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       # taz.de -- Streit um Wehrpflicht per Losverfahren: Schwarz-roter Dilettantenstadl
       
       > Anders als angekündigt erzielen Union und SPD doch keine Einigung in
       > ihrem Streit um die Reformierung des Wehrdienstes. Aber es gibt
       > Schlimmeres.
       
   IMG Bild: Bundeswehrsoldat bei einer Nato-Übung 2018 in Norwegen. Damals noch ohne Losverfahren
       
       Es erinnert an die Endphase der Ampelkoalition: Da laden die Koalitionäre
       am späten Dienstagvormittag zu einer Pressekonferenz am frühen Abend ein,
       um dort ihre Einigung in einem langen und in aller Öffentlichkeit
       ausgetragenen Streit bekannt zu gegeben – um dann den wartenden
       Journalist:innen 20 Minuten nach dem eigentlich anvisierten Beginn ohne
       Begründung die Absage mitzuteilen.
       
       Dass die vermeintlich zwischen Union und SPD erzielte Verständigung zur
       Reform des Wehrdienstes, die bereits an zahlreiche Medien durchgestochen
       worden war, [1][kurz vor der offiziellen Verkündung geplatzt] ist, zeugt
       von dem desaströsen Zustand der beiden Regierungsparteien, die einst mal
       als Große Koalition bezeichnet wurden. Sie sind offenkundig nicht in der
       Lage, eine vertrauensvolle und stabile Basis für ihre Zusammenarbeit zu
       finden.
       
       Allerdings klang das, was die Unterhändler:innen von CDU, CSU und SPD
       mit dem Plazet ihrer Partei- und Fraktionsführungen da ausbaldowert hatten,
       auch schon ziemlich bescheuert. Auf so eine Idee, auslosen lassen zu
       wollen, welche jungen Männer überhaupt zur Musterung müssen, muss man erst
       einmal kommen. Noch kurioser ist, dass sie aus den Reihen von CDU und CSU
       stammt.
       
       Die Union hatte sogar bereits eine Pressemitteilung vorbereitet, in der zu
       lesen war, dass künftig „mittels eines Zufallsverfahrens bestimmt“ werden
       solle, „wer zur verpflichtenden Musterung erscheinen muss“. Sollten sich
       danach nicht genügend Freiwillige finden, dann könnten „durch ein
       Zufallsverfahren ausgewählte Männer für den Wehrdienst verpflichtet
       werden“.
       
       ## Grober Unfug
       
       Aus militärischer Sicht würde Letzteres durchaus Sinn ergeben, weshalb ein
       solches Verfahren beispielsweise auch in Dänemark inzwischen praktiziert
       wird. Ersteres ist jedoch grober Unfug. Denn das würde zum einen dazu
       führen, dass es auch weiterhin keinen vollständigen Überblick gibt, auf wen
       die Bundeswehr im Verteidigungsfall eigentlich zurückgreifen könnte. Aus
       gutem Grund steht [2][in dem vom Bundeskabinett verabschiedeten
       Gesetzesentwurf] eine verpflichtende Musterung für alle 18-jährigen Männer
       ab Juli 2027.
       
       Zum anderen besteht bei einem solchen Losverfahren für die Bundeswehr die
       nicht zu unterschätzende Gefahr, dass dabei ausgerechnet viele ausgewählt
       werden, die entweder nicht können oder nicht wollen. Das wäre jedoch in
       einem hohen Maße dysfunktional. Von daher verwundert es nicht, dass
       Verteidigungsminister Boris Pistorius dagegen auf die Barrikaden gegangen
       ist.
       
       Gewisse Vorteile würde das Verfahren, auf das sich Union und SPD nun doch
       nicht verständigt haben, hingegen für Antimilitaristen und Gegner von
       Zwangsdiensten bieten. Zumindest wäre die Aussicht, bei einem Losverfahren
       um die blöde Musterung herumzukommen, ziemlich groß. Schließlich gibt es
       gegenwärtig rund 350.000 Männer pro Jahrgang, von denen die Bundeswehr
       jedoch höchstens wenige Zehntausend benötigt, um auf ihre innerhalb der
       Nato vereinbarte perspektivische Zielzahl von 260.000 Soldat:innen zu
       kommen.
       
       Wer nicht ausgelost würde, könnte dann auch wohl schlecht zu einem
       „Ersatzdienst“ herangezogen werden, wie es die schwarz-rote Koalition gerne
       hätte. Für „Lospech“ kann man schließlich nichts – und der Kriegsdienst
       kann erst nach der Musterung verweigert werden. Und wenn man „Losglück“
       hat, könnte man immer noch schnell verweigern. Der langjährige
       Unionsfraktionschef und alte Stahlhelmer Alfred Dregger [3][dürfte sich im
       Grab umdrehen], was für Dilettant:innen da in der CDU und der CSU am
       Werk sind.
       
       Vielleicht hat es aber auch etwas Beruhigendes, wenn es bei jenen, die
       Deutschland wieder „kriegstüchtig“ machen wollen, nicht einmal zur
       Politikfähigkeit reicht. So wird das jedenfalls nichts mit der Ankündigung
       von Friedrich Merz, die Bundeswehr zur „stärksten Armee Europas“ zu machen.
       Was angesichts der deutschen Geschichte nicht als die schlechteste Aussicht
       erscheint. Fest steht indes, dass sich die schwarz-rote Koalition im
       Vergleich zur Bundeswehr in einem deutlich schlechteren Zustand befindet.
       
       15 Oct 2025
       
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