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       # taz.de -- Stalking: "Das ist ein Massenphänomen"
       
       > Die erste Beratungsstelle für Stalker hilft indirekt auch den Opfern,
       > sagt Wolf Ortiz-Müller, Leiter von "Stop Stalking". "Der wirksamste
       > Opferschutz ist, wenn man die Täter dazu bringt, aufzuhören".
       
   IMG Bild: Der Leiter von "Stop Stalking", Wolf Ortiz-Müller
       
       taz: Herr Ortiz-Müller, was ist ein Stalker überhaupt? 
       
       Wolf Ortiz-Müller: Ein Stalker ist ein Mensch, der eine andere Person
       verfolgt und belästigt, obwohl sie keinen Kontakt mit ihm möchte. Das kann
       ein Fan sein, der einem Prominenten auflauert, aber auch genauso gut eine
       Studentin, die ihren Professor stalkt, weil er in ihren Augen eine
       Uniarbeit ungerecht bewertet hat. Die meisten Stalker sind Menschen, die
       eine Trennung nicht verkraften können, hauptsächlich Männer. Die sitzen zu
       Hause und sind vielleicht arbeitslos oder krankgeschrieben, brechen ihre
       sozialen Kontakte ab, und den ganzen Tag kreist ihr Denken und Fühlen um
       diese eine Person.
       
       Das Anti-Stalking-Gesetz gibt es seit dem 31. März 2007. Warum öffnet erst
       jetzt eine Beratungsstelle für Stalker? 
       
       Auf die Idee kamen wir bereits vor zwei Jahren, da war von dem Gesetz zwar
       schon die Rede, aber es war auch klar, dass es sich noch hinziehen würde.
       Und ohne den Druck durch die Strafverfolgung würden die wenigsten Stalker
       einfach so zu einer Beratung vorbeikommen.
       
       Gibt es Statistiken darüber, wie viele Menschen stalken? 
       
       Allein in Berlin gab es im vergangenen Jahr 1.048 Ermittlungsverfahren
       gegen Stalker, das ist schon viel. Aber das war auch zu erwarten, denn wenn
       der Gesetzgeber ein soziales Verhalten als Straftat definiert, dann muss es
       schon ein Massenphänomen sein. Der macht das ja nicht einfach so. Sondern
       dass er das macht, ist ein starker Indikator dafür, dass das Gesetz
       dringend nötig war.
       
       Was war denn der Antrieb für Ihre Beratungsstelle? 
       
       Alle reden immer nur über die Opfer, aber in einem umfassenderen Sinn
       gehört zum Opferschutz auch die Täterarbeit. Der wirksamste Opferschutz
       ist, wenn man die Täter dazu bringt, aufzuhören.
       
       Und wie machen Sie das? 
       
       Am Anfang sprechen wir mit dem Stalkenden darüber, ob er beispielsweise
       positive Ziele vor Augen hat, auf die er hinarbeiten kann. Es geht auch
       darum, dass der Täter Empathie für sein Opfer entwickelt und sich dem
       Gefühl aussetzt, das er bei der Person auslöst. Außerdem gibt es eine
       schriftliche Vereinbarung, in der festgelegt wird, dass der Stalker
       eventuelle Rückfälle offenlegen muss, damit man dann Rückfallprophylaxe
       betreiben kann. Wir müssen uns auch die Frage stellen: Was ist das
       eigentlich für ein Mensch? Darum sprechen wir auch von Menschen, die
       stalken, und nicht von Stalkern oder Stalkerinnen. Das Stalken ist eine
       Verhaltensweise, aber zu diesem Menschen gehört noch mehr.
       
       Dann ist Stalking also keine psychische Krankheit? 
       
       Nein, Stalking wird häufig durch ein Ereignis ausgelöst, durch eine
       Kränkung, eine Trennung, eine Zurückweisung. Um dieses Ohnmachtsgefühl
       umzudrehen, versuchen die Täter dann, Macht über ihr Opfer zu erlangen, und
       diese Macht genießen sie. Wenn allerdings ein Stalker unter einer Psychose
       oder einem Liebeswahn leidet, braucht er psychiatrische Behandlung, oft
       auch Medikamente. In so einem Fall leiten wir den Stalker an einen
       Psychiater weiter.
       
       Hat ein Stalker, der zu Ihnen kommt, denn Garantie für Anonymität? 
       
       Beim ersten Gespräch ja. Dann aber muss er sich offenbaren und Name und
       Adresse herausrücken. Wer Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen
       will, der muss auch etwas von sich preisgeben. Der Datenschutz ist
       natürlich trotzdem gewährleistet.
       
       Ist das Fehlen von Anonymität nicht eine Hemmschwelle für Stalker, die
       Hilfe suchen? 
       
       Da müssen sie drüber. Wer nicht bereit ist, nach ein oder zwei Gesprächen
       seinen Namen zu offenbaren, ist auch noch nicht an dem Punkt, dass er
       wirklich aufhören will. Und dann erfüllt er leider nicht die
       Voraussetzungen für die Beratung.
       
       Wie erfahren Stalker von Ihrer Einrichtung? 
       
       Die Polizei vermittelt sowohl Täter als auch Gefährder - also
       strafrechtlich noch nicht verurteilte Täter - an uns. Ein Stalker kann sich
       aber auch von sich aus bei uns melden, er kann vorbeikommen, anrufen oder
       eine Mail schreiben. Und Stalker sind ja bekanntermaßen sehr findige
       Menschen, bei denen man sich immer wundert, was sie so alles herausbekommen
       können. Da bin ich sehr optimistisch, dass wir relativ rasch einen hohen
       Bekanntheitsgrad erreichen.
       
       23 Apr 2008
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Franziska Seyboldt
       
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