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       # taz.de -- Stooges-Musikdoku „Gimme Danger“: Exzess und Rausch
       
       > Iggy unverwüstlich: Jim Jarmusch erzählt in „Gimme Danger“ die Geschichte
       > der Proto-Punks The Stooges aus der Sicht eines erklärten Fans.
       
   IMG Bild: Gib mir Gefahr, Fremder: The Stooges im Konzert
       
       Mit dem Ende anfangen. Hier passt es. Im Jahr 1973, erfahren die Zuschauer
       zu Beginn des Films, waren The Stooges nach gerade einmal drei Alben, mit
       denen sie Musikgeschichte schreiben sollten, als Band schon wieder
       erledigt. Drogen, eine selbstzerstörerische Gruppendynamik, Konzerte, bei
       denen das Publikum zum Teil so aufgebracht war, dass es zu
       Handgreiflichkeiten mit den Musikern kam.
       
       Kein schönes Ende, mit dem der Dokumentarfilm „Gimme Danger“ einsetzt, aber
       so sehr Rock ’n’ Roll, dass es wie eine fantasievoll zusammengesponnene
       Geschichte erscheint, erzählt allein zu dem Zweck, einen Mythos zu
       schaffen.
       
       Der Mythos der Stooges, den Jim Jarmusch in seinem Porträtfilm noch einmal
       detailgetreu nachbaut, ist zu großen Teilen der Wirklichkeit entsprungen.
       Allein die Todesdaten am Ende des Films legen beredtes Zeugnis davon ab,
       dass es sich bei ihnen um eine Band handelte, die ihren Rock-Entwurf
       konsequent lebte – und starb: Dave Alexander, der erste Bassist der Band,
       erlag 1975 mit 27 Jahren den Folgen seines ausgiebigen Alkoholkonsums.
       
       Gitarrist Ron Asheton starb 2009 mit 60 Jahren an einem Herzinfarkt, sein
       Bruder Scott, pulsgebender Schlagzeuger der Band, folgte ihm 2014, immerhin
       64-jährig, mit der gleichen Todesursache. Und auch ihr Saxofonist Steve
       Mackay, der auf dem zweiten Album „Fun House“ zu hören ist, wurde lediglich
       66 Jahre alt: Blutvergiftung im Jahr 2015.
       
       So nimmt es nicht wunder, dass der Star des Films mit überproportional viel
       Redezeit der unverwüstliche Sänger Iggy Pop ist, einziger Überlebender der
       Originalbesetzung und der Einzige des Quartetts, dem es nach der Auflösung
       der Band 1974 gelang, als Musiker nennenswerte Erfolge zu feiern. Seine
       Erlebnisse stehen im Vordergrund des Geschehens, sein Blick auf die
       Mitstreiter dominiert die Erzählung. Was kein Schaden ist, man sieht und
       hört ihm äußerst gern zu.
       
       ## Im Trailer seiner Eltern
       
       Iggy Pop, geboren als James Newell Osterberg, berichtet von den Anfängen in
       seiner Geburtsstadt Ann Arbor als Schlagzeuger und Sänger der von ihm
       mitgegründeten Schülerband The Iguanas. Wie er im Trailer seiner Eltern das
       Wohnzimmer mit seinem Trommelset in Beschlag nahm, bis die anscheinend sehr
       verständnisvollen Eltern freiwillig das eigene Schlafzimmer räumten, um
       ihren Sohn samt Schlagzeug darin zu verstauen.
       
       Oder welchen Einfluss die Fernsehprogramme seiner Kindheit auf seine
       Arbeitsweise hatten. Vom Komiker Soupy Sales übernahm er dessen
       Aufforderung an seine jungen Zuschauer, sich bei Postzuschriften auf 25
       Wörter zu beschränken. Und fasste sich in seinen Songtexten sehr kurz. Zur
       Illustration blendet Jarmusch die ersten Zeilen von „No Fun“ als Schrift
       ein: „No fun / My babe / No fun“.
       
       Erinnerungen wie diese illustriert Jarmusch gelegentlich mit
       launig-flächigen Animationen, ansonsten herrschen neueres Interview- und
       reichlich Archivmaterial vor. Gern schneidet der Regisseur auch Filmzitate
       zwischen die Interviews, um die Ausführungen spielerisch zu kommentieren.
       
       ## Atemlose Montage
       
       Im Unterschied zu seinen asketisch-lakonischen Spielfilmen feiert er
       diesmal eine Materialschlacht, in der Konzertmitschnitte, Studiosessions
       und ganze Fotoalben ohne Ende an einem vorüberrasen. Ein Rausch, der gut
       zur oft exzessiven Entwicklung der Stooges passt, hin und wieder scheint
       sich Jarmusch ein wenig in seine atemlose Montage zu verlieben.
       
       Sehenswert ist „Gimme Danger“ jedoch schon allein wegen der Erinnerungen
       seines Protagonisten. Iggy Pops Blick beschränkt sich nicht auf Anekdoten
       und Komplimente gegenüber seinen Kollegen – Ron Asheton etwa würdigt er für
       seinen Beitrag zum Rockerbe durch den Riff des Songs „I Wanna Be Your Dog“,
       der von zahllosen Bands gecovert wurde. Vor allem trägt er durchaus
       Erhellendes zum Verständnis der spezifischen Funktionsweise der Band bei.
       
       Besonders der hektisch sprunghafte Tanz, der zum Markenzeichen von Iggy
       Pops Bühnenshow wurde, diente nicht nur dem Zweck, die Schaulust der Fans
       zu bedienen, sondern setzte bei seiner Rhythmusgruppe ungeahnte Kräfte
       frei. Immer wenn er bei den Proben begann sich „wie ein Schimpanse kurz vor
       dem Angriff“ (Iggy über Iggy) zu bewegen, fingen die anderen Musiker an,
       mit einer Energie zu spielen, die zuvor nicht vorhanden war.
       
       ## Bedeutung des Körpers in der Popmusik
       
       Auf diesem Weg habe er in den anderen Stooges den „Naturmenschen“ entdeckt,
       so Iggy. Ein weiterer eindrücklicher Beleg für die Bedeutung des Körpers in
       der Popmusik, diesmal in ihrer elementarsten Form.
       
       Dem Fan Jarmusch – Iggy Pop hatte Auftritte in seinen Spielfilmen „Dead
       Man“ und „Coffee and Cigarettes“ – gelingt es vorzüglich, die Energie der
       Stooges in seinen Ton-Bildern freizusetzen. Selbst im allerverrauschtesten
       Konzertvideo überträgt sich die kunstvoll atavistische Wucht dieser Musik
       fast ungefiltert auf die Körper der Zuschauer und -hörer. Und
       veranschaulicht damit eindrücklich das musikgeschichtliche Verdienst dieser
       Band, das Iggy Pop in einem Satz auf den Punkt bringt „Wir haben geholfen,
       die sechziger Jahre auszulöschen.“
       
       26 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tim Caspar Boehme
       
       ## TAGS
       
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