URI: 
       # taz.de -- Sechs Monate Teilhabechancengesetz: Gesetz sucht Langzeitarbeitslose
       
       > SPD-Arbeitsminister Heil wollte Jobs für bis zu 150.000
       > Langzeitarbeitslose schaffen. Bisher hat nur ein Bruchteil davon eine
       > Beschäftigung gefunden.
       
   IMG Bild: Zukünftige Langzeitarbeitslose? Entlassene Bergleute melden sich in Bottrop arbeitslos
       
       Hennigsdorf taz | Ulrich A. aus Hennigsdorf bei Berlin ist 57 Jahre alt und
       hat früher als Straßenbauer gearbeitet. Nach der Wende machte er fünf
       Umschulungen, war lange arbeitslos. Er hat kaputte Bandscheiben. Wegen der
       Herzprobleme trägt er immer einen Defibrillator mit sich. Aber: „Ich möchte
       arbeiten“, sagt Ulrich A., „zu Hause herumsitzen ist nichts für mich.“
       Private Arbeitgeber wollen ihn wegen seiner gesundheitlichen Probleme nicht
       einstellen. A. hat auf einen Platz in einem Beschäftigungsprojekt gehofft,
       „aber es gibt Probleme“, sagt er.
       
       Für Menschen wie ihn wollte SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil eine
       Perspektive schaffen. Seit 1. Januar ist das sogenannte
       [1][Teilhabechancengesetz] in Kraft. Im Koalitionsvertrag ging man noch
       davon aus, dass „bis zu 150.000“ Langzeitarbeitslose durch das Gesetz
       gefördert werden können. Doch bis April sind es gerade 10.000 Förderfälle,
       so die Zahlen vom Bundesministerium für Arbeit.
       
       [2][„Die Zahlen sind ernüchternd“], beklagt die [3][Initiative
       SozialSTART.jetzt] des Bundesnetzwerks für Arbeit und soziale Teilhabe. Das
       Netzwerk besteht aus 250 sozialen Betrieben, darunter auch die
       Beschäftigungsgesellschaft ABS Hennigsdorf, die für Ulrich A. zuständig
       ist. „Die Hürden sind zu hoch“, bemängelt Geschäftsführerin Kerstin Thiele.
       Das Gesetz fördert unter anderem Langzeitarbeitslose, die mindestens sechs
       Jahre lang Hartz IV bezogen haben. Sie bekommen für bis zu fünf Jahre einen
       sozialversicherungspflichtigen Job in der Privatwirtschaft oder bei einem
       gemeinnützigen Beschäftigungsträger, der Arbeitgeber erhält dafür einen
       Lohnkostenzuschuss von 100 Prozent, der mit den Jahren sinkt.
       
       Es ist aber gar nicht so einfach, geeignete KlientInnen für die Maßnahmen
       zu finden. A. etwa ist schon viele Jahre arbeitslos, zwischenzeitlich aber
       verdiente er in einer sozialversicherungspflichtigen Jobmaßnahme genug Geld
       und konnte auf Hartz IV verzichten. Damit erfüllt er die Voraussetzungen
       für die neue Förderung nicht mehr. „Wer sich bemüht hat, wird bestraft“,
       sagt Thiele, „das ist ein Webfehler im Gesetz.“
       
       ## Viele Langzeitarbeitslose mit gesundheitlichen Probleme
       
       Thiele beklagt, dass alte Förderprogramme ausliefen, während neue Plätze
       über das Teilhabechancengesetz auf sich warten ließen. Es gebe bundesweit
       einen Rückgang von mehr als 6.000 sozialversicherungspflichtigen
       Beschäftigungsangeboten für Langzeitarbeitslose im Vergleich zu 2018, sagt
       Kerstin Thiele. In ihrem Bereich Oberhavel sei im neuen Programm vom
       Jobcenter bisher kein einziger Platz bewilligt worden.
       
       Bei neuen Instrumenten sei „eine gewisse Anlaufzeit erforderlich“, sagte
       eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit der taz, im Zeitverlauf
       sei „mit einem Aufbau der Teilnehmerzahlen“ zu rechnen.
       
       Irina Schmidt, Sprecherin des Jobcenters Oberhavel, verweist auf
       Stellenangebote privater Arbeitgeber. Auch diese können, ebenso wie die
       Beschäftigungsträger, im Rahmen des Programms Lohnkostenzuschüsse in
       Anspruch nehmen, wenn sie einen langjährigen Hartz-IV-Empfänger einstellen.
       Der Fokus des Jobcenters Oberhavel liege auf der „Vermittlung in den ersten
       Arbeitsmarkt und nicht auf der Sicherung des Fortbestands der
       Beschäftigungsgesellschaften“, erklärt Schmidt.
       
       ## Kanalbau und Altenpflege
       
       Viele Langzeitarbeitslose, die über ABS Hennigsdorf beschäftigt sind,
       hätten aber gesundheitliche Probleme und Schwierigkeiten, private
       Arbeitgeber zu finden, erzählte Michael Neie, Projektleiter bei ABS. Oft
       kämen Alkoholprobleme hinzu. In Neies Projekt, in dem auch A.
       zwischenzeitlich arbeitete, zimmerten die Teilnehmer Bänke und legten Wege
       an. Drei der dort beschäftigten Langzeitarbeitslosen fanden
       zwischenzeitlich einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt: als Müllwerker, im
       Kanalbau und in der Altenpflege.
       
       Ulrich A. würde gern bei einem Beschäftigungsträger
       sozialversicherungspflichtig arbeiten. „Wenn das nicht klappt“, sagt er,
       „fange ich demnächst wieder einen Ein-Euro-Job an.“
       
       17 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze/teilhabechancengesetz.html
   DIR [2] /Foerderung-fuer-Langzeitarbeitslose/!5598605
   DIR [3] https://www.sozialstart.jetzt/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
   DIR Hubertus Heil
   DIR Arbeitslosigkeit
   DIR Sozialpolitik
   DIR Jobcenter
   DIR Bremen
   DIR Ein-Euro-Jobber
   DIR Hamburg
   DIR Arbeitslosengeld
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Berliner Projekt für Langzeitarbeitslose: Es hätte ihre Chance sein können
       
       Es klang wie der Hauptgewinn: Eine Weiterbildung mit Jobgarantie. Zehn
       Monate später ist von den Hoffnungen der Teilnehmer kaum etwas übrig.
       
   DIR Langzeitarbeitslose in Bremen: Geförderte Jobs gesucht
       
       Die Verbund Vadib beklagt die träge Umsetzung des
       „Teilhabechancengesetzes“: Bremen müsse 1.500 neue Stellen auf dem sozialen
       Arbeitsmarkt schaffen.
       
   DIR Zahlen der Bundesagentur: Weniger Ein-Euro-Jobs
       
       2018 waren noch rund 183.000 Menschen in Billigmaßnahmen. Gut zehn Jahre
       zuvor waren es mehr als viermal so viele.
       
   DIR Förderung für Langzeitarbeitslose: Verschenkt Hamburg Millionen?
       
       Trotz Geldsegens aus Berlin schafft Hamburg kaum Jobs für
       Langzeitarbeitslose. 30 Millionen könnten nun zurück an den Bund gehen.
       
   DIR Debatte Soziale Gerechtigkeit: Zu kurz gesprungen
       
       Die SPD-Vorschläge für eine neue Arbeitsmarktpolitik gehen in die richtige
       Richtung. Beim Arbeitslosengeld I sind sie aber unzureichend.