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       # taz.de -- Spielfilm „Gotteskinder“: Wenn eine selbst gestaltete Jugend Sünde ist
       
       > Frauke Lodders' Film erzählt von zwei Jugendlichen, die in einer
       > evangelikalen Familie aufwachsen. Er ist Milieustudie und Familiendrama
       > zugleich.
       
   IMG Bild: Durch seine weltliche Lebenseinstellung sät Max (Michelangelo Fortuzzi) Zweifel in Hannah (Flora Li Thiemann)
       
       In den USA haben die evangelikalen Christen gerade Donald Trump zu seiner
       zweiten Präsidentschaft [1][verholfen]. In Europa können die meisten
       Menschen über deren verqueres Weltbild nur den Kopf schütteln. Aber auch in
       Deutschland gibt es eine [2][wachsende evangelikale Bewegung] und auch hier
       glauben viele daran, dass Gott die Welt an sieben Tagen erschaffen hat,
       dass vorehelicher Sex eine schwere Sünde und gleichgeschlechtliche Liebe im
       wahrsten Sinne des Wortes [3][Teufelswerk ist].
       
       All das wird in der Familie der 17-jährigen Hannah und ihres 15-jährigen
       Bruders Timotheus mit keinem Gedanken in Frage gestellt. Sie leben in einer
       typischen Vorortsiedlung, die fast schon das Sinnbild einer deutschen, ein
       wenig drögen Normalität ist. Doch sie folgen dabei Regeln, die zugleich
       absurd und exotisch scheinen.
       
       Die deutsche Filmemacherin Frauke Lodders hat ein Jahr lang intensiv über
       freikirchliche Gemeinden in Deutschland recherchiert und man merkt ihrem
       Spielfilm „Gotteskinder“ an, wie intensiv und einfühlsam sie sich mit
       diesem [4][Milieu] vertraut gemacht hat.
       
       Am Anfang des Films scheint Hannah voll von religiöser Verzückung zu
       strahlen. Sie nimmt an einer sogenannten „Holy Spirit Night“ teil, die eher
       einer großen Party als einem Gottesdienst gleicht. Bei der findet ein
       junger [5][charismatischer Prediger] genau die richtigen Worte, um sein
       junges Publikum zu begeistern. Diese Geborgenheit einer Gemeinde von
       Menschen mit starkem Glaube scheint auch in Hannahs Familie vorzuherrschen.
       Doch dann ziehen der gleichaltrige Max und seine alleinerziehende Mutter in
       ein Nachbarhaus ein. Und Max ist ein ganz normaler, rebellischer
       Jugendlicher.
       
       Schnell kommen sich Hannah und Max näher. Lodders’ Drehbuch ist wie eine
       Versuchsanordnung konstruiert und so ist vieles in der Handlung schnell
       vorhersehbar. Max ist der Katalysator – derjenige, der durch seine offene
       und weltliche Lebenseinstellung Zweifel in Hannah sät. Und ihr Bruder Timo
       hat von seinem ersten Auftritt an solch einen unsicher verängstigten Blick,
       dass damit sofort deutlich gemacht wird, dass er nicht im Reinen mit seinem
       christlichen Glauben lebt. Für Hannah ist schon ein Kinobesuch zusammen mit
       Max sündhaft und Timo tauscht tiefe Blicke mit einem jungen Mann in der
       Gemeinde.
       
       Schnell wird der bis dahin liebevolle Vater (Lodders ist so klug, jede
       Dämonisierung zu vermeiden) zu einem autoritären Patriarchen, der seinen
       Sohn zu einem „Seelsorgecamp“ schickt, wo er in einer sogenannten
       Konversationstherapie, die sich als eine archaisch wirkende
       Teufelsaustreibung entpuppt, von seiner angeblich sündhaften Homosexualität
       geheilt werden soll.
       
       Lodders erzählt konsequent aus der Perspektive der drei Jugendlichen. Die
       werden von Flora Li Thiemann, Serafin Mishiev und Michelangelo Fortuzzi so
       lebendig und überzeugend verkörpert, dass „Gotteskinder“ auch als ein
       „Coming of age“-Film für ein gleichaltriges Zielpublikum funktionieren
       könnte.
       
       Diese Perspektive hat allerdings den Nachteil, dass die Motivationen der
       Erwachsenen nicht immer deutlich werden. So entspricht es zwar den
       Rollenbildern und Familienstrukturen der orthodox lebenden Christ*innen,
       dass die Mutter in der Familie passiv bleibt und kaum ein Wort sagt. Aber
       wenn Max auf der Straße von Gemeindemitgliedern in ein Auto gezerrt und zu
       dem Camp verschleppt wird, ist es kaum plausibel, dass dessen Mutter dabei
       tatenlos zusieht.
       
       Mit knapp zwei Stunden ist der Film recht lang geraten und in der
       Postproduktion scheint ein ganzer Handlungsstrang geschnitten worden zu
       sein. Denn es ist kaum verständlich, warum die gerade zugezogene Mutter
       nach ein paar kurzen Gesprächen mit dem Nachbarn so in dessen Fängen
       landet, dass sie mit dem Verrat ihres Sohnes den unverzeihlichsten
       Sündenfall des Films begeht.
       
       Frauke Lodders Stärken liegen bei der Regie. Ihr gelingt mit „Gotteskinder“
       trotz der Mängel in der Dramaturgie zugleich ein stimmiges Familiendrama,
       das darüber aufklärt, mit welchen Mitteln erzkonservative Christen heute
       junge Menschen einfangen.
       
       Frauke Lodders ist der Bremer Filmszene seit ihrem Debütfilm „Morpheus“ im
       Jahr 2014 verbunden. „Gotteskinder“ wurde zwar in Nordhessen gedreht, aber
       von der Bremer Firma Kinescope Film produziert und von der Nordmedia
       gefördert. Deshalb fand die Premiere des Films am 30. Januar im Bremer
       [6][City 46] um 20 Uhr als ein Heimspiel des Bremer Filmbüros statt.
       
       1 Feb 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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