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       # taz.de -- Sozialpolitik in Berlin: Die Jugendhilfe kollabiert
       
       > Mitarbeiter*innen der Jugendhilfe machen mit einer besonderen Aktion
       > vor dem Roten Rathaus auf ihre prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam.
       
   IMG Bild: Von Akten begraben: Mitarbeiter*innen der Jugendhilfe schaffen die Arbeit nicht mehr
       
       Berlin taz | Eine Mitarbeiterin der Jugendsozialarbeit legt sich an einem
       Februarmorgen auf den gefrorenen Boden vor dem Berliner Rathaus.
       Mitarbeiter*innen der Jugendämter und Sozialarbeiter*innen
       stapeln Dutzende Akten auf ihrem Körper.
       
       Zwei halten ein Banner: „Wir schützen Kinder, wer schützt uns?“ steht
       darauf. Mit dieser Aktion machen die etwa 80 Protestierenden der
       Jugendhilfeeinrichtungen die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey
       (SPD) auf die Überlastung der Jugendämter und freien Träger aufmerksam.
       
       „Zu wenig Zeit, zu viele Familien, denen wir nicht helfen können. Wir
       befinden uns im Kollaps“, fasst [1][Hannes Wolf vom Berufsverband für
       Soziale Arbeit (DBSH)] zusammen. Die AG weiße Fahnen, DBSH und die
       Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatten ihre Kolleg*innen
       der Jugendämter und Jugendnotdienste zur Demonstration aufgerufen.
       
       Geringe Bezahlung der Mitarbeiter*innen, mehr Kinder, die aufgrund der
       Gefahrensituationen zu Hause in Obhut genommen werden, und Personalmangel
       sind nur einige der Probleme, welche die Sprecher*innen auf der
       Demonstration schildern.
       
       ## Mysterien der Jugendarbeit
       
       Die Überlastung des Systems habe sich weiterhin zugespitzt wegen der vielen
       Geflüchteten, die nach Berlin kommen und Jugendhilfe ebenso in Anspruch
       nehmen müssen. Auch habe die [2][Anzahl der Kinder, die wegen akuten
       Gefahrensituationen in ihrer Familie Unterstützung brauchen, nach der
       Coronapandemie zugenommen], schildert Fabian Schmidt (GEW).
       
       „Wir wollen aber keine Menschen gegeneinander ausspielen“, betont er.
       Wichtig sei, dass der Bedarf an Hilfsangeboten viel höher liege, als
       tatsächlich geleistet werden kann.
       
       Schmidt fordert deshalb, dass die Senatsverwaltung transparent darlegt, wie
       das Personal bemessen wird. „Das Modell ist eines der Mysterien der
       Jugendarbeit“, ruft er durchs Mikrofon. Wie prekär das sei, bekäme man mit,
       wenn bei dringenden Absprachen niemand beim Jugendamt erreicht werden kann.
       
       Der Personalbedarf müsse daher mit der Jugendhilfe abgestimmt und angepasst
       werden. Die Protestierenden wünschen sich, dass Senat und Bezirke
       Verantwortung übernehmen und nach der Wahl ein Sofortprogramm erstellen.
       
       Zu der Demo hatten die Vertreter*innen der Jugendhilfe alle Parteien
       eingeladen. Nur Christoph Keller, linker Jugendstadtrat aus Mitte, stellt
       sich vor das Mikrofon. Er setzte sich bei städtischen Verhandlungen für
       Jugendämter ein, die Anwesenden sollten das verstehen. „Zu spät“, tönt es
       aus den Reihen der Zuschauer*innen.
       
       ## Gegen prekäre Arbeit zusammenhalten
       
       Solidarität unter den unterschiedlichen Trägern sei das Wichtigste, meint
       eine Sprecherin und erntet Applaus. „Wir sind stolz auf die
       Kolleg*innen, die sich wehren und immer wieder Überlastungsanzeigen
       schreiben, meint Schmidt.
       
       Diese Anzeigen dienen als Hinweis für die Arbeitgeberin, dass die
       Mitarbeiter*innen ihre Arbeit nicht mehr richtig ausführen können. Die
       Jugendhilfe hofft so, Druck auf die Senatsverwaltungen auszuüben und
       aufzuzeigen, [3][in welcher prekären Lage sich die freien Träger und
       Jugendämter befinden].
       
       Manchmal helfe ein Blick in andere Bundesländer, schildert Harith Krenitz
       von der AG Weiße Fahnen. Was in Berlin Arbeit für eine Person sei, wären in
       Bayern 2,5 Stellen. Ungläubiges Gelächter aus dem Publikum.
       
       „Man muss sich immer klarmachen, dass es hier um Familien, um Menschen,
       geht und nicht um Akten“, schließt Schmidt. Helfende Hände befreien die
       Mitarbeiterin aus dem Aktenberg. „Vorsicht, mein Knie ist kaputt“, ruft sie
       noch.
       
       8 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ann-Kathrin Leclère
       
       ## TAGS
       
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