URI: 
       # taz.de -- Stadtentwicklung in Potsdam: Letzte Bastion Plattenbau
       
       > Potsdam baut seine Mitte um. DDR-Bauten wie der Staudenhof stören da nur.
       > Doch nun gibt es prominente Stimmen, die sich gegen dessen Abriss
       > stellen.
       
   IMG Bild: Sanieren oder Abreisen? Noch steht der Staudenhof im Zentrum von Potsdam
       
       Potsdam taz | Potsdam hat ja viel Geschichte zu bieten:
       Hohenzollernfürsten, -könige und -kaiser, über 100 Jahre alte Filmstudios,
       den Handschlag von Hitler und Hindenburg oder die Potsdamer Konferenz 1945,
       um nur ein paar Beispiele zu nennen. Der Streit über den Umbau der
       historischen Stadtmitte nach dem Vorbild aus der Vorkriegszeit währt nun
       auch schon so lange, dass er selbst zur Geschichte gehört. Und der Streit
       ist noch nicht vorbei.
       
       Nachdem Befürworter und Gegner in früheren Jahren um eine Kopie des
       [1][alten Stadtschlosses] rangen und später um den Abriss eines
       [2][jüngeren Fachhochschulgebäudes], sorgt nun ein profanerer Bau für
       erhöhten Puls: ein jahrzehntealter Plattenbaublock mit 182 überwiegend
       kleinen Wohnungen, genannt Staudenhof nach der Adresse. Es ist der letzte
       Rest DDR-Architektur, der rings um den Alten Markt, den historischen
       Stadtkern Potsdams, noch stehen geblieben ist. Doch die Zeit des
       Staudenhofs läuft wohl ab.
       
       Eigentlich soll das Haus mit der verwaschen beigen Fassade 2023
       plattgemacht werden. So plant es die Eigentümerin, die kommunale
       Immobilienholding Pro Potsdam. Und so haben es die Stadtverordneten im Jahr
       2021 beschlossen. Auch die Grünen hatten zugestimmt.
       
       Die kommunalen Gremien debattieren derzeit eine Vorlage mit dem etwas
       sperrigen Titel „Konkretisierung der Sanierungsziele Block V“. Darin geht
       es um die städtebaulichen Vorgaben für den Neubau. Das bietet Gelegenheit
       zu neuen Diskussionen.
       
       ## Unzeitgemäße Stadtbilder
       
       Die Gegner eines Abrisses führen als Argument nun den Klimaschutz an – und
       da ist durchaus etwas dran. Neu zu bauen, verbraucht zunächst enorme
       Energien, auch wenn das Gebäude dann vielleicht höchsten
       Energiesparstandards entspricht. [3][Graue Energie nennt sich das], was als
       energetischer Aufwand im Beton steckt.
       
       Ein neuer Aufruf zur Sanierung des umstrittenen Wohnblocks hat schon mehr
       als 500 Unterstützer. Darunter ist auch der Gründer des Potsdam-Instituts
       für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber.
       
       Auch andere prominente Namen sind vertreten: der Chef der
       Schlösserstiftung, Christoph Vogtherr, die frühere
       Stadtentwicklungssenatorin von Berlin, Katrin Lompscher (Linke), der
       Präsident der Universität der Künste in Berlin, Norbert Palz, sowie die
       Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe, Barbara Metz.
       
       Gefordert wird ein „ökologischer und sozial verträglicher Um- und Weiterbau
       des Staudenhofs“. Die Nachahmung „unzeitgemäßer Stadtbilder“ könne man sich
       angesichts der Klimakrise „nicht mehr leisten“. Potsdam könne stattdessen
       beispielhaft zeigen, „wie Gebäude und Städte im Zeichen des Klimawandels
       weitergedacht werden können“.
       
       ## Mehr Geld für den Abriss
       
       Die kommunale Bauholding Pro Potsdam will nach dem Abriss des Blocks ein
       Wohn- und Geschäftskarree errichten, auch mithilfe von Fördermitteln des
       Landes. Der Sozialwohnungsanteil soll 75 Prozent betragen. Der Neubau soll
       2026 beginnen – vorher will man die freie Fläche auch als Zufahrt für die
       anderen Baustellen am Alten Markt nutzen. Rund 10.000 Quadratmeter Wohnraum
       plus 2.400 Quadratmeter für Gewerbe sollen in dem neuen Block entstehen. Im
       Staudenhof sind es nur knapp 6.000.
       
       Laut einer Schätzung aus dem Jahr 2021 soll das 40 Millionen Euro kosten.
       Ob das noch stimmt, kann angesichts erheblich gestiegener Baupreise
       bezweifelt werden. Allerdings gilt das auch für die 18 Millionen Euro, die
       für eine Sanierung veranschlagt waren.
       
       Der – für die städtische Wohnungsgesellschaft relevante – Unterschied ist,
       dass sie für den Neubau mit Wohnungsbauförderung rechnen kann, aber für die
       Sanierung nicht. Derzeit gibt es die Mittel nur für größere Wohnungen. Ohne
       Förderung müssten vergleichsweise hohe Mieten verlangt werden, um die
       Kosten zu decken.
       
       Der Streit über den Abriss des Staudenhofs ist nicht neu. Schon 2012
       beschloss die damalige Stadtverordnetenversammlung ein zehnjähriges
       Abrissmoratorium. Man wollte sich zunächst um den Rest der Mitte kümmern.
       Seit Jahren wurden die Wohnungen nur noch befristet vermietet, der Auszug
       der letzten Altmieter:innen läuft bereits. Teilweise werden die
       Wohnungen auch als Unterkünfte für Geflüchtete genutzt. Bis Ende Juni 2023
       will Pro Potsdam deshalb auch die Sozialangebote des Quartierstreffs
       Staudenhof fortführen.
       
       ## Die Rolle der DDR
       
       Wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs war die Mitte der Stadt bei
       einem alliierten Bombenangriff weitgehend zerstört worden. Der Bahnhof und
       die Flugzeugwerke auf der anderen Seite der Havel waren nah. Die DDR
       brauchte Jahrzehnte, um wenigstens das Alte Rathaus, die Nikolaikirche mit
       ihrer riesigen Kuppel und den Marstall, in dem heute das Filmmuseum sitzt,
       wiederaufzubauen. Was von Stadtschloss und Bürgerhäusern übrig war, wurde
       abgeräumt, Straßen umverlegt und umbenannt.
       
       In den 1970ern entstanden die Hochschule für Lehrerbildung und eben der
       Staudenhof. Dominiert wurde das Areal von einer überdimensionierten
       Straßenkreuzung, die für Jubelaufmärsche genutzt wurde. Der Rohbau des
       Hans-Otto-Theaters, für das noch vor dem Mauerfall 1989 der Grundstein
       gelegt wurde, überdauerte als Skelett den untergegangenen Staat und
       hinterließ nach Abriss die Frage, was dort am Alten Markt nun passieren
       soll.
       
       Die Richtung hatten die Stadtverordneten schon 1990 vorgegeben. Sie
       beschlossen die Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss. Doch
       so richtig Bewegung kam erst in die Sache, als das Land entschied, einen
       Neubau für das Landesparlament dort zu errichten, wo einst das Stadtschloss
       stand.
       
       Mit Hasso Plattner, SAP-Gründer, Milliardär und Potsdam-Fan, fand sich dann
       auch ein solventer Sponsor, der dem modernen Gebäude eine Fassade nach dem
       originalen Knobelsdorff-Vorbild verpasste, nebst Kupferdach.
       
       Der von der Stadt für den Mitte-Umbau eingesetzte Sanierungsträger
       parzellierte das Areal um den Landtag im Uhrzeigersinn und begann die
       Grundstücke zu vergeben. Neben dem Museum Barberini entstanden entlang der
       Havel im Zentrum teure Eigentumswohnungen mit historisierenden Fassaden.
       Inzwischen wohnt dort auch Olaf Scholz.
       
       Richtig intensiv wurde der Konflikt dann ab 2015, als es um die Grundstücke
       nördlich des Alten Markts ging. Denn für die Neubauten dort musste das
       Gebäude der Fachhochschule weichen. Das Land hatte als Träger entschieden,
       die Fachbereiche an einem Standort außerhalb der Innenstadt zu
       konzentrieren. So kam die Stadt an das Gebäude.
       
       ## Innerparteiliche Debatten
       
       Gegen den Abriss richtete sich ein Bürgerbegehren, für das mehr als 15.000
       Unterschriften gesammelt wurden. Das Begehren war zwar wegen Formfehlern
       nicht gültig, führte aber immerhin dazu, dass die Stadt in den
       Vergabekriterien unter anderem günstige Mieten festschrieb.
       
       Nun bauen dort zwei Potsdamer Wohnungsgenossenschaften einen großen Teil
       der Häuser. Im Herbst 2022 wurden die ersten Richtfeste gefeiert.
       
       Der Ausschuss für Stadtentwicklung und Bauen hat jedenfalls schon für die
       Pläne aus dem Rathaus votiert. 2023 soll dann die
       Stadtverordnetenversammlung abstimmen. Spannend wird die Sache auch für die
       Grünen. Die Fraktion hält am Abriss des Staudenhofs fest. „Klimaschutz ist
       komplex, Stadtplanung auch. Dass man diskutiert, ist völlig normal“,
       zitieren die Potsdamer Neuesten Nachrichten Grünen-Fraktionsvorsitzende
       Saskia Hüneke.
       
       Die Grüne Jugend ist hingegen gegen den Abriss. Im Zuge des
       innerparteilichen Konflikts ist der Kreisparteivorsitzende Ken Gericke
       zurückgetreten. Nun soll es eine außerordentliche Mitgliederversammlung
       geben.
       
       15 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schlossbau-in-Potsdam/!5050542
   DIR [2] /Wohnungspolitik-in-Potsdam/!5500482
   DIR [3] /Die-Oekologie-des-Bauens/!5758484
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Zschieck
       
       ## TAGS
       
   DIR Plattenbau
   DIR Stadtentwicklung
   DIR Mieten
   DIR DDR
   DIR Potsdam
   DIR Potsdam
   DIR DDR
   DIR Städte
   DIR Potsdam
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Biosphäre Potsdam: Leben im Dschungel
       
       Die Biosphäre Potsdam will ein „Dschungelspaß für die ganze Familie“ sein
       und ist auch Heimat für ukrainische Geflüchtete. Ein Ortsbesuch.
       
   DIR Buch über Architektur der DDR: Exportschlager Weltflucht
       
       Die DDR exportierte global Architektur. Doch preußischer und
       internationaler Kommunismus waren nur schwer vereinbar, wie ein neues Buch
       beschreibt.
       
   DIR Nachbarstädte Potsdam und Berlin: Die schönere Schwester
       
       Zwischen Potsdam und Berlin lag früher die Grenze zwischen zwei
       Deutschlands, heute nur noch eine kulturelle. Zwei taz-Redakteur:innen
       schauen hinüber.
       
   DIR Neues Museum in Potsdam: Widersprüchliche Stadt
       
       In Potsdam hat das Minsk, ein Museum für Kunst der DDR, eröffnet. Endlich
       eine Wertschätzung der Ostmoderne oder der gnädige Wink eines Mäzens?
       
   DIR Mäzen beschenkt Potsdam erneut: Plattenbau wird Plattner-Bau
       
       So schnell kanns gehen: Der Software-Milliardär Plattner schenkt Potsdam
       eine Kunsthalle und finanziert auch den Betrieb. Dafür wird ein Hotel
       plattgemacht.