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       # taz.de -- Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“: Toxisch für Anfänger
       
       > „How to Sell Drugs Online (Fast)“ ist der deutsche Netflix-Hit. Nun
       > startet Staffel 2 – nach viel Kraftmeierei endlich auch mit einer
       > forschen Frau.
       
   IMG Bild: Mischung aus Mark Zuckerberg und einem Milchbrötchen: Möchtegern-Ganove Moritz
       
       In dieser Serie geht es vergleichsweise simpel zu: Anders als bei
       [1][„Dark“], der vielbesprochenen deutschen Netflix-Serie, die mit ihren
       Zeitreise-Verästelungen die Zuschauer*innen ziemlich, na ja, lost
       zurückließ, steckt Moritz vor allem in einer einzigen Zeit, nämlich dem
       faden Kaugummi des 17-Jahre-Seins. Und dort verhält er sich, wie sich
       Teenagerjungs in Coming-of-Age-Storys zu verhalten haben: konsequent
       deppert.
       
       Dabei ist diese wandelnde Safttüte, ein Kleinstadt-Eskapist mit latentem
       Christian-Lindner-Syndrom, eigentlich superintelligent. Nur nicht in Sachen
       sozialer Kompetenz. Statt die Beziehungskrise mit seiner Freundin Lisa
       empathisch anzugehen, gründet er einen internationalen Online-Versand für
       Ecstasy in seinem Kinderzimmer. So weit Staffel 1, die ein ziemlicher
       Knaller war und laut Produktionsfirma bildundtonfabrik „die meist
       gestreamte deutsche Netflix Original Serie in Deutschland.“
       
       Die Autorenschaft des Kölner Unternehmens, zuvor [2][bestens bekannt] für
       das „Neo Magazin Royale“ (aber auch das fiktionale Special „Böhmermanns
       perfekte Weihnachten“), war Garant für die Qualität der ersten sechs
       Folgen. Mit so brillantem Timing, selbstironischer Verve und
       Detailsicherheit können hierzulande nun mal wenige erzählen. Ein
       Grimme-Preis für die btf-Crew um Philipp Kässbohrer und Matthias Murmann in
       der Kategorie „Kinder & Jugend“ folgte. Von Staffel 2 durfte man nun
       erwarten, dass die Story um Moritz, seinen krebskranken Gamer-Kumpel Lenny
       und den Bravo-Lovestory-Schönling Dan reift. Denn auch, wenn Staffel 1
       vieles hatte (Witz, Surrealismus, Cliffhanger): Spannende Frauenfiguren,
       die mehr sind als love interest, rettungswürdige Maid oder Rabenmutter,
       hatte sie nicht.
       
       Wie die bunten Pillen unter seinem Bett bleibt auch das Verhalten von
       Moritz eher toxisch. Durch eine Lüge bekommt er Lisa zu Beginn von Staffel
       2 wieder zurück. Und im Business läuft’s ziemlich gut. Das „Amazon für
       Drogen“ sorgt weltweit für Furore, die drei Bubis wollen sich durch einen
       Buyout aus der Affäre ziehen. Aber Moritz (gegeben von Maximilian Mundt als
       Mischung aus Mark Zuckerberg und einem Milchbrötchen) sieht dornige Chancen
       und bringt die anderen durch einen Trick dazu, weiterzumachen. Nämlich
       Gangster-Geschäfte mit einer holländischen Limomarke, die keine Limo macht,
       und einem westfälischen Albaner-Clan, in dem keine Albaner sind.
       
       ## Selbstbewusste Hackerin
       
       Vor allem geht die Serie den bekannten Coming-of-Age-Weg und nutzt (wie
       etwa die Autismus-Dramedy „Atypical“) ihre zweite Staffel, um das
       Beziehungsgeflecht ihrer Figuren auszuforschen. Die Eltern von Lisa (Lena
       Klenke) sind getrennt, dafür hat Lenny (Danilo Kamperidis) ein
       erfolgreiches Date. Erfreulich, dass dem jugendlichen Publikum eine Figur
       mit Behinderung präsentiert wird, die sich verliebt und Sex hat.
       
       Noch erfreulicher, dass dazu die selbstbewusste Hackerin Kira vorgestellt
       wird, die von Lena Urzendowsky ziemlich fetzig gespielt wird. Man atmet
       auf, dass nach so viel pubertärer Kraftmeierei mal eine gerissene, forsche
       Frau auftritt. Aber dann wird auch sie wieder zum Sicherheitsrisiko für das
       Drogenprojekt, das Polizistensohn Moritz schlauerweise im eigenen Heim
       angesiedelt hat und das ständig aufzufliegen droht. So bleiben die Frauen
       lange eher Problemquellen als handelnde Charaktere. Auch Moritz’ Mutter
       (Milena Dreißig trifft hier wie bei „Stromberg“ auf Regisseur Arne
       Feldhusen) kommt nur als egozentrische Trulla vor.
       
       Fein ist dagegen, dass diese Serie neben dem Herzkrams und den
       Eifersüchteleien aus der Lebenswelt Z auch viel Augenkitzel bereithält:
       Schmalspurganoven halten Knarren wie in „Pulp Fiction“, moderne
       Serien-Konventionen werden stilsicher eingesetzt. Da ploppen
       Chatnachrichten auf dem Bildschirm auf, dort durchbricht jemand die vierte
       Wand. Denn eigentlich erzählen die Figuren die Geschichte ja in einem gut
       ausgeleuchteten Netflix-Studio nach und gestehen, dabei manchmal zu
       flunkern. Diese Metaebene hätten die Macher*innen gerne noch mutiger
       auserzählen dürfen. Aber kann ja noch kommen. Stichwort Moritz: „Euch ist
       schon klar, dass das nicht vorbei ist, wenn wir aufhören.“
       
       „How to Sell Drugs Online (fast)“, Staffel 2, ab 21.7. auf Netflix.
       
       20 Jul 2020
       
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