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       # taz.de -- Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Die kleine Chronik des §218
       
       > Vor 25 Jahren reformierte der Bundestag das Strafgesetz. Abtreibungen
       > sind verboten, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei.
       
   IMG Bild: Demo für mehr Selbstbestimmung
       
       Berlin taz | Seit 1871 verbietet in Deutschland der Paragraf 218 des
       Strafgesetzbuchs den Schwangerschaftsabbruch. In seiner heutigen Form gilt
       er seit 25 Jahren – [1][seit der Bundestag sich am 29. Juni 1995] nach
       langem Streit auf einen Kompromiss einigte: Danach sind
       Schwangerschaftsabbrüche zwar verboten, bleiben aber straffrei, wenn die
       Frau eine dreitägige Bedenkfrist einhält und sich beraten lässt. Dies gilt
       bis zur zwölften Woche nach Empfängnis. Danach muss ein Arzt oder eine
       Ärztin bescheinigen, dass ein Austragen der Schwangerschaft nicht zumutbar
       ist.
       
       Die SPD hatte dem Kompromiss 1995 zugestimmt, weil sie befürchtete, die
       damals mit der FDP regierende CDU werde sonst erneut vor das
       Bundesverfassungsgericht ziehen. Das hatte diese erfolgreich getan,
       [2][nachdem der Bundestag 1992 mit den Stimmen von 32 Unionsabgeordneten]
       eine Fristenlösung beschlossen hatte. Nach dieser waren
       Schwangerschaftsabbrüche im ersten Trimenon legal.
       
       Die DDR war diesen Schritt bereits 1972 gegangen. In der Bundesrepublik
       hatte das Bundesverfassungsgericht ein solches Gesetz 1975 für
       verfassungswidrig erklärt, ein Jahr später [3][verabschiedete der Bundestag
       die sogenannte Indikationenlösung]: Ein Schwangerschaftsabbruch war danach
       nicht strafbar, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr war, sie sich in
       einer Notlage befand, die Schwangerschaft das Resultat einer Vergewaltigung
       war oder der Fötus eine Behinderung hatte.
       
       [4][Die Fristenlösung verwarf das Bundesverfassungsgericht 1993]. Es
       erkannte eine „grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes“ der Frau.
       Der Staat müsse dafür sorgen, dass sie dieser nachkomme. In seinem Urteil
       diktierte der zweite Senat detailliert, wie eine Regelung auszusehen habe.
       Besetzt war er mit einer Frau und sieben Männern. Vier von ihnen seien
       praktizierende Katholiken, ein weiterer ein CDU-Mitglied, [5][schrieb der
       Spiegel vor dem Urteil].
       
       2010 wurde das Gesetz verschärft, seitdem gilt die Beratungspflicht auch
       nach der zwölften Woche. [6][Erst Ende 2017 begann erstmals wieder eine
       politische und gesellschaftliche Debatte] um das Thema Abtreibung. Anlass
       war die [7][Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel]. Sie hatte auf
       ihrer Webseite geschrieben, dass sie Abbrüche durchführt – was nach dem
       damaligen Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs als „Werbung“ für Abtreibung
       verboten war.
       
       Diesen Paragrafen hat der Bundestag nach langer Debatte Anfang 2019 leicht
       modifiziert. Ärzt*innen dürfen jetzt mitteilen, dass sie Abbrüche
       durchführen – nicht aber, mit welcher Methode. Auch diese Reform war ein
       Kompromiss zwischen der Union, die an dem Paragrafen festhalten wollte, und
       der SPD, die ihn eigentlich abschaffen wollte.
       
       Im Dezember 2019 hat die ebenfalls verurteilte [8][Berliner Frauenärztin
       Bettina Gaber gegen den 219a Verfassungsbeschwerde] eingelegt. Auch Hänel
       will bis zum Bundesverfassungsgericht gehen.
       
       28 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/13/13047.pdf
   DIR [2] http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/12/12099.pdf
   DIR [3] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/25475709_debatten07-200096
   DIR [4] https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv088203.html
   DIR [5] https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13691678.html
   DIR [6] /Werbung-fuer-Abtreibungen/!5444891
   DIR [7] /Prozess-wegen-Paragraf-219a/!5649421
   DIR [8] /Verfassungsklage-gegen-Paragraf-219a/!5651443
       
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