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       # taz.de -- Spitzenpolitikerinnen über Sexismus: Unter Männern
       
       > Der Frauenanteil im Bundestag liegt nur noch bei 32,4 Prozent. Wir haben
       > Politikerinnen gefragt, wann ihr Geschlecht im Alltag eine Rolle spielt.
       
   IMG Bild: Von links nach rechts: Dorothee Bär, Heidi Reichinnek, Anke Rehlinger
       
       ## „Die richtig schlimmen Kommentare zeige ich an“
       
       Es gibt immer wieder Momente, da merke ich, dass ich als Frau anders
       behandelt werde als meine männlichen Kollegen. Wie oft ich online, in den
       Medien oder im Plenum des Bundestags für mein Aussehen oder mein Auftreten
       angegangen werde – so was habe ich bei einem Mann noch nicht erlebt. Mir
       ist zumindest kein Politiker bekannt, der während einer Rede im Bundestag
       gefragt wurde, ob er sich mal was Ordentliches anziehen kann.
       
       Aber nicht nur im Plenum selbst, vor allem auch online meinen viele
       Menschen mir mitteilen zu müssen, dass sie meine Kleidung nicht mögen oder
       ihnen mein Gesicht nicht passt. „Die sieht total verbraucht aus.“ „Die ist
       voll hässlich.“ „Sieht extrem scheiße aus.“ „Ganz schöner Zinken.“ Das sind
       nur ein paar Beispiele, was ich da so lesen muss. Dass sich selbst ernannte
       Konservative, Liberale und Rechte über meinen Pony („Problem-Pony“)
       aufregen, bin ich schon gewohnt. Ich finde das ziemlich niveaulos und
       einfach nur lächerlich. Besonders absurd wird es, wenn eine große Zeitung
       wie die Welt kein besseres Thema hat als einen gesamten Artikel über meine
       Kleidung und mein Aussehen zu schreiben, der natürlich ein kompletter
       Verriss ist. Da frage ich mich schon, ob es nichts Inhaltliches gibt,
       worüber wir diskutieren können.
       
       Man kann auch nach jeder Rede von mir die Uhr danach stellen, dass Leute in
       meinem Büro anrufen oder Mails schreiben und mir den „gut gemeinten“
       Ratschlag geben, doch bitte anders zu sprechen, weil man mich dann besser
       verstehen würde. Wir können [1][gern über die Inhalte meiner Reden
       diskutieren,] aber mir zu sagen, ich solle mich zügeln und nicht so
       emotional sein, zeigt doch genau, welches Geschlechterbild dahintersteckt:
       Die Frau soll sachlich, ruhig und brav ihre Argumente vortragen, sonst ist
       sie eine hysterische Furie und kann nicht ernstgenommen werden. Und dabei
       soll ich dann auch noch makellos aussehen.
       
       Ich bin ja [2][sehr aktiv auf Tiktok], und sobald meine Videos die übliche
       Bubble verlassen, kommen auch die sexistischen und widerlichen Kommentare
       über mein Auftreten. „Die muss mal wieder richtig durchgefickt werden,
       damit sie sich nicht so aufregt.“ Ich bin da mittlerweile echt abgestumpft
       und nehme das nicht so ernst. Aber die richtig schlimmen Kommentare melde
       ich oder ich zeige sie an, denn ich muss mir nicht alles bieten lassen.
       Vor allem auch, weil die Kommentare unter meinen Videos ja auch von so
       vielen jungen Frauen gelesen werden und ich nicht möchte, dass sie dadurch
       ebenfalls runtergezogen werden.
       
       Ich werde oft gefragt, wie es als junge Frau in der Politik ist und auch
       wie man sich selbst politisch engagieren kann. Ich muss dann leider immer
       antworten, dass man in dieser Hinsicht echt ein dickes Fell braucht. Denn
       auch wenn man die ganzen Kommentare und Beleidigungen ignoriert, dann ist
       es trotzdem einfach eine große Ungerechtigkeit, dass wir Frauen da anders
       behandelt werden. Ich versuche einfach nur, anderen ein gutes Vorbild zu
       sein, mich nicht auf diese Diskussionen einzulassen und vielleicht auch so
       ein bisschen den Diskurs zu einem freundlicheren Umgang miteinander zu
       verschieben.
       
       Heidi Reichinnek ist Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag 
       
       ## „Politik ist auch heute noch männerdominiert“
       
       Das ist eine LandRATswahl, da müssen wir doch mit einem Mann antreten.“
       Kein Scherz, das Argument habe ich vor vielen Jahren wirklich gehört. Es
       war auch kein Plädoyer fürs Gendern, sondern ernst, wenn auch überhaupt
       nicht böse gemeint.
       
       Machen wir uns nichts vor: Politik ist in der Vergangenheit und manches Mal
       auch heute noch männerdominiert. Übrigens: Die weibliche Kandidatin hat die
       Wahl damals gewonnen und wurde LandRÄTIN. Als Frau in der Politik war ich
       übrigens recht oft von einer weit überwiegenden Mehrzahl von Männern
       umgeben. In vielen Bereichen, aber noch nicht überall, hat sich das
       geändert. Als ich Verkehrsministerin wurde, war ich zum Beispiel die
       einzige Frau unter allen Länderkollegen. Das hat sich mittlerweile
       verändert. Aber das Bundesverkehrsministerium wurde bis heute noch nie von
       einer Frau geführt. Wie übrigens auch das Familienministerium noch nie von
       einem Mann geführt wurde.
       
       Aber ich war als Wirtschaftsministerin auch häufig bei großen
       Wirtschaftstreffen, vor allem im Industriebereich. Da kam es immer wieder
       vor, dass ich – abgesehen von Servicekräften – die einzige Frau im Raum
       war. Mir war und ist das Ansporn, Frauennetzwerke zu schaffen, sich
       auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Ich bin deshalb zum Beispiel sehr
       froh, dass meine Partei immerhin zwei [3][Ministerpräsidentinnen] stellt
       (kurzzeitig waren es sogar schon mal vier), während die Union nur Männer
       hat.
       
       Anke Rehlinger (SPD) ist Ministerpräsidentin des Saarlands und
       Bundesratspräsidentin 
       
       ## „Frauenfeindliche Zwischenrufe sind keine Seltenheit“
       
       Es ist doch bezeichnend, dass die Frage danach, ob das Geschlecht in der
       Politik eine Rolle spielt, immer noch gestellt wird. Damit ist die Frage
       eigentlich schon beantwortet: Ja, das Geschlecht spielt eine Rolle. Leider
       sind wir noch nicht so weit, dass sich diese Frage gar nicht erst stellt.
       
       In meinem Alltag begegnen mir häufig Beispiele, die das bestätigen. In der
       vergangenen Legislatur musste ich im Plenarsaal des Deutschen Bundestags
       direkt neben den Abgeordneten der AfD sitzen und habe daher sehr genau
       mitbekommen, wie sich diese gegenüber Frauen verhalten haben.
       Interessanterweise kamen sexistische Aussagen aber nicht nur von den
       männlichen Abgeordneten, sondern auch und teilweise gerade von den
       weiblichen. Aussagen, die mich oft sehr erschüttert haben. Aussagen, mit
       denen sie versuchen, uns beim Thema Gleichstellung zwischen Mann und Frau,
       um Jahrzehnte zurückzuwerfen. Es gibt Dutzende Beispiele dafür, dass Frauen
       von der AfD nur aufgrund ihres Aussehens kritisiert und angegangen wurden.
       Der Ton im Deutschen Bundestag hat sich massiv verschärft. Frauenfeindliche
       Zwischenrufe sind keine Seltenheit. Das ist nicht akzeptabel. Dem müssen
       wir entschieden entgegentreten und einen Riegel vorschieben.
       
       Der Internationale Frauentag ist eine gute Möglichkeit, um auf diese
       Missstände aufmerksam zu machen. Eigentlich sollte jeder Tag dazu genutzt
       werden. Und auch wenn sich bereits vieles zum Positiven verändert hat, sind
       wir noch lange nicht dort angekommen, wo wir sein sollten. Die
       Gleichstellung von Mann und Frau [4][bleibt weiterhin eine der großen
       Herausforderungen.] Ich bin dennoch zuversichtlich, dass der Tag kommen
       wird, an dem die Frage nach dem Geschlecht keine Rolle mehr spielen wird.
       
       Dorothee Bär ist stellvertretende Vorsitzende der
       Unions-Bundestagsfraktion
       
       8 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Linke-Politikerin-Heidi-Reichinnek/!6063355
   DIR [2] https://www.tiktok.com/@heidireichinnek?lang=de-DE
   DIR [3] /Rehlinger-ist-Saar-Ministerpraesidentin/!5847031
   DIR [4] /CSU-Politikerin-fuer-die-Frauenquote/!5099406
       
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