URI: 
       # taz.de -- Schwarze US-Literatur unter Trump: Black Lives Matter wird abgewickelt
       
       > US-Präsident Donald Trump würgt Maßnahmen zu mehr Diversität auf
       > kulturellem Terrain rigide ab. Kommt das den großen Verlagen in den
       > Staaten gelegen?
       
   IMG Bild: Seit der Black-Lives-Matter-Bewegung boomte schwarze Literatur, doch der Protest, hier 2020 in New York, ist verhallt
       
       Die Amtseinführung von Donald Trump liegt nicht einmal einen Monat zurück
       und doch erscheint es manchmal so, als seien die USA schon seit einer
       Ewigkeit unter seinem Regime. Unter der täglichen Flut an neuen
       Ungeheuerlichkeiten aus dem Weißen Haus gerät beinahe schon in
       Vergessenheit, was er der US-Bevölkerung in den ersten Tagen zugemutet hat.
       
       So verblasst etwa das kaum überraschende Trump-Moratorium auf Initiativen
       zu größerer Inklusion mittlerweile hinter Nachrichten wie solcher, dass
       Elon Musk eine schwarze Liste von Rechtsanwälten angelegt hat, die Kläger
       gegen seine radikalen Sparprogramme vertreten. Das Ende der staatlichen
       Förderung von Inklusionsmaßnahmen wirkt da beinahe wie ein anfängliches
       Ablenkungsmanöver von den schlimmeren Dingen, die Trump anzurichten
       versucht und die direkt gegen die Strukturen der Demokratie gerichtet sind.
       
       Dennoch haben Firmen und Institutionen noch immer alle Hände voll damit zu
       tun, die Flut an Trump-Verordnungen abzuarbeiten. Die öffentlichen Fernseh-
       und Rundfunkanstalten gaben bekannt, dass sie schweren Herzens ihre
       Abteilung zur Förderung von Inklusion und Diversität (DEI) schließen. Ob
       sie damit die befürchteten Mittelkürzungen vom Bund verhindern können, ist
       freilich ungewiss.
       
       Das staatliche Kennedy Center für darstellende Kunst musste eine Welle an
       Rücktritten und Veranstaltungsausfällen verkraften, nachdem Trump sich
       selbst an die Spitze der Organisation gesetzt hatte. Der US-Präsident hat
       seinen engen Gefolgsmann Richard Grenell zum Interimsleiter des Centers
       ernannt, in Deutschland kann man ihn noch als [1][bulligen US-Botschafter]
       aus Trumps erster Amtszeit in Erinnerung haben. Diese Personalie spricht
       für einen Kulturkampf im Kennedy Center, das eine der wichtigsten
       kulturellen Einrichtungen in den USA ist.
       
       Eigenartig still blieb es derweil im Verlagswesen, obwohl die
       US-amerikanischen Buchverlage im Sog der Ermordung von George Floyd und dem
       Wiederaufblühen der Black-Lives-Matter-Bewegung sehr aggressiv ihre
       Diversitätsanstrengungen vorangetrieben hatten. Es gab keine Bekanntmachung
       der „Big Five“-Verlage zu einer neuen Linie oder eine Stellungnahme zu
       Trumps Verordnung. In der Branchenpresse war nichts zu dem Thema zu lesen.
       Von etwaigen internen Memos wurde auch nichts bekannt. [2][Dan Sinykin,]
       der an der Emory University von Atlanta über das Verlagswesen forscht,
       sprach von einer gespenstischen Stille.
       
       ## Zeichen des Wandels
       
       Die einzige Erklärung, die Sinykin für diese Stille hat, ist, dass die
       Verlage gar nicht so sehr dagegen sind, ihre DEI-Anstrengungen im
       Windschatten von Trump zurückzufahren. Wie bei vielen Kultureinrichtungen
       ist im Verlagswesen der Inklusionsenthusiasmus, der nach 2020 um sich
       griff, in eine Art Verdruss umgeschlagen. Insbesondere die Verlage haben
       längst ihre Praktiken reduziert, ohne von Trump dazu gezwungen zu werden.
       
       Prominentestes Beispiel für diese Entwicklung ist Lisa Lucas, die im Juli
       2020 von Penguin Random House angeheuert wurde, um als Herausgeberin die
       renommierten Imprints Schocken und Pantheon zu führen. Ihre Beförderung
       wurde innerhalb und außerhalb der Branche als Zeichen bedeutsamen Wandels
       gefeiert. Doch im Mai 2024 wurde Lucas wieder auf die Straße gesetzt.
       Begründung des Verlages: Die Trennung sei „für das weitere Wachstum des
       Verlages notwendig“.
       
       Lucas war nicht die einzige Woman of Color, die erst begeistert von den
       Verlagen eingestellt und dann wieder gefeuert wurde. Dana Candy wurde 2020
       als Herausgeberin bei Simon and Schuster beschäftigt, sie verlor 2023 ihren
       Job. LaSharah Bunting wurde beim selben Verlag 2021 Lektorin und musste
       ebenfalls 2023 wieder gehen. Tracy Sherrod, die bei Little, Brown
       Belletristik von nicht-weißen Autorinnen verlegen sollte, wurde 2024 wieder
       vor die Tür gesetzt.
       
       Die Schicksale dieser Frauen im Verlagswesen bestätigen Sinykins Theorie,
       dass die Diversifizierungsanstrengungen der großen Verlage nur ein
       vorübergehendes Zugeständnis an den Zeitgeist waren. Die Zahlen untermauern
       die Theorie. Die Anzahl schwarzer Angestellter in den Verlagshäusern bleib
       zwischen 2019 und 2023 konstant um die 5 Prozent. Auf der Führungsebene
       blieb der Anteil weißer Beschäftigter bei 77 Prozent.
       
       ## Keine Erweiterung des Publikums
       
       Dabei gab es zwischen den Jahren 2019 und 2023 tatsächlich einen merklich
       ansteigenden Appetit für die Werke nicht-weißer Autoren. Der Anteil an
       Belletristik von nicht-weißen Autoren auf dem Markt stieg von 9 auf 16
       Prozent, der von schwarzen von 4 auf 9 Prozent.
       
       Dan Sinykin liest jedoch die zahlreichen Entlassungen von nicht-weißen
       Frauen in hochkarätigen Positionen als Zeichen für eine Trendwende. Eine
       Trendwende, die sich seit den 60er Jahren mehrfach wiederholt hat. „Es gab
       nach der Bürgerrechtsbewegung einen Boom schwarzer Literatur und Mitte der
       90er Jahre noch einmal.“ Der Boom sei jedoch jeweils nach etwa vier Jahren
       wieder abgeebbt, genau dem Zeitpunkt, in dem wir uns nun befänden.
       Strukturell habe sich jedoch im Verlagswesen nichts verändert.
       
       „Das Problem“, so Sinykin, „liegt darin, dass die großen Verlage nicht ihre
       Vorstellung davon erweitern, wer ihr Publikum ist.“ Der Kern der
       amerikanischen Leserschaft seien nach wie vor hauptsächlich Frauen zwischen
       30 und 60. Die brächten vielleicht Interesse an schwarzer oder an
       LatinX-Literatur auf, wenn dies zeitgeschichtlich im Trend liege. Ein
       dauerhaft stabiles Publikum für nicht-weiße Literatur seien sie jedoch
       nicht.
       
       Aus eben jenem Grund hatte sich Lisa Lucas schon 2022, als sie noch fest in
       ihrem Verlegersessel saß, darüber beschwert, dass sie nicht ausreichend
       Stellen in Marketing und Vertrieb besetzen könne. Es nütze nur wenig,
       schwarze Lektoren zu beschäftigen, es aber gleichzeitig zu versäumen, ein
       breites nicht-weißes Publikum zu schaffen.
       
       Der Mangel eines solchen Publikums hat auch massiven Einfluss auf die Art
       der literarischen Produktion. In einem langen Essay in der New York Times
       schrieb der Journalist Ismail Muhammed darüber, dass nicht zuletzt die
       erfolgreichen Autoren der Black-Lives-Matter-Ära, von [3][Colson Whitehead]
       und Ta-Nehisi Coates bis hin zu Brit Bennett, Yaa Gyasi oder Bryan
       Washington, dem uralten Dilemma nicht entkommen, weiße Erwartungen dessen
       zu erfüllen, was „Blackness“ und was schwarze Themen sind. Muhammed nennt
       dies „Representation Trap“ – die Repräsentationsfalle, eine Falle, die
       wunderbar in der Filmsatire „American Fiction“ aus dem Jahr 2023 aufs Korn
       genommen wurde.
       
       ## Suche nach echtem Pluralismus
       
       So scheint die Verlagsbranche Kritikern der DEI-Bewegung nach George Floyd
       in die Hände zu spielen, die glauben, dass DEI-Programme in ihrer jetzigen
       Form nicht dazu angetan sind, echten gesellschaftlichen Pluralismus zu
       fördern. So schrieb der afroamerikanische New Yorker [4][Linguist John
       McWhorter] zu seinem eigenen Erstaunen, dass Trump das Richtige tue, indem
       er die gegenwärtigen Formen von DEI beende.
       
       Was natürlich laut McWhorter nicht bedeuten soll, dass weitere
       Anstrengungen, eine wahrhaft pluralistische Gesellschaft zu schaffen,
       eingestellt werden sollen. Es darf nur keine sein, die der gegenwärtigen
       Polarisierung der Gesellschaft in die Hände spielt und vermeintliche
       Identitäten als fix und rigide betrachtet.
       
       So ist die spannende Frage im US-Verlagswesen vielleicht weniger, wie man
       akut auf die politischen Vorgaben aus Washington reagiert. Interessanter
       ist, ob das politische Klima dazu genutzt wird, weiterhin wirklichen
       strukturellen Wandel aufzuschieben. Leider sieht es genau danach aus.
       
       18 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Umstrittener-US-Diplomat-Richard-Grenell/!5687687
   DIR [2] /Buch-Big-Fiction-von-Dan-Sinykin/!6034541
   DIR [3] /Neuer-Roman-von-Colson-Whitehead/!5792847
   DIR [4] /Boeser-boeser-Hiphop/!5172194
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Moll
       
       ## TAGS
       
   DIR US-Literatur
   DIR wochentaz
   DIR Diversity
   DIR Donald Trump
   DIR Buchmarkt
   DIR Black Lives Matter
   DIR Schwerpunkt USA unter Trump
   DIR Social-Auswahl
   DIR wochentaz
   DIR wochentaz
   DIR Diversität
   DIR Schwerpunkt USA unter Trump
   DIR Schwerpunkt USA unter Trump
   DIR George Floyd
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Senegal
   DIR Schwerpunkt Korruption
   DIR Rockmusik
   DIR Schwerpunkt USA unter Trump
   DIR Schwerpunkt USA unter Trump
   DIR US-Literatur
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Percival Everetts Roman „Dr. No“: Nichts ist mit Zeit verwandt
       
       Percival Everetts „Dr. No“ ist ein echter Nerdroman. Philosophische
       Gedanken und mathematische Exkurse fügen sich in einen Schurken-Plot ein.
       
   DIR James Baldwin: Einander nicht aufgeben
       
       Ein US-Theaterkollektiv reinszeniert in Berlin eine legendäre Debatte der
       Bürgerrechtsbewegung: James Baldwins Diskussion mit dem Rechten William F.
       Buckley.
       
   DIR Wegen Trumps DEI-Dekret: US-Botschaft untersagt deutschen Partnern Diversität
       
       Die US-Botschaft in Berlin will, dass sich deutsche Firmen von Programmen
       für Vielfalt distanzieren. Scharfe Kritik von der Bundesbeauftragten
       Ataman.
       
   DIR Rechter Blogger Curtis Yarvin: Der dunkle Königsmacher
       
       US-Präsident Donald Trump betreibt mit Elon Musk den Umbau der Demokratie
       der USA zur Techno-Monarchie. Einer ihrer Vordenker: der rechte Blogger
       Curtis Yarvin.
       
   DIR Trump verbietet Worte: Buchstäblich ungerecht
       
       In den USA findet eine systematische Ausradierung von Stimmen statt, die
       dem weißen, männlichen Gesellschaftsnarrativ widersprechen.
       
   DIR Washington zerstört Schriftband: Black Lives stören White House
       
       Der 200 Meter lange Schriftzug „Black Lives Matter“ in Washington wird
       entfernt. Die Bürgermeisterin spricht von Druck aus dem Weißen Haus.
       
   DIR Überlappungen von „Trump“ und „Rassist“: Apples freudsche Transkription
       
       In den USA haben iPhones „Rassist“ kürzlich als „Trump“ transkribiert.
       Nicht das einzige Wort, das Gemeinsamkeiten zum US-Präsidenten aufweist.
       
   DIR Migration aus Senegal: Es dreht sich nicht alles um Deutschland
       
       In Senegal steigt die Arbeitslosigkeit, die Leute sprechen übers
       Auswandern. Hoch im Kurs steht aber nicht Deutschland, sondern zwei andere
       EU-Länder.
       
   DIR Nach Korruptionsvorwürfen: Gouverneurin erwägt Absetzung von New Yorker Bürgermeister
       
       Die Streit um den New Yorker Bürgermeister Eric Adams geht weiter: Nach dem
       US-Justizministerium will jetzt auch die Gouverneurin eingreifen.
       
   DIR Rockmusikerin protestiert gegen Musk: Sheryl Crow gibt ihren Tesla ab
       
       Weil Elon Musk dem öffentlichen Rundfunk die Gelder kürzen will, verkauft
       Sheryl Crow ihr Auto. Der Erlös geht an einen Radiosender. Rockt das?
       
   DIR +++ Die USA unter Trump +++: Wie die Axt im Walde
       
       Ob US-Atomsicherheitsbehörde oder Nationalarchiv – die Trump-Administration
       setzt ihre Politik der Massenentlassungen unbeirrt fort. Und im Oval Office
       hängt jetzt das Polizeifoto des US-Präsidenten.
       
   DIR Einbürgerung in die USA: Zwischen Amerikasehnsucht und Amerikasorge
       
       Seit 30 Jahren lebt unser Autor in den USA, ausgerechnet jetzt wird er
       eingebürgert. Was bleibt unter Trump vom Versprechen einer großen
       Gemeinschaft?
       
   DIR Buch „Big Fiction“ von Dan Sinykin: Wie Literatur wirklich gemacht wird
       
       Der Wissenschaftler Dan Sinykin untersucht in „Big Fiction“, wie das
       kommerzialisierte US-Verlagswesen die Literatur selbst beeinflusst.
       
   DIR Böser, böser Hiphop: Rapsongs und Realpolitik
       
       Wie denkt die afroamerikanische Mittelklasse über Hiphop? John McWhorter
       scheitert in seinem Buch "Why Hiphop cant save Black America" am mangelnden
       Pop-Verständnis.