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       # taz.de -- Sponsor der Kritischen Theorie: Der steinreiche Argentinier
       
       > Die Autorin Jeanette Erazo Heufelder hat den jungen Felix Weil
       > porträtiert. Der investierte sein Geld ins Frankfurter Institut für
       > Sozialforschung.
       
   IMG Bild: Auch Adorno profitierte von Felix Weils Investition ins Frankfurter Institut für Sozialforschung
       
       Geld allein genügt nicht. Wer in Frankfurt es zu etwas gebracht hatte,
       wurde zum Gründer oder Stifter. Auch das Institut für Sozialforschung, aus
       dem die weltberühmte Kritische Theorie hervorging, verdankte sich einer
       Stiftung. Um diese Geschichte ranken sich viele Gerüchte. Der in der
       Novemberrevolution 1918 politisierte Felix Weil, Sohn des reichen
       Getreidehändlers und großzügigen Stifters Hermann Weil, hat gegen Ende
       seines Lebens mit seinen Memoiren vieles zurechtrücken wollen. Doch er
       verstarb 1975, ohne sie vollenden zu können.
       
       [1][Jeanette Erazo Heufelder] hat sich Weils Lebensgeschichte vorgenommen,
       mit anderen Zeugnissen und Dokumenten verglichen und zu einem lesenswerten
       Porträt dieses ungewöhnlichen Mannes zusammengefügt. 1926 hatte, wie auf
       dem Titel des Buchs zu sehen, George Grosz seinen feinen Freund
       porträtiert. Ein schönes Bild, das Weil am Ende seines Lebens verkaufen
       musste, weil er nicht mehr genug Geld für seinen Lebensunterhalt hatte.
       
       Hermann Weil, ein jüdischer Abenteuerkapitalist im Zeitalter des
       Imperialismus, wollte als Stifter im Gedächtnis bleiben. Sein Sohn Felix
       hatte kein Interesse an der aktiven Handelstätigkeit und steckte sein
       gesamtes Erbe in die Finanzierung revolutionärer Projekte, vom berühmten
       Malik Verlag bis zu Piscators aufwendigen Berliner Bühnenshows.
       
       Ohne sein Geld wäre es auch nicht zum Import von Eisensteins Film
       „Panzerkreuzer Potjemkin“ gekommen. Doch als folgenreichste Investition
       muss das Frankfurter Institut für Sozialforschung gelten. Dessen
       Aktivitäten in den 20er Jahren lagen im Halbdunkeln. Eine
       historisch-kritische Ausgabe des Marx’schen Werkes sollte gemeinsam mit dem
       Moskauer Marx-Engels-Institut hergestellt werden. Weil ließ aufwendigst
       Kopien des Marx’schen Nachlasses, der sich im Besitz der SPD befand,
       anfertigen und nach Moskau schaffen. Weil ermahnte die Moskauer, eine
       wirklich kritische Ausgabe herzustellen.
       
       ## Ein Kenner, kein nützlicher Idiot
       
       Seine Korrespondenz zeigt ihn als Kenner, nicht als nützlichen Idioten
       Moskauer Propaganda. Im Zuge dieser Arbeit wurde das Manuskript „Die
       deutsche Ideologie“ entdeckt, das auch für die Kritische Theorie ein
       entscheidender Impuls war. Mit dem kritischen Ideologiebegriff meldete sich
       Max Horkheimer zu Wort, der 1930 Direktor des Instituts geworden war.
       
       Aber das Vermögen musste auch gesichert werden. Hier bietet Neufelder viele
       neue Einsichten. Nach dem frühen Tod des Vaters 1927 schuf Felix Weil eine
       geschickte Aufteilung des Erbes. Mit der Weltwirtschaftskrise sah er das
       Ende des traditionellen Getreidehandels kommen und gründete eine neue
       Gesellschaft namens Safico, die er mit den privaten Vermögen und den
       Stiftungsgeldern in eine anonymisierte Beteiligungsgesellschaft namens
       Robema einbrachte.
       
       Weit vorausschauend auf den Eroberungsfeldzug der Nazis, hatte er eine Form
       gefunden, in der die Nazis selbst nach der Besetzung der Niederlande nicht
       an die Gelder herankamen. Der Umzug des Instituts in die USA konnte ebenso
       gesichert werden wie die Rente des in Deutschland zurückgebliebenen
       jüdischen Gründungsrektors Carl Grünberg.
       
       Das Institut finanzierte über ein Jahrzehnt lang die Zeitschrift für
       Sozialforschung, die für viele Emigranten zur letzten
       Publikationsmöglichkeit wurde. In selbstloser Weise ermöglichte Weil
       Horkheimer noch 1945 durch Schenkung von 100.000 Dollar die Fortführung
       einer unabhängigen Theorie.
       
       ## Mehr sein als nur Geldgeber
       
       Horkheimer und vor allem dessen engstem Freund Friedrich Pollock hatte Weil
       einiges zu verdanken. Bei der Ablösung von einem großbürgerlichen
       Elternhaus wurden die ebenfalls 1918 politisierten Söhne von jüdischen
       Fabrikbesitzern zu natürlichen Vertrauten. Schwere Konflikte Weils mit
       seiner Schwester Anita bedrohten Mitte der dreißiger Jahre die Stiftung.
       
       Auch drohte seine Verwicklung in lateinamerikanische Kominternaktivitäten
       bekannt zu werden. Die kritischen Theoretiker mit ihrer Distanz zum
       Parteikommunismus schienen politisch gute Ratgeber zu sein. Weil suchte
       persönlich ihre Nähe im kalifornischen Exil. Horkheimer wünschte sich
       offensichtlich die Zuarbeit des Ökonomen zu dem Schlüsselwerk „Dialektik
       der Aufklärung“. Mit der Rückkehr Horkheimers und Pollocks nach Europa
       verlor man sich aus den Augen.
       
       Weil wollte immer mehr als nur der Geldgeber sein und, wie dieses Buch
       eindrucksvoll belegt, war er das auch. Ohne ihn wäre die Kritische Theorie
       nicht wirklich geworden.
       
       Jeanette Erazo Heufelder: „Der argentinische Krösus“. Berenberg Verlag,
       Berlin 2017, 207 Seiten, 24 Euro
       
       26 Apr 2017
       
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