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       # taz.de -- Streit um Armenien-Resolution: Für alle etwas dabei
       
       > Um die Türkei zu besänftigen, distanziert sich die Bundesregierung von
       > der Armenien-Resolution des Bundestages. Oder doch nicht?
       
   IMG Bild: Kein leichtes Statement: Regierungssprecher Steffen Seibert zur Armenienresolution
       
       BERLIN taz | Das Lämpchen am Mikrofon leuchtet. Steffen Seibert atmet noch
       einmal durch, dann nimmt er einen Schluck Wasser. Puh. Dieses Statement
       wird ihm wieder Fragen einbrocken.
       
       „Ja, meine Damen und Herren, guten Tag. Die intensive Berichterstattung von
       heute Morgen veranlasst mich, mich gleich an Sie zu wenden. Da wird
       fälschlich behauptet, die Bundesregierung wolle sich von der
       Armenien-Resolution des Bundestags distanzieren. Davon kann überhaupt keine
       Rede sein“, sagt der Sprecher der Kanzlerin im Saal der
       Bundespressekonferenz. Dann distanziert er sich im Namen der
       Bundesregierung ein wenig von der Armenien-Resolution des Bundestags.
       
       „Der Entschließungsantrag zielt qua Definition darauf, Auffassungen zu
       politischen Fragen zum Ausdruck zu bringen – ohne dass diese
       rechtsverbindlich sind. So steht es auch auf der Homepage des Bundestags“,
       sagt er. „Das Wort ‚Völkermord‘ hat rechtlich eine ganz bestimmte
       Legaldefinition, die wird von den Gerichten ausgelegt und festgelegt.“
       
       Aha. Was bedeutet das nun?
       
       ## Trickserei um einen Völkermord
       
       Der Auftritt des Regierungssprechers am Freitagvormittag, er ist das
       nächste Kapitel in einem Schauspiel, das nun schon eineinhalb Jahre
       andauert und trotzdem nicht zum Ende kommen will. Ein Schauspiel voll von
       Symbolik, Tricks und Kompromissen, die im Frühjahr 2015 ihren Anfang
       nahmen.
       
       Der hundertste Jahrestag des türkischen, nun ja, Völkermords an den
       Armeniern stand damals an. Mitten im Ersten Weltkrieg hatte das Osmanische
       Reich damit begonnen, die Armenier systematisch zu vernichten.
       Hunderttausende starben. Das Deutsche Reich, mit den Osmanen verbündet,
       unternahm nichts dagegen. All dessen wollten die Bundestagsfraktionen in
       einer Resolution gedenken.
       
       Der Bundesregierung kam das allerdings nicht gelegen. Die türkische
       Regierung, wichtiger Partner an der Schwelle zum Nahen Osten, interpretiert
       die Ereignisse nämlich anders. Von einem Völkermord will sie nichts hören.
       Und so vertagten die Koalitionsfraktionen das Thema im Bundestag.
       
       Bis die Grünen im Februar dieses Jahres nicht mehr länger warten wollten:
       Ohne Rücksicht auf die laufenden Verhandlungen zum Flüchtlingsabkommen
       zwischen der EU und der Türkei brachte Parteichef Cem Özdemir eine neue
       Resolution in den Bundestag ein. Zunächst zierten sich die
       Koalitionsfraktionen in der Debatte erneut. Dann aber kam
       Unionsfraktionschef Volker Kauder im Plenum auf Özdemir zu und versprach:
       Wenn du den Antrag noch mal zurückziehst, verabschieden wir im Sommer eine
       gemeinsame Resolution – Regierung hin oder her. Am 2. Juli kam es
       schließlich dazu.
       
       ## Türkei sperrte Abgeordnete aus İncirlik aus
       
       Darin heißt es, das Schicksal der verfolgten Armenier stehe „beispielhaft
       für die Geschichte der Massenvernichtungen, ethnischen Säuberungen, ja der
       Völkermorde“. Schwups, da war es: das V-Wort, das die Bundesregierung so
       dringend vermeiden wollte – und auf das die türkische Regierung prompt
       reagierte.
       
       Sie bestrafte die deutschen Abgeordneten und verbot ihnen einen Besuch in
       der Südtürkei, auf der Luftwaffenbasis İncirlik, von der deutsche Tornados
       zu ihren Aufklärungsflügen über Syrien und dem Irak starten. Ein Unding für
       die Abgeordneten, die seitdem ihrerseits drohen: Dürfen wir nicht nach
       İncirlik, werden wir das im Dezember auslaufende Bundeswehrmandat nicht
       verlängern.
       
       Für die Bundesregierung, vor allem für das Verteidigungsministerium, ist
       das eine miese Aussicht. Zur Not hat sie zwar alternative Militärflughäfen
       im Blick, einer liegt bei Amman in Jordanien. Aus der Bundeswehr heißt es
       aber, ein Umzug der Tornados wäre enorm aufwendig.
       
       Da wäre etwa die Infrastruktur: Die Türkei ist Nato-Mitglied, die
       Versorgung in İncirlik entspricht daher gemeinsamen Normen. Die Flugzeuge
       bekommen zum Beispiel genau den Treibstoff, den sie benötigen. Jordanien
       verwendet anderes Kerosin, die Bundeswehr müsste dort also improvisieren.
       
       ## Beim Einsatz der Bundeswehr geht es um den IS
       
       Dieses Problem wäre zwar noch irgendwie lösbar, ein anderes aber nicht: Die
       Luftbilder, die die Tornados schießen, übermitteln sie in Echtzeit an eine
       deutsche Hightech-Auswertungsstation in İncirlik. Bei einem Umzug müssten
       diese Soldaten diese Station erst abbauen, dann zum neuen Stützpunkt
       transportieren und sie dort wieder aufbauen – eine Reservestation hat die
       Bundeswehr nämlich nicht.
       
       In der Zwischenzeit wäre der Aufklärungseinsatz unterbrochen. Das wiederum
       würde in der Nato die chronischen Zweifel an der Zuverlässigkeit der
       Deutschen nähren. Am Freitag Vormittag war Nato-Generalsekretär Jens
       Stoltenberg zu Gast bei der Klausur der Unionsfraktion und erinnerte die
       Abgeordneten: Es geht beim Einsatz der Bundeswehr nicht um Erdoğan. Es geht
       um den IS.
       
       Also bevorzugte die Bundesregierung eine andere Lösung: Erdoğan sollte die
       Abgeordneten nach İncirlik lassen und trotzdem das Gesicht wahren. Ein
       Kompromiss musste her. Kanzleramt und Außenministerium machten sich an die
       Arbeit: Der außenpolitische Berater der Kanzlerin flog in die Türkei. Ein
       Außenstaatssekretär flog in die Türkei. Ein Abteilungsleiter des
       Ministeriums flog in die Türkei. Ein anderer Außenstaatssekretär flog in
       die Türkei. Und nun, am Ende, stand der Kompromiss.
       
       Merkel schickt ihren Sprecher vor und lässt ihn ausrichten, was eigentlich
       von Anfang klar war – eine Resolution des Bundestags habe rechtlich
       keinerlei Wirkung. Die Türkei wird demnach weder vor internationale
       Gerichte gezerrt, noch muss sie die Armenier entschädigen.
       
       ## Beide Seiten besänftigt?
       
       Da ist für jeden was dabei: Die Resolution scheint nun kleiner, weniger
       wichtig, ein unbedeutendes Abfallprodukt eines störrischen
       Verfassungsorgans. Das soll die Türken besänftigen. Ein offener Bruch mit
       dem Parlament ist das aber noch nicht, eine klare Distanzierung sieht
       anders aus. Das soll die Deutschen besänftigen.
       
       Bei Volker Kauder hat das geklappt. Am Morgen, gleich nach ersten Berichten
       über Seiberts geplantes Statement, hat die Kanzlerin mit ihrem
       Fraktionschef telefoniert, den man ja im Grunde als Vater des
       Bundestagsbeschlusses bezeichnen kann. Die Regierung distanziere sich nicht
       von seiner Resolution versicherte ihm Merkel. Damit gibt er sich zufrieden,
       zumindest öffentlich.
       
       Bei anderen zieht der Kompromiss dagegen weniger gut. SPD-Fraktionschef
       Thomas Oppermann sagt am Mittag nach einer Fraktionssitzung: Rechtlich sei
       die Resolution vielleicht nicht bindend, politisch aber schon. „Wir
       erwarten auch von allen Mitgliedern der Bundesregierung, dass sie sich
       daran gebunden fühlen.“ Die Opposition, natürlich, wird noch deutlicher.
       Von einer „neuen Unterwerfung“ gegenüber Erdoğan spricht die
       Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen.
       
       Was gilt also? Hat sich die Regierung distanziert? Oder hat sie sich nicht
       distanziert? Oder hat sie sich distanziert und im gleichen Moment von der
       Distanzierung distanziert?
       
       ## Schrödingers Merkel
       
       Zurück im Saal der Bundespressekonferenz: Herr Seibert, steht die Kanzlerin
       zum Inhalt der Resolution? Damals, antwortet der Regierungssprecher, im
       Juli, habe die Kanzlerin in einer Fraktionssitzung für den Beschluss
       gestimmt.
       
       Herr Seibert, würde die Kanzlerin im Zusammenhang mit den Armeniern von
       Völkermord sprechen? Völkermord, sagt der Regierungssprecher, ist ein
       juristischer Begriff.
       
       Der Physiker Erwin Schrödinger stellte einmal ein kompliziertes
       Gedankenexperiment auf: Schrödingers Katze. Dem Wissenschaftler zufolge
       kann ein Katze unter bestimmten Umständen gleichzeitig tot und lebendig
       sein. Die Deutschen erlebten am Freitag ein ähnlich kompliziertes Phänomen:
       Schrödingers Merkel. Eine Kanzlerin, die sich zu einer Resolution bekennt,
       die den Völkermord an den Armeniern als Völkermord bezeichnet. Und die sich
       gleichzeitig dagegen stemmt, den Völkermord als Völkermord zu bezeichnen.
       
       2 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
   DIR Anastasia Hammerschmied
   DIR Fabian Rasem
       
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