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       # taz.de -- Sexuelle Gewalt im griechischen Sport: Bedrohliche und starre Strukturen
       
       > Die Segel-Olympiasiegerin Sofia Bekatorou spricht über ihre
       > Vergewaltigung durch einen Funktionär. Weitere Sportlerinnen melden sich.
       
   IMG Bild: Segelten zur Goldmedaille: Sofia Bekatorou (l.) mit Emilia Tsoulfa bei den Olympischen Spielen 2004
       
       Athen taz | Knapp neun Minuten spricht die 43-jährige Seglerin Sofia
       Bekatorou. Was sie schildert, schockiert die griechische Öffentlichkeit.
       Sie ist einer Onlinetagung unter dem Motto „Start to talk – Brich dein
       Schweigen“ zugeschaltet, bei der es um sexualisierte Gewalt im Sport geht.
       [1][Eine Initiative des Europarats zum Schutz Minderjähriger im Sport] und
       des griechischen Sportministeriums. Im Alter von 21 Jahren, erzählt
       Bekatorou, habe sie mit ihrem Segelteam an einem Wettkampf teilgenommen und
       sich für die Olympischen Spiele in Sydney qualifiziert. Ihre Freude sei
       unbeschreiblich groß gewesen, da sie zum ersten Mal in ihrem Leben an
       Olympischen Spielen teilnehmen würde.
       
       Nach dem Abendessen sei die Mannschaft ins Hotel zurückgekehrt. Ein
       Funktionär des Segelverbands sei dabei gewesen, der die Athletinnen und
       Athleten auf ihrer Wettkampfreise begleitete. Der Funktionär habe sie in
       sein Hotelzimmer gelockt und vergewaltigt. Danach sei sie in ihr Zimmer
       zurückgekehrt, wo ihre Mitseglerin nichts wissend geschlafen habe. „Wir
       waren gerade unserem Traum, an den Olympischen Spielen teilzunehmen, einen
       Schritt näher gekommen“, sagt die griechische Spitzenathletin. „Ich habe
       befürchtet, dass ich, wenn ich etwas sagen würde, alles ruinieren würde.“
       Sie hätte auch niemals mit ihren Eltern darüber sprechen können, denn die
       hätten ihr bestimmt verboten, mit dem Segeln weiterzumachen. Deshalb hat
       sie geschwiegen. Erst jetzt auf dieser Tagung vor gut einer Woche konnte
       Bekatorou ihr Schweigen brechen.
       
       Bekatorou hat damit eine griechische MeToo-Bewegung ins Rollen gebracht.
       Immer mehr Athletinnen gehen inzwischen an die Öffentlichkeit und reden
       über ihre Erlebnisse. Darunter die ehemalige Wasserballspielerin Mania
       Bikov, die Schwimmerin Rabea Iatridou, die Hochspringerin und Olympiazweite
       Niki Bakoyianni. Sie reden von sexueller Belästigung, die sie im Laufe
       ihrer Sportkarriere erlebten – von Verbandsfunktionären, die ihnen zu nah
       gekommen sind, oder von Sportärzten, die Untersuchungen ausgenutzt haben,
       um sie sexuell zu belästigen. Von Anfang an haben sich der griechische
       Premierminister Kyriakos Mitsotakis und die griechische Staatspräsidentin
       Katerina Sakellaropoulou hinter Bekatorou gestellt und sich bei ihr für
       ihren Mut, über das Erlebte zu sprechen, bedankt.
       
       Der griechische Segelverband hingegen hat die Schilderungen seiner
       Spitzenathletin anfänglich in Frage gestellt und in einer ersten
       Pressemitteilung von ihr verlangt, keine allgemeinen Anschuldigungen gegen
       Verbandsfunktionäre im Raum stehen zu lassen. Doch schnell wurde durch die
       Schilderungen der Athletin klar, um welchen Funktionär es sich handelt: Um
       den heutigen Vizepräsidenten des Verbands, der schon seit über zwanzig
       Jahren dem Vorstand angehört. Der Segelverband forderte daraufhin seinen
       Rücktritt, der Beschuldigte handelte kurz darauf wie gewünscht. Er weist
       allerdings alle Vorwürfe von sich und spricht von Verleumdung seitens der
       Athletin.
       
       ## Kürzere Amtszeiten per Gesetz
       
       Der griechische Sportminister Leiterin Avgenakis sieht sich durch die
       Schilderungen der Athletinnen in seiner Politik bestätigt, gegen die
       erstarrten Strukturen im griechischen Sport vorzugehen. Ein vor Kurzem in
       Kraft getretenes Gesetz verpflichtet die Sportverbände, den
       Vorstandsvorsitzenden nach drei und andere Vorstandsmitglieder nach zwei
       aufeinander folgenden Amtszeiten auszuwechseln. Und in Zukunft wird in
       jedem Spitzenverbandsgremium ein Vertreter oder eine Vertreterin der
       Sportler sitzen – mit Stimmrecht.
       
       Der Minister sagte, der Fall Bekatorou bestätige die Wichtigkeit seines
       Gesetzes. Die festgefahrenen Strukturen im griechischen Sport würden die
       sexuelle Belästigung und die sexualisierte Gewalt im Sport oft erst möglich
       machen, denn die Funktionäre hätten bisher das Gefühl, absolute Macht über
       die Athletinnen zu besitzen. So wie Bekatorous Peiniger, der über zwanzig
       Jahre lang im griechischen Segelverband mitmischte und erst jetzt nach
       Bekatorous Enthüllungen zurückgetreten ist.
       
       Der Fall Bekatorou hat auch eine großflächige Untersuchung seitens der
       Staatsanwaltschaft ausgelöst. Die Hoffnung ist groß, dass neben Sofia
       Bekatorou auch andere Athletinnen, die Ähnliches erlebt haben, aussagen.
       
       Und es melden sich Frauen aus anderen Lebensbereichen zu Wort, wie etwa
       Politikerinnen, Schauspielerinnen und Studentinnen, die von
       Parteifunktionären, Regisseuren oder Hochschulprofessoren sexuell belästigt
       wurden. Auch wenn der mutmaßliche Täter im Fall Bekatorou keine Haftstrafe
       mehr befürchten muss, da die Tat mittlerweile verjährt ist, Sofia Bekatorou
       hat erreicht, dass immer mehr griechische Frauen sich trauen, [2][ihr
       Schweigen zu brechen.]
       
       23 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.europewatchdog.info/instrumente/kampagnen/start-to-talk/
   DIR [2] /Sexualisierte-Gewalt-gegen-Kinder-im-Sport/!5717515
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rodothea Seralidou
       
       ## TAGS
       
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