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       # taz.de -- Spanisches Frauen-Nationalteam: Verbandsreförmchen
       
       > Beim WM-Finale vor zwei Jahren zwang der Chef des spanischen
       > Fußballverbands Rubiales der Spielerin Hermoso einen Kuss auf. Was ist
       > seitdem passiert?
       
   IMG Bild: Das spanische Team in Feierlaune – am Donnerstagabend gewannen sie gegen Portugal locker mit 5:0
       
       Lausanne und Bern taz | Applaus brandet auf. Die Spanierinnen betreten
       endlich den Rasen. Auf der Tribüne sind fast alle Klappsitze besetzt. Etwa
       700 Menschen haben sich am Montagmorgen hier in unmittelbarer Ufernähe zum
       Genfer See in Lausanne versammelt. Was für ein Statement kurz vor Beginn
       dieser Europameisterschaft!
       
       Vor 30 Jahren bestritt noch England im eigenen Lande das EM-Halbfinale
       gegen Deutschland vor ähnlich vielen Zuschauern (800). In Lausanne schätzen
       sich die Besucher glücklich, den Spanierinnen beim Training zuschauen zu
       dürfen.
       
       Auf der Tribüne erklärt eine Frau, die mit ihrer Familie gekommen ist: „Sie
       sind Weltmeisterinnen, und wir müssen nicht einmal Eintritt zahlen.“
       
       Der Respekt ist mit Händen zu greifen. Es sind auch einige aus Spanien da.
       Die meisten dürften aber aus der Umgebung kommen. Es wird viel französisch
       gesprochen. Vereinzelt sind spanische Trikots mit dem Namenszug der
       Weltfußballerinnen Alexia Putellas und Aitana Bonmatí im Publikum zu sehen.
       Sie haben mit ihrem Können ihre Anhängerschaft global erweitert. So wird
       die an Meningitis erkrankte Bonmatí hier schmerzlich vermisst.
       
       ## Die dunkle Vergangenheit liegt nicht allzu lang zurück
       
       Es sieht alles nach einer schönen neuen Welt aus. Doch schon der Name des
       Stadions, wo die Grundlagen für den ersten EM-Titelgewinn geschaffen werden
       sollen, liest sich ironischerweise wie eine Ermahnung. So leicht lässt sich
       die dunkle Vergangenheit nicht abstreifen.
       
       Es ist nämlich nach dem spanischen Sportfunktionär Juan Antonio Samaranch
       benannt, der nicht nur einst dem spanischen Diktator Franco diente, sondern
       dessen IOC-Präsidentschaft (1980–2001) mit Korruption und einem
       autoritären Führungsstil in Verbindung gebracht wird. Umbenennungsversuche
       in der IOC-Stadt Lausanne scheiterten bislang.
       
       Die finstersten Momente des spanischen Frauenfußballs liegen indes nicht
       weiter zurück als die schönsten. Ein sexueller Übergriff des damaligen
       Verbandspräsidenten Luis Rubiales rückte den WM-Titelgewinn vor zwei
       Jahren schon bei der Siegerinnenehrung aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit.
       Denn zu diesem Anlass zwang Rubiales der Rekordtorschützin des spanischen
       Nationalteams, Jennifer Hermoso, einen Kuss auf. Dies löste in Spanien eine
       intensive gesellschaftliche Debatte aus.
       
       Auf Klage von Hermoso verurteilte ein Gericht in Madrid Rubiales wegen des
       sexuellen Übergriffs zu [1][einer Geldstrafe von über 10.000 Euro] und
       einem einjährigen Kontaktverbot zu Hermoso. Vor wenigen Tagen erst
       bestätigte das Berufungsgericht das Urteil.
       
       ## Machismus und Widerstand
       
       Im spanischen Fußball sind die Probleme der Kultur des Machismus, der keine
       Rücksicht auf die Interessen der Spielerinnen nimmt, selbstredend weit
       älteren Ursprungs. Der Widerstand dagegen wurde erstmals deutlich sichtbar
       durch den Aufstand der 15 spanischen Nationalspielerinnen im September
       2022. Sie beklagten Stagnation in der Entwicklung und Förderung der
       spanischen Auswahl. Und lasteten dies vor allem dem damaligen Trainer Jorge
       Vilda an.
       
       Sie forderten Veränderungen, andernfalls könnten sie nicht mehr fürs
       Nationalteam spielen. Neben mangelhafter fachlicher Eignung, wie später
       durchsickerte, wurde Vilda eine geradezu manische Kontrollsucht
       vorgeworfen. Rubiales stärkte aber Vilda den Rücken, so wie der dies später
       umgekehrt auch tat, als Rubiales mit Rücktrittsforderungen wegen des
       sexuellen Übergriffs konfrontiert war.
       
       Jorge Vilda war danach nicht mehr im Amt zu halten. Nun gibt Montse Tomé
       beim öffentlichen Training in Lausanne klar vernehmbar die Kommandos. Ihr
       Führungsstil wirkt bestimmt. Fünf Jahre war sie unter Vilda
       Assistenztrainerin. Ihre Beförderung zur Cheftrainerin wird seither
       kritisch beäugt.
       
       Vielleicht ist das ein Grund, weshalb sie nach dem Training den
       Autogrammjägern besonders zugewandt und ausdauernd ihre Wünsche erfüllt.
       „Wie geht’s?“, fragt sie fast jeden und jede, die ihr ein Trikot, Zettel
       oder sonst etwas entgegenhalten für ihre Unterschrift. Die 43-Jährige gilt
       als Gesicht des alten Systems, zumal sie es bislang vermieden hat,
       öffentlich über den Fall Rubiales zu sprechen.
       
       ## Das erste Spiel verläuft schonmal phänomenal
       
       Rut Vilar von Catalunya Ràdio, die das Training in Lausanne ebenfalls
       verfolgt, schätzt Tomés Position derzeit nicht besonders stark ein: „Ihre
       Zukunft im Amt hängt sehr von den [2][Ergebnissen bei dieser EM ab].“ Das
       Verhältnis zwischen Trainerin und Team sei in erster Linie ein
       professionelles.
       
       Ihre Premiere bei der EM verschafft Tomé erst einmal Ruhe. „Das erste Spiel
       ist natürlich sehr wichtig“, erklärt sie nach dem 5:0-Erfolg gegen
       Portugal. Es ist ein wenig wie beim Training. Immer wieder geht ein Raunen
       durch das Stadion, wenn die Spanierinnen mit ihrer Ballsicherheit und
       flexiblem Positionsspiel die Anwesenheit ihrer Gegenspielerinnen vergessen
       machen. 4:0 steht es bereits zur Halbzeit. Schon nach 88 Sekunden verwertet
       Esther González ein zauberhaftes Zuspiel aus der Ferne gekonnt zum
       Führungstreffer. Es ist ein federleichter Einstieg ins Turnier.
       
       Die Empfänglichkeit für Euphorie scheint aber bei Montse Tomé begrenzt zu
       sein. Sie resümiert: „Wie immer gibt es genug zu verbessern.“
       
       Tomé will über Fußball sprechen und nichts anderes. Die Erschütterungen des
       Rubiales-Skandals, die bis heute nachwirken, ignoriert sie offenkundig
       bewusst. Ihre Auftritte in der Öffentlichkeit sind eher knapp.
       Normalerweise ist es bei den Pressekonferenzen nach den EM-Spielen so, dass
       die gewählte Spielerin des Spiels nur zwei, drei Fragen beantworten muss,
       bevor die Trainerinnen und Trainer in aller Ausführlichkeit ausgeforscht
       werden.
       
       ## Spaniens Trainerin eher kurz angebunden
       
       Im Nachgang der Partie gegen Portugal ist die Fragerunde mit Tomé schnell
       vorüber. Mehr ins Detail der Spiel- und Teamanalyse geht es, als die
       Spielführerin Alexia Putellas das Podium betritt. Was die Weltmeisterin zu
       sagen hat, bekommt dadurch deutlich mehr Gewicht. Man kann den Eindruck
       gewinnen, dass die besten Fußballerinnen Spaniens sich letztlich nicht
       daran aufreiben wollen, wer neben ihnen Trainerin ist.
       
       Es kann nur darüber spekuliert werden, wie im Team über die Entscheidung
       von Tomé gedacht wird, Jennifer Hermoso nicht in den EM-Kader zu berufen.
       Schon während der erfolgreichen WM gab es interne Konflikte. Wichtige
       Spielerinnen wie Aitana Bonmatí und Iréne Paredes, die im Nationalteam zur
       großen Fraktion der Spielerinnen vom FC Barcelona zählen, sind eng mit der
       einstigen Barça-Stürmerin Hermoso befreundet.
       
       Sie selbst hat aus ihrer Enttäuschung über Tomé keinen Hehl gemacht. Via X
       beklagte sie fehlende Kommunikation sowie Unaufrichtigkeit und giftete, das
       Team würde ohne Trainerin wahrscheinlich eher Europameister werden.
       
       „Nur sportliche Gründe“, so hatte Tomé erklärt, habe sie zum Verzicht auf
       Hermoso bewegt. Vilar von Catalunya Ràdio glaubt das nicht. Es sei einfach
       ein günstiger Moment gewesen, so zu handeln, weil die 35-Jährige sich mit
       ihren Leistungen in der fernen mexikanischen Liga nicht aufdrängen konnte
       und bereits in der Nations League nicht mitgespielt habe. Sportlich sei
       Hermoso nicht mehr so ein großer Faktor.
       
       ## Ein paar Verbesserungen
       
       In dieser Hinsicht sei es für das Team schmerzhafter, dass Mapi León immer
       noch nicht zurückgekehrt sei. Die wohl beste spanische Innenverteidigerin
       vom FC Barcelona gehörte 2022 den 15 Aufständigen an, verzichtete auch auf
       die Weltmeisterschaft und veränderte ihre Haltung auch nicht, nachdem
       Montse Tomé Auswahltrainerin wurde. Offenbar gehen ihr die Veränderungen
       rund um das Nationalteam nicht weit genug.
       
       Zu ihrem Amtsantritt im September 2023 [3][berief Montse Tomé 15
       Weltmeisterinnen], obwohl diese einen Nationalteam-Boykott verkündet
       hatten, weil der spanische Fußballverband nach dem Rubiales-Abgang sich nur
       zu halbherzigen Reformmaßnahmen durchringen konnte. Erst Nachverhandlungen
       mit dem Verband konnten die Situation befrieden.
       
       Mittlerweile, findet Sara Gutiérrez von RTVE, der größten
       Rundfunkgesellschaft Spaniens, habe sich vieles zum Besseren verändert.
       „Die Spielerinnen sind sehr glücklich darüber.“ Das Betreuerteam sei etwa
       im Vergleich zur WM 2023 erheblich aufgestockt worden. Statt drei
       Physiotherapeuten seien dieses Mal fünf dabei. Auch andere Positionen habe
       man mit mindestens um einen Mann oder eine Frau aufgestockt. In Lausanne
       begleitet eine eigene Betreuer-Elf das öffentliche Training der
       Spielerinnen.
       
       Auch die Unterkunft in der Schweiz entspricht einem Standard, wie er bei
       den Männern seit Jahrzehnten üblich ist. Die Spanierinnen logieren während
       der EM in Lausanne im schlossähnlichen Fünf-Sterne-Hotel Royal Savoy.
       
       ## Konzentration und Professionalität
       
       In Sachen Professionalisierung hat sich also in den letzten beiden Jahren
       einiges getan. Die Abläufe beim öffentlichen Training wirken eingespielt.
       Jede und jeder weiß, was zu tun ist. Auf eng abgesteckten Feldern wird mit
       großer körperlicher Intensität und atemberaubender Gedankenschnelligkeit
       die perfekte Ballzirkulation eingeübt.
       
       Das Weltmeisterinnen-Publikum in Lausanne schaut staunend zu und traut sich
       nur bei einem gelungenen Torabschluss, die konzentrierte Atmosphäre mit
       Applaus zu unterbrechen.
       
       Die nächsten EM-Vorführungen dieses so besonderen Ensembles sind am Montag
       gegen Belgien und am Freitag gegen Italien zu bewundern.
       
       6 Jul 2025
       
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