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       # taz.de -- Spaniens Justiz: Nicht demokratisch
       
       > Nicht nur in Polen und Ungarn, sondern auch in Spanien wird die Justiz
       > politisch manipuliert. Hier ist die Opposition das Problem.
       
   IMG Bild: Hat die spanische Justiz im Blick: der Justizkommissars der Europäischen Union, Didier Reynders
       
       Geht es um Justiz in Europa, schauen alle nach Ungarn und Polen. Dort
       werden immer mehr demokratische Prinzipien eingeschränkt. Doch es gibt ein
       weiteres [1][Problemland: Spanien]. Die dortige Justiz ist mittlerweile
       auch ins Blickfeld des Justizkommissars der Europäischen Union, Didier
       Reynders, gerückt.
       
       Reynders kritisierte auf einem Besuch in Madrid Ende September die völlige
       Blockade der in der Verfassung vorgesehenen Erneuerung wichtiger Instanzen,
       darunter die Ernennung von Mitgliedern des Consejo General del Poder
       Judicial, des Obersten Justizrats (CGPJ) – so etwas wie die Regierung der
       Richter – und des Verfassungsgerichts durch das spanische Parlament. Seit
       nunmehr vier Jahren werden diese Institutionen nicht erneuert. Am Montag
       trat der Präsident des CGPJ, Carlos Lesmes, aus Protest gegen die Situation
       zurück. Spaniens Justiz steckt in einer nie dagewesenen Krise.
       
       Anders als in Polen und Ungarn ist die Blockade der Justiz nicht der
       regierenden Linkskoalition aus Sozialisten und Linksalternativen
       zuzuschreiben, sondern der rechten Opposition der Partido Popular (PP). Sie
       weigert sich, mit der Regierung eine Neubesetzung auszuhandeln. Die
       erforderliche Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament kommt so nicht zustande.
       Die alten Richter bleiben, und das, obwohl diese immer wieder ihre Ablösung
       fordern. Der Grund, zumindest der offizielle: Die PP möchte verhindern,
       dass auch der kleinere Koalitionspartner, die linksalternative Unidas
       Podemos, ihre Vorschläge machen kann. Diese Partei sei undemokratisch,
       behauptet die PP, und bricht damit selbst seit nunmehr vier Jahren die
       Verfassung.
       
       Die Konservativen leben gut mit dieser Blockade. Gegen die PP, die bereits
       einmal als „korrupte Partei“ verurteilt wurde, laufen zahlreiche weitere
       Verfahren wegen illegaler Parteienfinanzierung und persönlicher
       Bereicherung. Viele der Tatbestände datieren aus der Zeit, als José María
       Aznar und dessen Nachfolger an der Spitze der PP, Mariano Rajoy, Spanien
       regierten. Je höher in der Justizhierarchie, desto mehr PP-treue Richter.
       Die Konservativen wollen diese Vormachtstellung durch eine Erneuerung des
       CGJP nicht verlieren.
       
       Noch immer werden vor allem von den obersten Instanzen Ermittlungen gegen
       PP-Politiker eingestellt oder milde Urteile gesprochen. Nur ein Beispiel:
       Bis heute ist für Richter:innen bis hinauf zum Obersten Gerichtshof
       nicht geklärt, wer denn nun bei einer Auflistung von Schwarzgeldzahlungen
       des mittlerweile inhaftierten PP-Kassenwarts an PP-Politiker mit dem
       Eintrag „M. Rajoy“ gemeint sein mag. Dass dabei die Justiz – einer der
       wichtigsten Pfeiler einer Demokratie – längst den Ruf hat, parteipolitisch
       und nicht unabhängig zu sein, stört Spaniens Rechte nicht.
       
       Der wohl nur zufällig namensverwandte Mariano Rajoy, der vor vier Jahren
       per Misstrauensvotum durch den Sozialisten Pedro Sánchez als
       Ministerpräsident abgelöst wurde, nutzte die Justiz, wo immer er konnte, um
       seine Politik zu machen. So ließ er nach dem Unabhängigkeitsreferendum in
       Katalonien vor fünf Jahren weit über eintausend
       Unabhängigkeitsbefürworter:innen gerichtlich verfolgen. Ein
       Großteil der Minister der katalanischen Regierung musste wegen Aufstandes
       vor Gericht und wurde zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt.
       Etwas, das so in anderen EU-Ländern nicht hätte geschehen können. Sowohl
       Belgien als auch Schottland und Deutschland weigerten sich Mitangeklagte
       auszuweisen, die sich rechtzeitig in Exil begeben hatten. Darunter der
       einstige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont, der heute in
       Brüssel lebt und Abgeordneter im EU-Parlament ist.
       
       Eben das beschäftigt sich mit einem anderen Skandal aus jenen Jahren.
       [2][Die Handys von mindestens 65 Unabhängigkeitspolitiker:innen]
       und -aktivist:innen wurden mittels der Spionagesoftware Pegasus
       ausspioniert. Bei mindestens 18 hatte der Geheimdienst – der offiziell gar
       nicht über die israelische Spyware Pegasus verfügt, so das
       Verteidigungsministerium – eine richterliche Genehmigung. Während das
       Europaparlament den Fall zusammen mit anderen Fällen aus Ungarn und Polen
       untersucht, geschieht in Spanien nichts.
       
       Die Justiz, die die PP hinterlassen hat, arbeitet weiter im Dienste der
       Politik der spanischen Rechten. Jüngstes Beispiel sind Ermittlungen gegen
       ein Gründungsmitglied von Podemos. Obwohl die Anschuldigungen der
       [3][illegalen Finanzierung mit Hilfe Venezuelas jedweder Grundlage
       entbehren], ermittelt der PP-nahe Richter Manuel García Castellón weiter.
       Es ist der gleiche Jurist, der dafür sorgte, dass Puigdemonts Nachfolger an
       der Spitze der katalanischen Regierung, Quim Torra, des Amtes enthoben
       wurde. Sein Vergehen: Er hatte an seinem Amtssitz ein Transparent in
       Solidarität mit den verurteilten katalanischen Politikern aufhängen lassen.
       Gleichzeitig stellte García Castellón Ermittlungen gegen die
       Generalsekretärin María Dolores Cospedal ein. Sie hatte zu Zeiten Rajoys
       veranlasst, dass eine Handvoll Polizisten Beweise gegen die
       Unabhängigkeitsbewegung und Podemos konstruierten.
       
       In Spanien gehört nur jede:r vierte Richter:in, die sich einem
       Richterverband anschließen, der einzigen fortschrittlichen Organisation an.
       Hochgerechnet auf alle Richter und Richterinnen im Land ist dies gar nur
       jede:r Zehnte. Der Grund für diese überwältigende konservative Mehrheit
       sehen viele im Aufnahmeverfahren. Die Richter:innen müssen über 300
       Themen praktisch auswendig lernen, um sie dann so gut wie wörtlich
       wiederzugeben. Um das zu erreichen, sind drei bis vier Jahre mit bis zu
       zehn Stunden Büffeln täglich notwendig. Weder das Auslegen von Gesetzen
       noch die Fähigkeit, Tatverhalte umfangreich zu beleuchten und zu bewerten
       und so zu einem Urteil zu kommen, werden abgefragt. Demokratisch geschulte
       Richter:innen sehen anders aus.
       
       13 Oct 2022
       
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