# taz.de -- „Sie erzeugen ein Klima der Angst“
> Nach welchen Kriterien zieht eigentlich der Generalbundesanwalt Fälle an
> sich? Kay Nehm über sein Abwarten im Fall Ludwigshafen, die
> außenpolitische Bedeutung von Synagogen und seine persönliche Erfahrung
> mit den „Glatzen“
Interview CHRISTIAN RATH
taz: Herr Nehm, seit einigen Monaten engagiert sich die Bundesanwaltschaft
besonders im Bereich Rechtsextremismus. Warum haben Sie nicht auch die
Ermittlungen nach dem Brandanschlag in Ludwigshafen übernommen?
Kay Nehm: Wir haben in den letzten Monaten drei Fälle mit
rechtsextremistischem Hintergrund an uns gezogen. Das waren der
lebensgefährliche Angriff auf zwei Vietnamesen in Eggesin, der Anschlag auf
die Erfurter Synagoge und die Tötung eines Mosambikaners in Dessau. Alle
Fälle haben gemeinsam, dass die Täter dabei ein Klima der Angst und der
Einschüchterung unter bestimmten Bevölkerungsgruppen erzeugen wollten. Weil
dadurch die innere Sicherheit Deutschlands gefährdet wird, habe ich auch
die Ermittlungen übernommen. Ob die Tat in Ludwigshafen einen
entsprechenden Hintergrund aufweist, ist derzeit noch unklar.
Die Motive der Täter kennen Sie doch ohnehin erst, wenn sie bereits gefasst
wurden . . .
Nicht immer. Manchmal ist der Charakter der Tat bereits deutlich genug, wie
etwa in Dessau, wo das Opfer während der tödlichen Schläge auch ausgezogen
und verächtlich gemacht wurde.
Und der Wurf von Molotow-Cocktails in eine Flüchtlingsunterkunft wie in
Ludwigshafen ist nicht deutlich genug?
Derzeit prüfen wir den Fall noch. Neben der Gefährdung der inneren
Sicherheit verlangt das Gesetz ja auch, dass der Fall eine „besondere
Bedeutung“ hat. Im Fall Eggesin hat der Bundesgerichthof die Annahme dieses
Merkmals als „noch vertretbar“ angesehen. Wir sehen darin ein Signal, bei
Fällen ohne Todesopfer eher zurückhaltend zu sein.
Bei der Erfurter Synagoge hat es kaum Sachschaden gegeben und die Täter
waren bereits ermittelt, als Sie sich eingeschaltet haben. Wo liegt hier
die „besondere Bedeutung“ des Falles?
Wenn wir die Ermittlungen übernehmen, ist das auch ein Signal an die
Gesellschaft und an das Ausland. Es soll zeigen, dass die deutsche Justiz
dem Vorgang besondere Bedeutung zumisst. Anschläge auf deutsche Synagogen
wie in Lübeck und Erfurt haben schon deshalb eine besondere Qualität, weil
der Begriff „Synagoge“ durch die deutsche Vergangenheit emotional so
belastet ist. Deshalb wurden solche Anschläge auch im Ausland stets
aufmerksam verfolgt.
Es könnte aber sein, dass der Bundesgerichtshof im Falle einer Revision zum
Ergebnis kommt, dass Ihre Behörde gar nicht zuständig war . . .
Das könnte dann allerdings im Ausland erst recht zu Missverständnissen
führen. Ich hoffe deshalb, dass der BGH dem Rechnung trägt.
Die thüringische Landesregierung war über Ihr Engagement nach dem
Synagogen-Anschlag auch nicht gerade glücklich. Es wurde sogar der Vorwurf
laut, dass dadurch das Gerichtsverfahren eher verzögert wurde.
Wir hatten die Anklage nach vier Wochen erhoben, das ist wohl schnell
genug.
Justizministerin Däubler-Gmelin hat gesagt, die Bundesanwaltschaft habe
sich jeweils eingeschaltet, weil sie „besser“ sei als die Länderjustiz . .
.
Es freut mich natürlich, wenn meine Ministerin mit unserer Arbeit zufrieden
ist. Allerdings möchte ich uns lieber nicht mit der Länderjustiz
vergleichen. Wir übernehmen Fälle nicht, weil wir besser, sondern weil wir
zuständig sind.
Sind Sie bei Fällen aus Ostdeutschland eher bereit, sich einzuschalten, als
bei westdeutschen Anschlägen?
Nein, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, werden wir auch
westdeutsche Fälle übernehmen. Es ist aber nicht zu übersehen, dass in
Ostdeutschland derzeit eher ein gesellschaftliches Umfeld für solche Taten
besteht. Die Täter können sich nun einmal angespornt und bestätigt fühlen,
wenn ihre Ziele weithin akzeptiert werden. Und dass im Osten die
Gewaltbereitschaft der Szene höher ist, kann man schon bei persönlichen
Besuchen dort erleben.
Sind auch Sie schon angegriffen worden?
Ja, nach der Wende wurde ich in der S-Bahn in die Ecke gedrückt und mir
wurde eine Flasche an den Hals gesetzt.
20 Jul 2000
## AUTOREN
DIR CHRISTIAN RATH
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