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       # taz.de -- Spielfilm „Ein leichtes Mädchen“: Kettenreaktion auf der Yacht
       
       > Rebecca Zlotowskis Film ist eine amoralische Antwort auf #MeToo. Im
       > Mittelpunkt steht eine Frauenfigur, die selbstbestimmt und berechnend
       > auftritt.
       
   IMG Bild: Ungleiche Cousinen: Zahia Dehar und Mina Farid in „Ein leichtes Mädchen“
       
       In den Sommerferien passiert etwas. Prädestinierte Wochen zwischen Juli und
       August, in denen der Alltag aus den Angeln gehoben ist, verreist wird oder
       Reisende das vertraute, nicht selten auch langweilig gewordene Terrain der
       Daheimgebliebenen betreten. All das ist narrative Ausgangslage in Rebecca
       Zlotowskis neuem Film „Ein leichtes Mädchen“.
       
       Die Besucherin heißt Sofia (Zahia Dehar), und es scheint gleich zu Beginn,
       als hätten die unergründlichen Weiten des Meeres diese Nixe angespült. In
       äußerst knapper Badekleidung rekelt sich Sofia da am Strand; Sand, Wasser,
       Sonnenschein auf dieser braunen Haut – nicht grundlos wird man als
       Zusehender sogleich in die Position eines Voyeurs gerückt. Das ist ein
       wenig unangenehm, aber zugleich auch sehr aufregend.
       
       Ohnehin ist jene Aufregung, die nicht selten auch eine Erregung ist,
       wesentliches Element in „Ein leichtes Mädchen“. Rebecca Zlotowski ist
       nämlich zweifelsohne sehr daran gelegen, den erotischen Glamour, den Zahia
       Dehar von Haus aus mitbringt (160.000 Instagram-Follower, die Dehar beim
       Präsentieren teils selbst entworfener Reizwäsche beobachten, können nicht
       irren), möglichst demonstrativ in Szene zu setzen.
       
       Damit wird Sofia nicht nur die Aufmerksamkeit so gut wie aller Männer
       zuteil, die sie auch nur aus dreißig Metern Entfernung erspähen – auch ihre
       16-jährige Cousine Naïma (Mina Farid) hat Sofia sofort im Visier. Und so
       kann man sich manchmal nicht ganz sicher sein, ob die überbordende Erotik
       des Sommergastes nicht auch zu einem gewissen Grad der ungleich
       zurückhaltenderen Jüngeren geschuldet ist, für die Sofia etwas verkörpert,
       das ihr selbst (noch) fremd ist.
       
       Oder anders: Die Empfindungen Naïmas potenzieren die Anziehungskraft
       Sofias. Der Ort für einen solchen Energietransfer wurde von Zlotowski
       perfekt gewählt: Cannes. Bereits in der Vergangenheit bewies die
       Regisseurin ein gutes Händchen für das Setting, im 2013 erschienen „Grand
       Central“ etwa entspann sich eine Liebesgeschichte in einem Kernkraftwerk.
       
       In Cannes ist davon freilich nichts zu sehen. Hier lebt Naïma allein mit
       ihrer Mutter und vom schillernden Gewese, für das der Küstenort verehrt wie
       verrufen ist, sind beide eher peripher betroffen. Sofia hält es da anders.
       Die Reichen ziehen sie an und die wiederum fühlen sich von ihr angezogen.
       Es ist eine andere Art von Kettenreaktion, die sich, wenn nicht in
       Reaktoren vollzieht, so doch auf Yachten.
       
       ## Mit Sofia auf der Yacht
       
       Rebecca Zlotowski inszeniert ihren Film satt und prickelnd, dessen Bilder –
       je nachdem, welche der beiden Frauen gerade das Zentrum ihres Interesses
       darstellt – entweder mondän, klassisch, auch überaus filmgeschichtsaffin
       anmuten, oder aber, hinsichtlich Naïmas, zeitgemäß und etwas kantiger.
       Hockt man mit Sofia auf einer Yacht und lässt sich von fremden Bewunderern
       Champagner servieren, während ein ozeanisches Blau in Wechselspiel mit
       bronzenen Teints und weißen Segelhosen gerät, würde man sich nicht wundern,
       wenn Tom Ripley alias Alain Delon auf einmal um die Ecke spaziert käme.
       
       Und tatsächlich hat Zlotowski in ihrem Film nicht nur einen Cousinen-Plot
       untergebracht, sondern auch einen um eine ambivalente Männerfreundschaft,
       die sich auf jenem Boot abspielt, das Sofia und Naïma besteigen. Letztere
       wiederum, aus deren Perspektive sich das Sommergeschehen vollzieht, taucht
       zumindest anfänglich in altersgemäßen Kreisen auf, etwa an der Seite ihres
       Freundes Dodo. Der beäugt den Wandel Naïmas, der so eng mit dem Auftreten
       Sofias verwoben ist, kritisch. Denn in „Ein leichtes Mädchen“ kommt es auch
       zu einer Entgrenzung – irgendwann trägt Naïma ein Tattoo auf ihrem Körper,
       das sich so ähnlich auch auf Sofias wiederfindet.
       
       Zlotowski erzählt, „Ein leichtes Mädchen“ sei auch als Reaktion auf die
       Weinstein-Affäre entstanden, obschon sie betont, das Thema habe sie schon
       lange vorher beschäftigt. Gemeinsam mit Dehar konnte sie eine Frauenfigur
       erschaffen, die sich selbstbestimmt, berechnend und hingebend in einer Welt
       verhält, die es einerseits sehr gut mit ihren Ankömmlingen meint, sie dann
       aber schnell wieder über die Reling stößt.
       
       Die unangenehmste Prüfung widerfährt Sofia durch eine eifersüchtige ältere
       Frau, die es darauf anlegt, hinter ihrem geschickten Gebaren eine gähnende
       Leere zu entdecken. Zum Barometer wird die Kenntnislage über Marguerite
       Duras. Sofia besteht mit Bravour und lässt es sich nicht nehmen, den
       Auftritt mit einer kleinen Striptease-Einlage zu veredeln. Reaktionen, die
       Haydée Politoff in Éric Rohmers „La Collectionneuse“ (1965) eventuell nicht
       eingefallen wären, auf den sich „Ein leichtes Mädchen“ mehr oder minder
       explizit bezieht. Sowieso betont die Regisseurin den Einfluss Rohmers auf
       den Film – allein Zahia Dehar wäre ihr als Person erschienen, die direkt
       einem seiner Filme entsprungen sein könnte. „Ein leichtes Mädchen“, sagt
       Zlotowski, ist ihr amoralisches Sommermärchen.
       
       11 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolin Weidner
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt #metoo
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