URI: 
       # taz.de -- Spielfilm „Kopfplatzen“ über Pädophilie: Leben mit dem Dämon
       
       > Savaş Ceviz schildert in seinem Spielfilmdebüt „Kopfplatzen“ die Nöte
       > eines Pädophilen. Das Thema ist im Kino nach wie vor eine Ausnahme.
       
   IMG Bild: Markus (Max Riemelt) ist für Arthur (Oskar Netzel) definitiv kein Vaterersatz
       
       In Markus’ Leben gibt es keine Farben. Die Wohnung: in dunklen Tönen
       gehalten, viel Grau. Im Kleiderschrank sieht es nicht anders aus.
       Unauffällig, gedeckt. Versteckt? Savaş Ceviz lässt in seinem Film
       „Kopfplatzen“ wenig Raum für Ungewissheit. Was in Markus ([1][Max
       Riemelt]), einem 29-jährigen alleinstehenden Architekten, vorgeht,
       vermittelt sich bereits in den ersten Filmminuten. Sie zeigen einen
       gedrungenen, nicht unattraktiven Mann, der sich zwischen Büroalltag und
       Boxstudio bewegt, abendliche Mahlzeiten vorm Fernseher einnimmt sowie
       trockene Kuchenstücke im Kreis der Familie.
       
       So weit, so normal. Wären da nicht die Toilettenszenen. In großer
       Regelmäßigkeit nämlich flüchtet sich Markus in die Kabine, um den Druck
       loszuwerden, der sich rasch und heftig aufstaut. Ihn wegzureiben, bis zum
       nächsten Mal. Oder die geheime Fotosammlung im Flachablageschrank, die
       wächst und wächst. Unter anderem dadurch, dass Markus mit Kamera und Stativ
       das Geschehen auf dem Fernsehbildschirm einfängt. Umrisse von Kindern
       erscheinen dann bald darauf im hauseigenen Fotolabor.
       
       „Ist doch alles in Ordnung bei Ihnen. Sie sind doch kerngesund“, meint ein
       Arzt, den Markus in seiner Verzweiflung aufsucht. Denn die ist es, die
       Savaş Ceviz in seinem Spielfilmdebüt einzufangen sucht. „Kopfplatzen“
       behandelt eine Zeitspanne, die von einem Anstieg der Not geprägt ist. Es
       ist, als würde Markus in einem Boot mit Leck sitzen. Immer wieder läuft es
       voll, droht zu versinken. Und der, der in ihm hockt, schöpft ununterbrochen
       das Wasser nach draußen. Vergebens.
       
       Es gibt nicht viele Filme, die sich dezidiert mit dem [2][Thema Pädophilie]
       befassen. „The Woodsman“ (2004) von Nicole Kassell ist einer von ihnen. Er
       porträtiert Walter (Kevin Bacon), der nach zwölfjähriger Haftstrafe
       entlassen wird und eine Stelle in einem Sägewerk in Philadelphia antritt.
       Kassell ist an einem Neuanfang gelegen, die Katastrophe, wenngleich laufend
       aufflammend, liegt hinter Walter. Für Markus zeichnet sie sich ab. Erst
       recht, als Jessica (Isabell Gerschke) mit ihrem achtjährigen Sohn Arthur
       (Oskar Netzel) seine Nachbarin wird.
       
       ## Begegnung mit Missverständnis
       
       Dabei ist die Begegnung von Beginn an von einem Missverständnis bestimmt:
       Während Jessica hofft, in Markus den Mann gefunden zu haben, der sie liebt
       und ihrem Sohn ein geeigneter Vaterersatz sein könnte, entwickeln sich
       Markus’ Gefühle in Richtung Arthur. Ein heimliches Dreieck, das für einige
       unangenehme Szenen sorgt.
       
       Denn was Ceviz in „Kopfplatzen“ macht – und es ist zum Teil auch die
       Dynamik, aus der „The Woodsman“ seine Spannung generiert –, ist der Wechsel
       verschiedener Perspektiven. Beide Filme wenden viel Zeit dafür auf, das
       Innenleben ihrer Protagonisten transparent auszugestalten. Beide Männer,
       Walter und nun Markus, sollen berühren. Und sie tun es. Walter vor allem
       aufgrund der exzellenten Verkörperung Kevin Bacons; Markus, weil Ceviz ihn
       durch ein ultimativ tragisches Wechselbad der Gefühle schickt.
       
       Wenn Markus jenen Arzt aufsucht, der ihm Gesundheit attestiert und der,
       nachdem er den wahren Grund des Besuchs („Ich liebe Kinder. Ich finde sie
       erregend.“) erfahren hat, Markus aus der Praxis wirft, und wenn ein zweiter
       Arzt, jetzt einer, der sich eher aufs Psychische versteht, ihn darüber
       unterrichtet, dass es keine Heilung gibt und mahnt: „Markus, Sie dürfen
       nicht in Versuchung geraten“ –, dann dämmert es dem Mann allmählich, dass
       ihm nicht nur ein Leben am gesellschaftlichen Rand bevorsteht, sollte er
       mit seiner Neigung offen operieren, sondern auch eines, dass ohne echte
       Chance auf erfüllende Liebe samt Sexualität ist.
       
       ## Das Auge hinter der Kamera bedient sich gnadenlos
       
       „There is no glory in prevention“, hört man dieser Tage oft, obschon der
       Zusammenhang ein anderer ist. Und es ist wichtig, dass Ceviz wiederholt
       Momente einflicht, die zeigen, was ohne Prävention droht. Es ist das Auge
       hinter Markus’ Kamera, das sich gierig und gnadenlos an dem bedient, was es
       erblickt – etwa Arthurs Körper bei einem gemeinsamen Schwimmhallen-Ausflug.
       Oder die Hände, die beim anschließenden Einseifen des Jungen unter der
       Dusche ein Begehren erahnen lassen, das bei anderen Badegästen Misstrauen
       weckt.
       
       Es ist die dunkle Seite, die im Film metaphorisch anhand eines
       eingesperrten Wolfs verdeutlicht wird, den Markus recht häufig aufsucht.
       „Der Dämon in mir“ lautet dann auch der deutsche Verleihtitel von „The
       Woodsman“.„Kopfplatzen“ möchte zeigen, wie so ein Leben mit einem
       derartigen Dämon aussehen kann.
       
       Und er gelangt zu dem Schluss, dass es ein schreckliches ist. Eines, das
       zwischen Selbsthass, Scham und Einsamkeit changiert. Und dubiosen
       Internetbekanntschaften. Die Bilder, die zu Anfang nur farblos waren,
       werden im Fortlauf gleichzeitig auch immer leerer.
       
       „Kopfplatzen“ ist kein Meisterwerk in Sachen Subtilität. Aber dem Film
       gelingt es doch, Mitgefühl für ein Schicksal zu fördern, das, vertraut man
       der Statistik, von nicht wenigen ertragen wird.
       
       2 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /ARD-Komoedie-ueber-queere-Elternschaft/!5576628
   DIR [2] /Finanzierung-von-Paedophilie-Praevention/!5632809
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolin Weidner
       
       ## TAGS
       
   DIR Spielfilmdebüt
   DIR Video-on-demand
   DIR Pädophilie
   DIR Francois Ozon
   DIR Basel
   DIR Berliner Volksbühne
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kinofilm „Gelobt sei Gott“: Sträfliches Schweigen in Lyon
       
       Mit der katholischen Kirche knallhart ins Gericht gegangen: In François
       Ozons Film „Gelobt sei Gott“ ist nichts frei erfunden.
       
   DIR Retrospektive des Malers Balthus: Die Marionetten in Aufruhr versetzen
       
       Die Fondation Beyeler zeigt eine Retrospektive des Malers Balthus. Dabei
       ist auch das Gemälde „Thérèse rêvant“, das eine Debatte über Pädophilie
       auslöste.
       
   DIR Tanztheater mit Kindern: Wie Fleisch am Haken
       
       Mit „enfant“ bringt Boris Charmatz ein beunruhigendes Stück an die
       Volksbühne Berlin. Es dreht sich zentral um die Passivität der Muskeln.