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       # taz.de -- Sicherheitskonferenz in München: Der Westen im Selbstgespräch
       
       > Auf der Sicherheitskonferenz gibt es viel zu bereden, aber ausgerechnet
       > Russland fehlt dieses Jahr. Der Abschied von Siko-Chef Ischinger ist
       > getrübt.
       
   IMG Bild: US-Außenminister Blinken und Außenministerin Baerbock bei der Münchner Sicherheitskonferenz
       
       Berlin taz | Am Freitagnachmittag, während der Auftaktdiskussion der
       Münchner Sicherheitskonferenz (Siko), bekommt für eine Minute der
       Außenminister von Bangladesch das Mikrofon. Der Großteil seines Landes
       liegt nur knapp über dem Meeresspiegel, vom Klimawandel ist es besonders
       betroffen, und das prägt auch seinen Blick auf den aktuellen Konflikt an
       der russischen Grenze zur Ukraine. Die Krise führe im Westen wohl zu einem
       „zusätzlichen Anstieg der Verteidigungsausgaben“, sagt AK Abdul Momen.
       Fehle seinem Land deshalb am Ende erhofftes Hilfsgeld zur Unterstützung
       beim Klimaschutz?
       
       Es ist ein seltener Moment des Perspektivwechsels zum Auftakt der
       Konferenz, die bis Sonntag stattfindet. Die früher rein westliche Tagung
       zur Außen- und Sicherheitspolitik – Treffpunkt für Regierungen, Militärs
       und Lobbyist*innen – hat sich über die Jahrzehnte zwar für Gäste aus
       anderen Regionen geöffnet. Dominiert wird sie aber nach wie vor von
       Vertreter*innen aus EU- und Nato-Staaten.
       
       In diesem Jahr gilt das noch mehr als sonst: Wegen der Krise in Osteuropa
       gibt es zwar besonders viel Gesprächsstoff. Ausgerechnet die russische
       Seite fehlt aber. Zum ersten Mal seit Jahren ist trotz Einladung keine
       Delegation aus Moskau vertreten. Als Grund für die Absagen hochrangiger
       Vertreter wie Außenminister Lawrow vermutet Siko-Chef Wolfgang Ischinger,
       dass ein Auftritt für sie in der aktuellen Lage „nicht
       vergnügungssteuerplichtig“ geworden wäre.
       
       Russische Vertreter aus der zweiten Reihe dagegen scheiterten an
       Corona-Auflagen: Für sie hätten strenge Quarantäneregeln gegolten, weil
       russische Impfstoffe in Deutschland nicht anerkannt sind. Ausnahmen wollten
       Bundes- und Landesregierung offenbar nur für Topgäste machen.
       
       ## Baerbock: Alles auf dem Tisch
       
       Und so redet der Westen dieses Jahr vor allem bei den großen Fragen in
       erster Linie mit sich selbst. Außenministerin Annalena Baerbock beschwört
       in ihrer Rede die Einigkeit in EU und Nato. „Wir schöpfen unsere Stärke aus
       unserem gemeinsamen Handeln“, sagt sie. Gehe Russland gegen die Ukraine
       vor, gebe es Sanktionen – „präzedenzlos und mit allen Partnern abgestimmt“.
       Für sie persönlich liege dabei auch [1][die Pipeline Nord Stream 2] auf dem
       Tisch. Und überhaupt: Falsch sei es, von einem Ukraine-Konflikt zu
       sprechen. Es gehe um einen Russland-Konflikt.
       
       Auf Nachfrage spricht Baerbock zwar auch über Selbstreflexion: „Haben wir
       genug für Transparenz und Rüstungskontrolle getan? Haben wir genug getan,
       als wir darüber geredet haben, Raketen in der Region zu stationieren?“ Der
       Nato-Russland-Rat könne das richtige Forum zu sein, um sich über solche
       Fragen auszutauschen.
       
       Die Akzente liegen bei der Grünen-Politikerin aber spürbar anders als bei
       Olaf Scholz, der bei seiner Reise nach Russland am Dienstag deutlichere
       Zugeständnisse formuliert hatte. Scholz sprach zum Beispiel davon, dass
       [2][ein ukrainischer Nato-Beitritt nicht auf der Tagesordnung] stehe.
       
       ## Kritik an Geschäften
       
       Der Bundeskanzler wird am Samstag selbst auf der Sicherheitskonferenz
       sprechen. Mit dabei sind auch UN-Chef António Guterres,
       Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, US-Vizepräsidentin Kamala Harris und
       sogar der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Einer der wichtigsten
       Gäste, der nicht aus dem Westen stammt, ist der chinesische Außenminister
       Wang Yi.
       
       Trotz des Fehlens der Russen: Ob der Weltlage sprach Konferenzleiter
       Ischinger in seiner Eröffnungsrede am Freitagmittag von der „bedeutendsten
       Konferenz in meinen 14 Jahren als Vorsitzender“. Der ehemalige Diplomat
       zieht sich in diesem Jahr aus der ersten Reihe der Konferenzorganisation
       zurück und übergibt die Leitung an Christoph Heusgen, der unter Angela
       Merkel lange Zeit außenpolitischer Berater im Kanzleramt war.
       
       Unter Ischinger war die Bedeutung der Konferenz seit 2008 gestiegen, lange
       Zeit konnte er immer mehr und immer relevantere Gäste nach München locken.
       Entgegen aller Bekundungen dürfte der Abschied für ihn aber getrübt sein,
       und das nicht nur wegen der Absagen aus Moskau: Das Portal Politico und der
       Spiegel hatten in dieser Woche Recherchen veröffentlicht, [3][die ein
       schlechtes Licht auf den 75-Jährigen werfen].
       
       Demnach soll er über eine von ihm mitgegründete Beratungsfirma an der Siko
       verdient haben. Die Firma habe für Geld Termine und Kontakte auf der
       Konferenz angeboten. Dem Rüstungskonzern Hensoldt (in dessen Aufsichtsrat
       sitzt Ischinger nebenbei auch noch) habe das Consulting-Unternehmen zum
       Beispiel angeboten, Gespräche mit hochrangigen Teilnehmer*innen zu
       vermitteln. Brisant wäre diese Doppelrolle Ischingers vor allem, weil die
       privat organisierte Sicherheitskonferenz öffentlich subventioniert wird:
       Der Staat unterstützt sie mit Geld und durch die kostenlose Mitarbeit von
       Soldat*innen der Bundeswehr.
       
       18 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Scholz-Besuch-bei-Biden/!5833475
   DIR [2] /Ukraine-Reise-des-Kanzlers/!5831877
   DIR [3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/wolfgang-ischinger-der-chef-der-muenchner-sicherheitskonferenz-und-seine-diskreten-geschaefte-mit-den-maechtigen-a-733eac53-e114-4cf6-8f19-25885bca8be2
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
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