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       # taz.de -- Spielfilm „Im Schatten der Frauen“: Körper im Leerlauf
       
       > Der französische Regisseur Philippe Garrel umkreist in seinem Alterswerk
       > „Im Schatten der Frauen“ ein Paar in der Ehekrise.
       
   IMG Bild: „Im Schatten der Frauen“ findet schöne Bilder für eine Beziehung mit Irritationen: Pierre (Stanislas Merhar) und Manon (Clotilde Courau).
       
       Einen Dokumentarfilm über einen Kämpfer im Widerstand gegen die
       Nazibesatzung möchte der Regisseur Pierre (Stanislas Merhar) drehen.
       Während eines Interviews sitzt er dem inzwischen weißhaarigen,
       gebrechlichen Mann und dessen Frau gegenüber. Der Alte erzählt vom Krieg,
       die Frau serviert Plätzchen. In dieser ehelichen Routine, die auf gemeinsam
       verbrachte Jahrzehnte, auf eine längst geklärte Aufgabenverteilung
       verweist, spiegelt und bricht sich die Beziehung, die in Philippe Garrels
       neuem Film im Mittelpunkt steht.
       
       Denn auch Pierre hat eine Begleitung zum Gespräch mitgebracht: Neben ihm
       sitzt Manon (Clotilde Courau), gleichzeitig seine Ehefrau und seine
       wichtigste Mitarbeiterin. Auch sie bleibt, darauf weist ein
       Voice-over-Kommentar früh hin, aus freien Stücken im Schatten ihres Mannes,
       obwohl sie vorläufig für beide das Geld verdient und den Alltag in der
       verkramten, wenig heimelig anmutenden gemeinsamen Wohnung organisiert.
       
       Der Film, den Garrel gedreht hat, heißt aber „Im Schatten der Frauen“
       (beziehungsweise im Original „L’ombre des femmes“, was besser übersetzt
       wäre mit „Der Schatten der Frauen“).
       
       Die entscheidende Perspektivverschiebung deutet sich ein paar Szenen später
       an: Während eines Rechercheausflugs hängt Pierre vor einem Filmarchiv ab
       und starrt dabei, wie er das oft tut in dem Film, starr und regungslos vor
       sich hin. Dann tritt eine weitere Frau, Elisabeth (Léna Paugam), ins Bild.
       Sie schiebt mit einer Sackkarre einige Filmrollen eine Straße herunter.
       Pierre gesellt sich zu ihr, übernimmt die Last.
       
       Während der folgenden Unterhaltung umspielt Elisabeths Mund ein grundloses
       und deshalb umso umwerfenderes Lächeln. Die beiden beginnen eine Affäre,
       auf Zehenspitzen, weil Elisabeths Wohnung hellhörig ist. Manon sitzt
       derweil mit ihren adrett zerzausten Haaren alleine zu Hause und hält das
       Essen warm – denkt Pierre.
       
       ## Etwas Überdimensioniertes, Wahnwitziges
       
       Philippe Garrel dreht seit gut fünf Jahrzehnten Filme – „Im Schatten der
       Frauen“ ist allerdings der erste, der in Deutschland einen regulären
       Kinostart erhält. Nicht in allen, aber in vielen Garrel-Filmen geht es, wie
       in dem neuen, um Frauen und Männer in einem stets, und auch diesmal, in
       wunderschönen, atmosphärischen Schwarz-weiß-Bildern eingefangenen Paris.
       Gemäß ihrer Budgets sind das kleine Filme, die aber alle etwas
       Überdimensioniertes, Wahnwitziges haben.
       
       Die Gefühle, von denen die Filme handeln, sind zu groß oder jedenfalls
       unpassend für die Menschen, die sich mit ihnen konfrontiert sehen. Das
       führt jedoch nicht zu melodramatischen Exzessen, sondern zu stillen,
       dennoch fast körperlich nachfühlbaren Implosionen: Die Sprache versagt, die
       Körper funktionieren kaum mehr, schalten auf Leerlauf.
       
       Einige frühe Arbeiten Garrels haben sich ganz einem solchen beinahe
       katatonischen Stillstand verschrieben und kommen fast komplett ohne Sprache
       und Dialoge aus. Über die Jahre sind die Filme allerdings kommunikativer
       und narrativer geworden. In dem neuen Film gibt es eine sonderbare
       Arbeitsteilung: Die Frauen lachen, leiden, fühlen intensiv und expressiv –
       Pierre dagegen blickt vor allem gerne schweigend ins Nichts, anders als
       Manon schwitzt er nicht einmal beim Sex, im Zustand der Erregung überkommt
       ihn höchstens ein kaum merkliches Zittern.
       
       ## Die „typisch männlichen“ Lebenslügen
       
       Es ist nicht einfach zu entscheiden, wie sich der Film zu seiner
       lethargischen und vor allem in der zweiten Filmhälfte zunehmend schwer
       erträglichen Hauptfigur verhält. Sicherlich konzipiert Garrel Pierre nicht
       als eine klassische Identifikationsfigur – schon der nüchterne,
       distanzierte Voice-over weist auf die „typisch männlichen“ Lebenslügen hin,
       die es ihm ermöglichen, gleichzeitig ohne schlechtes Gewissen fremdzugehen
       und von seiner Frau absolute Treue zu erwarten.
       
       Allerdings bleibt „Im Schatten der Frauen“ dennoch durch und durch Pierres
       Film. Das Leben, das Manon und Elisabeth jenseits von Pierre eventuell
       haben, interessiert den Film kaum, die entscheidenden Szenen des Films sind
       um seine sinnliche und emotionale Wahrnehmung herum konstruiert; letzten
       Endes umhegt Garrel in seiner Inszenierung seine Hauptfigur (wenn nicht:
       seinen Platzhalter) genauso fürsorglich, wie die beiden Frauen es innerhalb
       der Handlung tun.
       
       Ein Film über Liebe und Eifersucht aus bedingungslos männlicher Perspektive
       – das muss natürlich nichts Schlechtes sein, erst recht nicht, wenn
       großartige Schauspieler und ein Regisseur mit viel Gespür für kleine Gesten
       und Unausgesprochenes am Werk sind. Tatsächlich könnte man fast das gesamte
       Werk Garrels ähnlich beschreiben.
       
       Anders als die früheren, raueren Filme des Regisseurs wirkt „Im Schatten
       der Frauen“ allerdings gelegentlich unangenehm kalkuliert – vorderhand wird
       Pierres Machismo nach allen Regeln der Kunst dekonstruiert, aber am Ende
       geht es allen Beteiligten doch nur darum, den Trübling endlich einmal zum
       Lachen zu bringen.
       
       28 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lukas Foerster
       
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