# taz.de -- Schwerer Schlag für Ostfriesland: Kalt erwischt
> Dass die Krise der Windindustrie Ostfriesland treffen würde, war erwartet
> worden, aber nicht in diesem Ausmaß. Rettunsplan vom Energieminister.
IMG Bild: Jedes zweite davon wurde bisher in Deutschland errichtet: Enercon-Windräder
Hamburg taz | Aurichs Bürgermeister Horst Feddermann (parteilos) ist noch
keine zwei Wochen im Amt und statt zu gestalten, muss er sich mit einer
Krise erster Ordnung auseinandersetzen. Der Windkraftanlagenhersteller
Enercon hat angekündigt, einen ganzen Produktionszweig stillzulegen und
insgesamt [1][1.500 Arbeitsplätze abzubauen]. Das ist jeder zehnte
Arbeitsplatz im [2][produzierenden Gewerbe] im Landkreis.
Er sei ja darauf eingestellt gewesen, dass da was kommen würde, sagt der
Bürgermeister, aber nicht so schnell und nicht so drastisch. „Ich bin immer
noch geschockt“, sagt Feddermann, der sich fragt, was jetzt aus den
Mitarbeitern und deren Familien werden soll.
[3][Enercon] ist Opfer der Notbremse geworden, die die Große Koalition in
Berlin beim Windkraftausbau gezogen hat. Aus Angst, die Stromkosten aus dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) könnten politisch zu kostspielig werden,
stellte sie die Förderung von Windkraftanlagen um und [4][begrenzte damit
den Ausbau].
Zudem kam es zu einem Genehmigungsstau: Aufgrund des Ausschreibungsdesigns
erhielten für den Windstrom an Land (Onshore) viele Bürgerwindparks den
Zuschlag, noch bevor sie die immissionsschutzrechtliche Genehmigung
erhalten hatten. Sie belegten Kontingente bei der Einspeisung, konnten aber
noch nicht losbauen.
## Nur noch 150 Windräder
Die Nachfrage nach Windrädern in Deutschland an Land, auf die Enercon
spezialisiert ist, gab deshalb massiv nach. Nach einem ersten Einbruch 2018
kam die Installation im ersten Halbjahr 2019 fast zum Erliegen. Nur rund
150 Windräder wurden neu errichtet, circa 80 Prozent weniger als im
Vorjahr. Enercon hat in den ersten zehn Monaten dieses Jahres nur 65
Anlagen errichtet. Im Boomjahr 2017 waren es noch 711 gewesen.
Nach Angaben von Enercon-Sprecher Felix Rehwald hat das Unternehmen 2018
erstmals einen Verlust verbucht und 200 Millionen Euro abgeschrieben. 800
Arbeitsplätze wurden abgebaut. Für das laufende Jahr erwartet der Sprecher
einen noch höheren dreistelligen Millionenbetrag als Verlust. „Der deutsche
Markt ist für uns einfach weg“, sagt Rehwald. Und auch das
Klimaschutzgesetz der schwarz-roten Bundesregierung biete keine
Zukunftsperspektive. Im Gegenteil: Es [5][erschwere den Ausbau].
Von den 1.500 Arbeitsplätzen, die aktuell in Ostfriesland zur Disposition
stehen, fallen 250 bis 300 bei Enercon selbst und die übrigen bei „direkten
Produktionspartnern“ weg. Darüber hinaus dürfte die ganze Region in
Mitleidenschaft gezogen werden. „Enercon ist ohne Wenn und ohne Aber einer
der industriellen Treiber unseres Kammerbezirks“, sagt Jan Amelsbarg von
der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostfriesland und Papenburg.
Enercon habe den gleichen Stellenwert wie das VW-Werk in Emden und die
Meyer-Werft in Papenburg. Mit den Beschäftigten gehe auch Know-How verloren
und „eine hart erarbeitete Wertschöpfungskette“ zu Bruch. Getroffen würden
Zulieferer, wie die Gießerei in Georgsheil oder die Betonturmfabrik in
Emden. Das reiche bis hin zu den LKW-Speditionen, die sich darauf
spezialisiert hätten, die fertigen Anlagen abzutransportieren.
## Klimaziel gefährdet
Aus Amelsbargs Sicht geht es jetzt darum, Schlimmeres zu verhindern. Dabei
sieht er das Land Niedersachsen auf seiner Seite. „Die niedersächsische
Landesregierung denkt und tickt, was das Thema Wind angeht, genauso wie
wir“, sagt der IHK-Mann.
Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Olaf Lies (SPD) hat zur Rettung
der Arbeitsplätze einen Sofortplan „Rückenwind für Onshore-Wind“
vorgeschlagen. Von der Bundesregierung erwarte er „die Vorlage eines
Maßnahmen-Pakets für zügigere Planungs-, Genehmigungs- und
Beteiligungsverfahren, das schnellstmöglich umgesetzt wird“.
Ohne einen massiven Zubau von Onshore-Windkraft werde Deutschland seine
Klimaziele verfehlen. Nach der Photovoltaik dürfe die Bundesregierung nicht
auch noch die Windindustrie vor die Wand fahren. Konkret fordert Lies, die
Einschränkungen durch die zivile Flugsicherung zu prüfen, die
Einspeisevergütung auf zwei Jahre festzuschreiben, das Kurzarbeitergeld zu
verlängern, Bürgschaften zu stellen, Innovationen zu fördern und für
Akzeptanz der Windenergie zu werben.
12 Nov 2019
## LINKS
DIR [1] /Experte-ueber-Windkraftindustrie-Krise/!5636998
DIR [2] https://www1.nls.niedersachsen.de/statistik/html/default.asp
DIR [3] https://www.enercon.de/home/
DIR [4] https://www.nilas.niedersachsen.de/starweb/NILAS/servlet.starweb?path=NILAS%2Flisshfl.web&id=nilaswebfastlink&search=%28%28%28%281DES2%3d%28%22ENERCON%22%29+OR+fastw%2cdarts%2curhsup%2curpsup%2cdurpsup%3d%28%28%22enercon%22%29%29%29%29+NOT+TYP%3dPSEUDOVORGANG%29+AND+NOT+%281SPER%2cSPER%3d%3f%2a%29%29+AND+WP%3d18&format=WEBKURZDNRFL
DIR [5] /Nach-Enercon-Entlassungen/!5640714
## AUTOREN
DIR Gernot Knödler
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