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       # taz.de -- Streit im Landtag von BaWü: Koalitionskrach vertagt
       
       > Kretschmanns grün-schwarze Regierung erlebt ihre erste Krise. Aber die
       > CDU wird einen Koalitionsbruch nicht riskieren. Sie hätte nichts zu
       > gewinnen.
       
   IMG Bild: Würde es sich für die baden-württembergische CDU lohnen, Winfried Kretschmann zu stürzen?
       
       Am kommenden Freitag zieht Winfried Kretschmanns Vorgänger Stefan Mappus
       wieder in die Stuttgarter Staatskanzlei ein. Allerdings nur als Gemälde.
       Der letzte CDU-Ministerpräsident reiht sich dann, wie es gute Tradition
       ist, hinter Günther Oettinger in die Ahnengalerie der früheren
       Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg ein. Bei manchen in der
       CDU-Fraktion und auch beim FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke steht Mappus
       für bessere Zeiten, als im Land noch eine schwarz-gelbe Regierung
       herrschte.
       
       Dass das wieder so werden könnte, dazu fehlte am Mittwoch vergangener Woche
       im Stuttgarter Landtag auf den ersten Blick nur wenig. Es stand die Wahl
       zur Landtagsvizepräsidentin an. Die CDU hatte das Vorschlagsrecht und
       schickte Sabine Kurtz, eine evangelikale Christin mit wenig
       fortschrittlichen Ansichten, ins Rennen. Sie gilt als Kritikerin des
       seinerzeit von Grün-Rot beschlossenen Bildungsplans für sexuelle Vielfalt
       an baden-württembergischen Schulen und hatte immer wieder Verständnis für
       die LGBT-kritischen „Demos für alle“ geäußert. Bei ihrer Vorstellung beim
       Koalitionspartner wollte der Grünen-Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand
       von Kurtz wissen, ob sie Homosexualität für eine heilbare Krankheit halte.
       Die Antworten seien missverständlich gewesen, fand nicht nur Hildenbrand.
       Anschließend riet Hildenbrand, Kurtz nicht zu wählen.
       
       Kurtz fiel im ersten Wahlgang durch. Und viele bei CDU, FDP und SPD sahen
       eine Chance, die Grünen aus der Regierung zu vertreiben. Die FDP
       jedenfalls, lässt Fraktionschef Rülke die Kollegen von CDU und SPD wissen,
       stünde jederzeit bereit. Kurtz wurde dann im zweiten Wahlgang doch gewählt,
       aber auch diesmal fehlten Stimmen aus der Regierungskoalition. Das Wort von
       der ersten grün-schwarzen Regierungskrise will seitdem nicht mehr
       verstummen.
       
       ## Wahlreform geplatzt
       
       Den ersten Beitrag dazu lieferte allerdings die CDU selbst, die bei der
       Wahl von Kurtz schon wieder auf Verlässlichkeit gepocht hatte. Der Landtag
       von Baden-Württemberg gilt als einer mit dem geringsten Frauenanteil in
       Baden-Württemberg. Die Regierung Kretschmann wollte diesem Missstand mit
       einer Reform des Wahlrechts zu Leibe rücken, die den Parteien mehr Einfluss
       bei der Kandidatenwahl gibt. Das Projekt war zwar verbindlich im
       Koalitionsvertrag vereinbart worden, galt aber nicht gerade als
       Herzensprojekt der CDU.
       
       Im Januar beschloss die CDU-Fraktion, die Reform zu beerdigen. Eine
       kalkulierte Provokation, die gelang, weil Kretschmann kein Freund der
       Reform ist und die CDU damit rechnen konnte, dass sie mit einem strengen
       Verweis davonkommt, wie es auch kam.
       
       Der Vertragsbruch, die provokante Nominierung einer mutmaßlich homophoben
       Landtagsvizepräsidentin auf CDU-Seite und die verweigerte Wahl von Kurtz
       durch die Grünen legen offen, wie zerrüttet das Verhältnis unter den
       Koalitionspartnern tatsächlich ist. Grüne und schwarze Abgeordnete
       misstrauen sich auch nach zwei Jahren gemeinsamer Regierung. Kulturelle
       Unterschiede zwischen den grünen und der mehrheitlich konservativ geprägten
       CDU-Abgeordneten scheinen dabei kaum überbrückbar.
       
       ## Kretschmann-Vertrauter ohne Autorität
       
       Als Kretschmanns Vertrauter in der CDU gilt der Landesvorsitzende Thomas
       Strobl. Dessen Autorität schwindet jedoch nicht erst seit der gescheiterten
       Wahlreform. Strobl sah die Koalition mit den Grünen einst als Chance, die
       Partei zu modernisieren. Das Projekt kann nach zwei Jahren wegen des
       Widerstands innerhalb der Fraktion als gescheitert angesehen werden.
       
       Trotz der sichtbaren Risse ist der grün-schwarze Bruch bis auf Weiteres
       abgesagt. Auch den größten Koalitionsmuffeln in der CDU dürfte klar sein,
       dass es sehr gute Gründe braucht, um den bei Konservativen beliebten
       Ministerpräsidenten zu stürzen – und dafür nicht vom Wähler abgestraft zu
       werden. Diese Gefahr sieht wohl auch die SPD-Landesvorsitzende Leni
       Breymaier. Sie erteilt einer CDU-SPD-FDP-Koalition eine Absage und nennt
       sie „eine Schnapsidee“.
       
       Breymaier nimmt der CDU die Verweigerung der Wahlrechtsreform übel. „Wenn
       die grün-schwarze Ehe auseinandergeht, dann gibt es nur eine Lösung:
       Neuwahlen.“ Dabei hätte die CDU im Moment wenig zu gewinnen. Laut Umfragen
       steht sie bei 27 Prozent. Ihre schwache Position dürfte die Spannungen in
       der Koalition eher noch anheizen. Der nächste Zwist steht der „Vernunftehe“
       (Kretschmann) schon beim Umsetzen des Leipziger Urteils zur Luftreinhaltung
       ins Haus. Der grüne Verkehrsminister Winne Hermann hält Fahrverbote für
       unumgänglich. Die CDU will das verhindern.
       
       2 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Stieber
       
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