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       # taz.de -- Sparkurs in Portugal: „Gebt uns unser Leben zurück!“
       
       > Die konservative Regierung in Lissabon nimmt einen Anlauf nach dem
       > anderen: Löhne und Renten gehen runter, Steuern rauf, Medikamente werden
       > teurer.
       
   IMG Bild: Wut in Lissabon.
       
       MADRID taz | Das Motto, mit dem ein Facebookbündnis seit Wochen in Portugal
       mobilisiert, lässt keine Fragen offen: „Zum Teufel mit der Troika! Gebt uns
       unser Leben zurück!“ Die Sparmaßnahmen, die die Bevölkerung des kleinen
       südwesteuropäischen Landes aufdiktiert bekommen, sind an die Grenzen des
       Erträglichen gestoßen.
       
       Doch das Ziel, das Haushaltsdefizit bis zum Jahresende auf die von der
       Europäischen Union (EU), dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der
       Europäischen Zentralbank (EZB) geforderten 4,5 Prozent und bis Ende 2013
       auf unter 3 Prozent zu senken, wird auch so nicht erreicht. Das musste
       mittlerweile sogar die Troika erkennen und verlängert die Frist für den
       „Musterschüler“ um ein Jahr.
       
       Es muss noch mehr gespart werden, aber wo? Die Regierung des Konservativen
       Pedro Passos Coelho nimmt einen Anlauf nach dem anderen. Nach der
       Sommerpause sollte per Gesetz eine siebenprozentige Lohnsenkung durch
       Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge durchgedrückt werden. Die
       Gewerkschaften und besagtes Facebookbündnis brachten Hunderttausende auf
       die Straße. Das Vorhaben musste zurückgenommen werden.
       
       Die Portugiesen, die seit Beginn der Krise bis zu 40 Prozent ihrer
       Einkommen verloren haben, wollten diese Lohnsenkung einfach nicht mehr
       hinnehmen. Der monatliche Durchschnittslohn liegt noch bei 800 Euro.
       
       ## 5,3 Milliarden Euro werden gespart
       
       Umgehend wurde ein neuer Plan entworfen und durchs Parlament gestimmt.
       Insgesamt werden 5,3 Milliarden Euro eingespart. 80 Prozent davon stammen
       aus neuen Steuereinnahmen. Um dies zu erreichen, reformierte Passos Coelho
       die Lohnsteuer. Eine Familie mit zwei Kindern und zwei Einkommen von je
       1.500 Euro zahlt damit künftig jährlich 2.000 Euro mehr an Lohnsteuer.
       Hochgerechnet auf ein Jahr verlieren die meisten portugiesischen
       Beschäftigten rund einen Monatslohn.
       
       Die 16 Prozent Arbeitslosen verlieren 6 Prozent ihrer Stütze. Rentner mit
       mehr als 1.350 Euro pro Monat werden mit 3,5 Prozent, Schwerbehinderte mit
       5 Prozent zur Kasse gebeten. Schulen und Universitäten erhalten 6,5 Prozent
       weniger, das Gesundheitssystem muss gar auf knapp 20 Prozent verzichten.
       Die Wartelisten für Operationen werden immer länger. Selbst Krebskranke
       sind davon betroffen.
       
       Die Selbstbeteiligungen der Patienten wurde erhöht, Personal abgebaut,
       Kliniken wurden privatisiert. Manche Arzneimittel sind nicht mehr
       erhältlich. Viele, vor allem chronisch kranke Rentner, könne sich die
       Zuzahlung für Medikamente nicht mehr leisten. Die Frühgeburtenrate nimmt
       mangels Vorsorge zu.
       
       Gewerkschaften und Linke befürchten von den neuen Sparplänen das
       Schlimmste. Selbst aus den Reihen der Regierungspartei PSD werden kritische
       Stimmen laut. „Was nutzt es uns, dem Bankrott zu entwischen, wenn danach
       alles tot ist“, fragt Exfinanzministerin Manuela Ferreira Leite.
       
       12 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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