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       # taz.de -- Social Media erst ab 16?: Was Kindern nicht gut tut
       
       > Politik und Gesellschaft müssen endlich Kinder und Jugendliche vor den
       > Gefahren der digitalen Welt schützen. Sonst droht massenhafter „Brain
       > Rot“.
       
   IMG Bild: „Brain Rot“ wurde von Oxford Press zum Wort des Jahres 2024 gewählt
       
       Aufwachsen ohne den ständigen Druck von Likes, Follower:innen und
       gefilterten Gesichtern – klingt wie ein Relikt aus einer längst vergangenen
       Zeit. Doch genau diese Realität könnte bald wieder möglich sein. Immer
       lauter werden die Warnungen vor den Folgen exzessiven Social-Media-Konsums
       für junge Menschen. [1][Australien wagt nun den radikalen Schritt:] Ab
       nächstem Jahr ist die Nutzung sozialer Medien für Kinder und Jugendliche
       unter 16 Jahren verboten. Ein Pilotprojekt, das weltweit Nachahmer finden
       könnte –[2][auch in Deutschland.]
       
       Eine aktuelle Umfrage von YouGov zeigt: Eine große Mehrheit der Deutschen
       [3][unterstützt ein solches Verbot.] Rund 77 Prozent der knapp 2.000
       Befragten gaben an, ein Social-Media-Gesetz nach australischem Vorbild
       „voll und ganz“ oder „eher“ zu befürworten. Nur 13 Prozent lehnen es ab.
       Die Diskussion um ein Verbot ist also in vollem Gange. Kritiker:innen
       argumentieren, dass technische Hürden leicht umgangen werden könnten.
       Kinder und Jugendliche, die bereits wissen, wie sie sich in der digitalen
       Welt bewegen, könnten ihre Identität verschleiern oder sich in
       unregulierten Räumen treffen. Doch ist das wirklich ein schlagkräftiges
       Gegenargument? Auch rauchen ist für Minderjährige verboten, viele tun es
       trotzdem. Ist eine Regelung deswegen sinnlos?
       
       Social-Media-Konsum ist kein harmloses Hobby, ein Verbot würde hier ein
       klares gesellschaftliches Zeichen setzen. Denn Fakt ist: Social Media macht
       süchtig. Es raubt Zeit – Zeit, die Kindern und Jugendlichen für andere, für
       ihre Entwicklung essenzielle Aktivitäten fehlt. Ein voller Feed hinterlässt
       am Ende leere Köpfe.
       
       Während Wissenschaftler:innen noch nach eindeutigen Belegen für die
       negativen Langzeitfolgen der Nutzung suchen, erleben viele junge Menschen
       längst, was Worte wie [4][„Brain Rot“] treffend beschreiben: [5][ein
       gammeliges Gehirn], überfordert und ausgelaugt durch den übermäßigen Konsum
       meist belangloser Online-Inhalte. Die befürchteten Folgen der Hirnfäule:
       Konzentrationsprobleme, Motivationsverlust, eine immer kürzer werdende
       Aufmerksamkeitsspanne.
       
       ## Ständig auf der Jagd
       
       Das Gehirn, ständig auf der Jagd nach dem nächsten Dopamin-Kick, wird
       gefüttert – doch an den Content, der stundenlang konsumiert wurde, erinnert
       sich niemand mehr. Dass „Brain Rot“ vor wenigen Tagen von Oxford Press zum
       Wort des Jahres 2024 gewählt wurde, macht deutlich, wie weitreichend dieses
       Phänomen ist. Doch was passiert? Nichts! Die Nutzung bleibt weiter
       Privatsache, nur dass die meisten Eltern und Kinder es augenscheinlich
       nicht schaffen, dem endlosen Scrollen eigenverantwortlich den Riegel
       vorzuschieben.
       
       Die Zahlen sprechen für sich: Laut der [6][Copsy-Studie] gaben 40 Prozent
       der befragten Kinder und Jugendlichen an, digitale Medien mindestens vier
       Stunden am Tag für private Zwecke zu nutzen. Jede weitere Stunde erhöht das
       Risiko für psychische Auffälligkeiten und eine geringere Lebensqualität
       laut den Expert:innen um ein Vielfaches. Jedes dritte Kind berichtet,
       online belastenden Inhalten zu begegnen, jedes vierte sagt, die Nutzung
       sozialer Medien tue ihm nicht gut.
       
       Kinder zwischen 13 und 16 Jahren dürfen soziale Medien in Deutschland nur
       mit der Zustimmung der Erziehungsberechtigten nutzen. Auch die Dauer der
       Nutzung liegt in deren Hand. Doch die Realität zeigt, dass viele Eltern
       überfordert sind. Das Resultat: Kinder verbringen Stunde um Stunde in einer
       digitalen Welt, die für sie weder gesund noch sicher ist. Ein generelles
       Verbot für Kinder unter 16 könnte diesen Druck von den Eltern nehmen und
       eine klare Grenze ziehen. Es wäre ein Signal: Social Media ist kein
       Spielzeug, sondern eine Technologie, die verantwortungsvoll genutzt werden
       muss – und eben erst ab einem Alter, in dem junge Menschen diese
       Verantwortung übernehmen können.
       
       Natürlich bleibt die Frage: Wäre ein solches Verbot nicht auch ein Eingriff
       in die Freiheit der Jugendlichen? Die Antwort darauf ist komplex.
       Einerseits ja, denn ein Verbot schränkt die Teilhabe ein. Andererseits ist
       Sucht das Gegenteil von Freiheit. Wer nicht in der Lage ist, sich von etwas
       zu lösen, handelt nicht unabhängig, sondern getrieben. So gesehen könnte
       ein Social-Media-Verbot nicht nur Schutz bedeuten, sondern auch eine
       Grundlage dafür schaffen, dass junge Menschen später selbstbestimmt mit
       digitalen Medien umgehen können.
       
       Für die heutige Generation von 14- und 15-Jährigen wäre ein
       Social-Media-Verbot ein Schock: Viele von ihnen sind längst auf Plattformen
       wie Instagram oder Tiktok aktiv. Doch für kommende Generationen könnte ein
       solches Gesetz eine Art Neuanfang sein. Ein radikales Experiment, das
       scheitern kann. Es geht nicht darum, soziale Medien zu verteufeln. Es geht
       darum, ihnen einen angemessenen Platz in unserem Leben zuzuweisen. Denn:
       Der Status quo ist keine Lösung. Wir können nicht weiter über Handy-Zombies
       schimpfen, während wir tatenlos zusehen. Australien hat den Mut, neue Wege
       zu gehen. Diesen Mut sollten wir auch in Deutschland aufbringen – und
       Kindern die Chance geben, ohne „rottende Gehirne“ aufzuwachsen.
       
       7 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.pm.gov.au/media/social-media-reforms-protect-our-kids-online-pass-parliament
   DIR [2] https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/social-media-gesetz-australien-umfrage-sollten-soziale-medien-fuer-kinder-unter-16-auch-in-deutschland-verboten-sein/
   DIR [3] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/social-media-erst-ab-16-mehrheit-der-deutschen-fuer-verbot-fuer-kinder-und-jugendliche-110145102.html
   DIR [4] https://corp.oup.com/news/brain-rot-named-oxford-word-of-the-year-2024/
   DIR [5] /Social-Media-Verbot-fuer-Jugendliche/!6048934
   DIR [6] https://www.uke.de/allgemein/presse/pressemitteilungen/detailseite_160448.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christina Koppenhöfer
       
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