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       # taz.de -- Statistik zu rechter Gewalt in Thüringen: Wo sich Täter:innen wohlfühlen
       
       > Die Zahl rechter Gewalttaten bleibt in Thüringen 2023
       > überdurchschnittlich hoch, obwohl sie leicht sinkt. Auffällig ist der
       > Anstieg im Kreis Sonneberg.
       
   IMG Bild: Tausende Teilnehmer beteiligen sich bei einer Großdemonstration gegen Rechtsextremismus am 20.01.2024 in Erfurt
       
       Magdeburg taz | Im aktuellen Bericht der Beratungsstelle Ezra zu rechter
       Gewalt sticht vor allem ein Detail heraus. Im Landkreis Sonneberg stieg die
       Zahl von 4 Angriffen im Vorjahr auf nun 20. Das sticht ins Auge, weil dort
       seit letztem Jahr ein AfD-Mann der Landrat ist. Der kleinste Landkreis
       Thüringens ist demnach 2023 ein Hotspot rechts motivierter Gewalt im
       Freistaat gewesen. Es gab dort zwar weniger Vorfälle als in Erfurt, aber
       mehr als in Jena, Weimar oder Eisenach. Es geht um Vermummte, die mit
       Steinen werfen und den Hitlergruß zeigen, Körperverletzungen oder die
       Bedrohung von Kindern.
       
       Jährlich veröffentlicht Ezra, wie viele Fälle von rechter, rassistischer
       und antisemitischer Gewalt sie bei der Beratung von Betroffenen registriert
       und bei denen sie ein solches Tatmotiv belegen kann. Am Mittwoch
       präsentierte Ezra die Statistik für das Jahr 2023.
       
       Franz Zobel, Projektleiter von Ezra, erklärte der taz vorab, dass die
       meisten der Vorfälle in Sonneberg sich während der Landratswahl zutrugen,
       die der [1][AfD-Politiker Robert Sesselmann im zweiten Wahlgang] gewann.
       „Hier wird deutlich, was die Erfolge der AfD nach sich ziehen“, folgerte
       Zobel. Wenn Gewalttäter:innen Unterstützung erführen, fühlten sie sich
       sicherer, die Hemmung sinke, die Zahl der Angriffe steige.
       
       Der gebürtige Sonneberger Gastronom Marcel Rocho sagt, die rechte Tendenz
       habe es schon vor Sesselmann gegeben. Ihn erschrecke, wie gewöhnlich solche
       Taten in Sonneberg seien. Die schwarz-weiß-rote Reichsflagge gehöre quasi
       zum Stadtbild – ebenso wie ein „Heil“ beim Zuprosten. Er selbst engagiert
       sich im Landkreis gegen rechts, lud nach dem Wahlsieg von Sesselmann die
       Band Feine Sahne Fischfilet in seine Kellerbar und war am Mittwoch bei der
       Präsentation der Ezra-Statistik dabei.
       
       ## „Unterstützergemeinschaft rechter Gewalt“
       
       Insgesamt registrierte Ezra 2023 weniger rechte Gewalttaten als im
       Rekordjahr 2022. Waren es da insgesamt 186 Fälle, verzeichnete die
       Opferberatung für das Jahr 2023 insgesamt 147 Angriffe. Dabei waren
       mindestens 291 Menschen direkt oder indirekt betroffen. In ebenfalls 85
       Fällen richtete sich die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.
       
       Ein Grund für die niedrigere Zahl könnte sein, dass es 2023 weniger
       Corona-Demonstrationen gab als im Vorjahr. 42 Angriffe ereigneten sich 2022
       im Umfeld von Demonstrationen. 2023 waren es bei Demos hingegen nur 13
       Gewalttaten. Für das aktuelle Jahr befürchtet Zobel allerdings, dass die
       Zahl wieder höher ausfallen könnte, wenn vor der Landtagswahl am 1.
       September erneut viel demonstriert wird.
       
       Laut Zobel schafft die AfD dabei nicht nur das Umfeld für rechte
       Übergriffe, sondern heizt sie regelrecht an. Er verweist dabei auf eine
       Studie der [2][Universität Princeton zu Hasskriminalität]. Diese zeigt
       unter anderem: Fast die Hälfte der AfD-Wähler:innen befürwortet
       Fremdenfeindlichkeit gegen Geflüchtete, auch wenn diese in Gewalt
       umschlägt.
       
       Seit dem Jahr 2015 sei die Zahl rassistischer Gewalt hoch – „mit
       erschreckender Kontinuität“, sagte Zobel. Rassismus war das häufigste
       Tatmotiv in 85 der 147 Fälle. 2023 sei es dabei auch wieder vermehrt zu
       Angriffen gegen Asylunterkünfte gekommen. 2022 waren es 2, 2023 waren es 15
       Angriffe. „Dabei nehmen wir die AfD als Stichwortgeberin wahr. Aber die
       demokratischen Akteure nehmen das auf.“ Als Beispiele zählte der
       Projektleiter Abschiebungen, Bezahlkarten oder den Arbeitszwang für
       Geflüchtete auf.
       
       Doch es bleibt nicht nur bei Stichworten. Die Statistik von Ezra enthalte
       auch mehrere Fälle, „an denen Politiker:innen der AfD beteiligt
       waren“, sagte Zobel. Etwa der Landtagsabgeordnete Torsten Czuppon (AfD),
       der den [3][Sprecher der Erfurter Ahmadiyya-Gemeinde], Suleman Malik, im
       Zug verbal angegriffen haben soll. Oder [4][Robert Sesselmann, der im
       vergangenen Juni einen CDU-Wahlkampfhelfer] bedroht haben soll. „Die AfD
       ist eine zentrale Unterstützergemeinschaft rechter Gewalt“, konstatierte
       Zobel.
       
       Allerdings führt der Bericht von Ezra deutlich mehr Fälle auf, als in der
       entsprechenden Polizei-Statistik stehen. Laut der am Montag von
       Innenminister Georg Maier (SPD) präsentierten Zahlen zur [5][politisch
       motivierten Kriminalität (PMK)] ordnen die Behörden zwar 1.835 Delikte dem
       politischen Bereich „rechts“ zu. Die meisten davon sind allerdings als
       Propagandadelikte erfasst. Lediglich 93 hat die Polizei als
       Gewaltkriminalität aufgenommen – also 54 weniger als im Bericht von Ezra.
       
       ## Angriffe auf Lokalpolitiker:innen
       
       Die Lücke zur Statistik politisch motivierter Kriminalität der Polizei
       erklärte Zobel der taz so: „Das liegt oft daran, dass die Beamten rechte
       Straftaten oft nicht als diese einordnen, weil das Erfassungssystem
       grundsätzliche Probleme aufweist.“ Die taz hat das Innenministerium in
       Thüringen dazu um Stellungnahme gebeten, die Antwort steht bisher noch aus.
       
       Innenpolitikerin Katharina König-Preuss (Linke) kommentierte die geringere
       Zahl in der PMK nach der Pressekonferenz: „Hier braucht es meines Erachtens
       künftig einen besseren Abgleich.“ Sie plädiere für eine „nachvollziehbare
       Datenbasis nach Tatgemeinde und Tatdatum.“ In anderen Bundesländern gebe es
       das bereits.
       
       Innenminister Maier hatte jedoch schon bei der Präsentation der PMK am
       Montag gesagt, ihn besorge die hohe Zahl an fremdenfeindlicher
       Hasskriminalität in Thüringen. Laut PMK waren 92 Personen „nichtdeutscher
       Herkunft“ von den insgesamt 162 Gewaltdelikten betroffen.
       
       Doch die Hasskriminalität richte sich auch gegen Menschen, die andere
       politische Positionen vertreten. „Wer nicht meiner Meinung ist, ist mein
       Feind. Da hat sich etwas breitgemacht, das unserer Demokratie schadet“,
       sagte Maier. Besorgniserregend seien auch Übergriffe auf
       Politiker:innen im aktuellen Wahljahr.
       
       Schon zu Beginn des Jahres erlebte Thüringen einen Brandanschlag auf einen
       Lokalpolitiker. In [6][Waltershausen zündeten Unbekannte das Haus von
       Michael Müller] (SPD) an. Er hatte kurz zuvor eine Demonstration für
       Demokratie und gegen Faschismus angemeldet.
       
       Für Franz Zobel ist klar: „Wenn rechte Gewalt nicht konsequent verfolgt
       wird, dann sehen wir, dass es Nachahmer gibt.“ Er befürwortet ein Verbot
       der AfD. Gleichzeitig sei wichtig, Betroffene richtig zu unterstützen. Die
       Angebote von Ezra seien so gefragt, dass nicht mehr in allen Fällen eine
       zeitnahe Beratung möglich sei. Deshalb fordert Zobel: „Es braucht einen
       langfristigen Ausbau der Beratungsangebote.“
       
       10 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fuenf-Monate-AfD-Landrat-in-Thueringen/!5978732
   DIR [2] https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2212757120#t02
   DIR [3] https://www.thueringer-allgemeine.de/politik/article238784381/Nach-vermeintlicher-Verbalattacke-gegen-Suleman-Malik-Sprecher-der-Ahmadiyya-Gemeinde-bekommt-zahlreiche-Hass-Mails-und-Drohungen.html
   DIR [4] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/afd-landratskandidat-robert-sesselmann-polizei-ermittelt-gegen-afd-politiker-a-acf5893b-acf8-4217-90fd-3abfc38bca41
   DIR [5] https://innen.thueringen.de/fileadmin/innenministerium/Veranstaltungen_2024/Pressemappe_PMK_2023.pdf
   DIR [6] /Nach-Protest-gegen-rechts-in-Thueringen/!5993201
       
       ## AUTOREN
       
   DIR David Muschenich
       
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