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       # taz.de -- Straßburger Urteil zu Racial Profiling: Von wegen geringfügig!
       
       > Klare Ansage: Deutsche Gerichte müssen prüfen, wenn der Polizei
       > vorgeworfen wird, dass sie Passant:innen nur wegen der Hautfarbe
       > kontrolliert. ​
       
   IMG Bild: Wird schon lange gefordert: Plakat auf einer Demo gegen Polizeigewalt 2020 in Berlin
       
       Das Straßburger Urteil ist nützlich, aber nicht revolutionär: Auf [1][Klage
       des Berliner Polizeikritikers Biplab Basu] stellte der Europäische
       Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) diese Woche klar, dass [2][Vorwürfe
       von Racial Profiling] so schwerwiegend sind, dass sie unabhängig untersucht
       werden müssen. Eine interne Untersuchung durch die Polizei genügt nicht.
       (Az.: 215/19)
       
       In der Praxis werden dadurch vor allem die Verwaltungsgerichte in die
       Pflicht genommen. Wenn jemand die Polizei nachvollziehbar beschuldigt, er
       sei allein wegen seiner Hautfarbe kontrolliert worden, so müssen Gerichte
       den Vorfall aufklären und bewerten. Die Gerichte können nicht mehr
       argumentieren, eine Ausweiskontrolle sei doch nur ein geringer
       Grundrechtseingriff, dessen Rechtmäßigkeit im Nachhinein nicht mehr geklärt
       werden muss.
       
       Konkret gerüffelt wurde damit das Verwaltungsgericht Dresden, das Basus
       Klage 2013 mit diesem Argument als unzulässig ablehnte und deshalb
       inhaltlich gar nicht prüfte. Zurecht wiesen die Straßburger Richter darauf
       hin, dass nicht die Ausweiskontrolle an sich das Problem ist, sondern die
       stigmatisierende Sonderbehandlung aufgrund der Hautfarbe. Dieser Vorwurf
       sei auf jeden Fall schwerwiegend und müsse untersucht werden.
       
       Die Dresdner Entscheidung ist kein Einzelfall. Laut Basus Anwältin Maren
       Burkhardt drücken sich immer wieder Gerichte mit dem
       Geringfügigkeits-Argument vor der Prüfung von Racial Profiling-Vorwürfen.
       Andererseits ist die Drückebergerei aber auch nicht die Regel. Schließlich
       gibt es ja regelmäßig Urteile, bei denen Gerichte inhaltlich entscheiden –
       oft auch zugunsten der Kläger:innen. So hat just das Verwaltungsgericht
       Dresden im Februar die Kontrolle eines Guineers im Chemnitzer Hauptbahnhof
       als unzulässig beanstandet.
       
       Doch eigentlich wollte Biplab Basu mehr. Er hatte auch die Vorschrift im
       Bundespolizeigesetz angegriffen, die in Grenznähe verdachtsunabhängige
       Kontrollen erlaubt. Sie ermögliche damit auch Racial Profiling, so Basu.
       Darauf ging der EGMR jedoch nicht ein. Er stellte nur fest, dass die
       Kontrolle auf gesetzlicher Grundlage erfolgte. Die Revolution blieb also
       aus.
       
       ## Was genau gilt als Racial Profiling?
       
       Tatsächlich ist Racial Profiling in Deutschland durchaus verboten. Streitig
       ist aber, was als Racial Profiling gilt. So ist es zwar verboten, eine
       Person allein aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer ethnisch gelesener
       Merkmale zu kontrollieren. Wenn die Hautfarbe aber nur Teil eines
       Motivbündels der kontrollierenden Polizei ist, darf sie durchaus
       berücksichtigt werden.
       
       Klassisches Beispiel ist der Drogenhandel, der an einem bestimmten Platz
       von einer ethnisch homogenen – zum Beispiel afrikanischen – Gruppe
       kontrolliert wird. Wenn hier alle Kontrollierten dunkle Hautfarbe haben,
       wäre dies nach derzeitiger deutscher Rechtsprechung zulässig. Ziel des
       Racial Profiling-Verbots ist es nicht, ethnisch homogene Straftätergruppen
       vor Kontrollen zu bewahren.
       
       Solche Orte sind aber selten. In der Regel ist die Hautfarbe eine:r
       Passant:in völlig irrelevant für ihre Verwicklung in kriminelle
       Geschäfte. Deshalb ist es nicht zu rechtfertigen, wenn Personen mit
       nicht-mitteleuropäischem Aussehen im Alltag viel häufiger kontrolliert
       werden als Gisela Normala. Dies einzudämmen ist auch Aufgabe der Gerichte –
       die nach dem Straßburger Urteil kein Argument mehr haben, sich dieser
       Aufgabe zu entziehen.
       
       22 Oct 2022
       
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       ## AUTOREN
       
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