn junge Menschen, die ohne ausreichendes politisches Wissen
       die Schule verließen, seien besonders anfällig für Desinformation,
       Populismus und Extremismus, warnt der Landesbeauftragte für politische
       Bildung.
       
       Auch der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Martin
       Habersaat, kritisiert die angekündigte Regelung für die Oberstufe. Neben
       den Fächern Wi-Po und Geschichte sei auch das Fach Geografie, in dem die
       Globalisierung und der Klimawandel behandelt werden, zentral für das
       Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen, schreibt Habersaat in einer
       Pressemitteilung.
       
       Die Landesschüler*innenvertretung, begrüßt, dass das Stundenkontingent
       verringert wird. „Die Belastung in der Oberstufe ist extrem hoch. Die
       Kürzung der Stunden hatten wir uns gewünscht“, sagt Landesschülersprecher
       Lovis Eichhorn.
       
       Die Regelung bei Wi-Po und Geografie sehen die Schüler*innen aber
       äußerst kritisch: „Wir sehen ein, dass gekürzt werden muss aber, das darf
       nicht sein.“ Eine Kürzung bei anderen Fächern hätten die Schüler*innen
       bevorzugt. So seien besonders Naturwissenschaften sehr dominant im
       Lehrplan.
       
       Auch die Schüler*innen sehen das Problem des steigenden Extremismus an
       Schulen und in der Gesellschaft. „Es wird extrem schwierig, die teils sehr
       komplexen Sachverhalte zu vermitteln“, sagt Eichhorn.„Unsere Sorge ist,
       dass Menschen nicht partizipieren können und dass dies ausgenutzt wird.“
       
       10 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Luecke-in-Schleswig-Holsteins-Haushalt/!6028821
   DIR [2] https://www.schleswig-holstein.de/DE/fachinhalte/S/schuelerinnen_und_schueler/landesschuelervertretung
   DIR [3] https://swk-bildung.org/pressemitteilungen/stellungnahme-zur-demokratiebildung-swk-empfiehlt-staerkung-der-faecher-politik-und-geschichte/
   DIR [4] /Spendensammler-will-Demokratie-schuetzen/!6053980
   DIR [5] https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl20/drucks/02400/drucksache-20-02446.pdf
   DIR [6] https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/RWS_SH_EUW_2024.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marie Dürr
       
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       an.