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       # taz.de -- „Schwarzfahren“ entkriminalisieren: Teuer, unsozial und aufwändig
       
       > In Berlin sitzen jedes Jahr Menschen wegen „Schwarzfahren“ im Gefängnis.
       > Doch der Senat unternehme nichts, kritisieren die Grünen.
       
   IMG Bild: Hinter Gittern, weil man ein Ticket hatte? In Berlin (hier die JVA Plötzensee) ist das immer noch Realität
       
       Berlin taz | Wer in Berlin mehrfach ohne Fahrschein in Bus und Bahn
       erwischt wird, muss mit Gefängnis rechnen. Denn in der Hauptstadt sind die
       Verkehrsbetriebe BVG und S-Bahn vertraglich verpflichtet, bei dreimal
       „Schwarzfahren“ Strafantrag zu stellen. Wer dann nicht zahlen kann (oder
       will), muss eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten.
       
       Die Grünen im Abgeordnetenhaus wollten nun wissen, wie viele Menschen das
       pro Jahr betrifft. Antwort der Justizverwaltung: Diese Daten werden nicht
       erhoben. Man wisse nur, wie viele Menschen zu einem bestimmten Stichtag
       eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen einer Verurteilung nach Paragraf 265a
       Strafgesetzbuch (Erschleichen von Beförderung, aber auch von anderen
       Leistungen) absaßen.
       
       2024 waren das am 30. Juni 34 Menschen, was 11 Prozent aller
       Ersatzfreiheitsstrafler entspricht und 0,9 Prozent aller am Stichtag
       Inhaftierten. Wie lange die durchschnittliche Haftdauer für „Schwarzfahren“
       ist, weiß die Verwaltung ebenfalls nicht. All dies geht aus den bisher
       unveröffentlichten Antworten hervor, die der taz exklusiv vorliegen.
       
       Antje Kapek, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, sagt dazu: „Wer ohne
       Ticket Bus fährt, macht das im Regelfall nicht in böswilliger Absicht,
       sondern schlicht, weil das Geld fehlt. Dafür sollten Menschen nicht auch
       noch mit heftigster sozialer Härte bestraft werden.“ Vom Senat fordert sie,
       den Verkehrsvertrag so anzupassen, dass BVG und S-Bahn nicht mehr gezwungen
       sind, Strafantrag zu stellen.
       
       ## Andere Städte sind längst weiter
       
       Anderswo geht das auch: In Potsdam, Halle, Dresden, Leipzig sowie sieben
       westdeutschen Städten kann man wegen „Beförderungserschleichung“ nicht mehr
       ins Kittchen kommen. Diese Liste hat die [1][Initiative Freiheitsfonds]
       ermittelt, die immer wieder „Fahrschein-Häftlinge“ freikauft und damit dem
       Staat nach eigenen Angaben über 18 Millionen Euro gespart hat. Denn Haft
       ist teuer, in Berlin kostet ein Hafttag laut Justizverwaltung 229,40 Euro.
       
       Damit liegen die Haftkosten hier sogar 30 Euro über dem bundesweiten
       Durchschnitt, stellt Leonard Ihßen vom Freiheitsfonds fest. Eine
       Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen, laut Ihßen ist das durchaus realistisch
       für „Schwarzfahren“, koste also pro Person über 9.000 Euro – und da seien
       die Kosten für Richter, Rechtspfleger, Staatsanwaltschaft und Polizei noch
       gar nicht eingerechnet. „Das ist absurd“, findet er. „Statt Armut zu
       bekämpfen, verpulvern wir Steuergelder dafür, Menschen einzusperren, die
       sich kein Ticket leisten konnten.“
       
       Petra Vandrey, Sprecherin der Grünen für Rechtspolitik, fordert daher vom
       Senat, Alternativen zur Haftstrafe zu entwickeln, „damit Geldstrafen zum
       Beispiel durch gemeinnützige Arbeit getilgt werden können“. Das sei
       sozialer für die Betroffenen, billiger für die Steuerzahlenden und würde
       die Justiz entlasten.
       
       Der Senat sieht jedoch keinen Handlungsbedarf, wie aus den Antworten
       hervorgeht. Zwar begrüße man den Freikauf von Gefangenen durch den
       Freiheitsfonds, es sei aber nicht vorgesehen, selbst Geld dafür zur
       Verfügung zu stellen. Auch gibt es keine Pläne, die Verkehrsbetriebe von
       der Pflicht zur Strafanzeige zu befreien. Auf Bundesebene ist das Thema mit
       der neuen Regierung ebenfalls gestorben: Die Ampel hatte eine Reform des
       Ersatzfreiheitssystems geplant, [2][doch daraus wurde nichts mehr]. Im
       neuen Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot steht dazu: nichts.
       
       6 May 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://freiheitsfonds.de/
   DIR [2] /Fahren-ohne-Fahrschein/!6063157
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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