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       # taz.de -- Streit um autofreie Innenstadt: Rote Ampeln für den grünen OB
       
       > Bundesweit machten Onays Pläne für eine autofreie Innenstadt in Hannover
       > Furore. Aber in der Stadt zerstreitet sich die rot-grüne Koalition.
       
   IMG Bild: Verirrt im Schilderwald? Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) im „Experimentierraum“
       
       Hannover taz | Wer sehen möchte, welche absurden Züge die Debatte um
       Hannovers Innenstadtkonzept bisweilen annimmt, muss sich an die
       Ernst-August-Galerie halten. In dem schicken, großen Einkaufszentrum am
       Hauptbahnhof, am Rande der Fußgängerzone gelegen, ging am zweiten
       Novemberwochenende gar nichts mehr – jedenfalls für die Kunden, die mit dem
       Auto angereist waren und im hauseigenen Parkhaus standen.
       
       Zu den Stoßzeiten rund um den Ladenschluss staute sich der Verkehr derart
       zurück, dass kein Rauskommen mehr möglich war. Der Center-Manager war
       darüber so erbost, dass er Flugblätter drucken ließ. Mit einem Auszug aus
       dem Innenstadtkonzept und den Kontaktdaten des grünen Oberbürgermeisters
       Belit Onay – man solle sich doch bei dem beschweren.
       
       Der Haken daran: Das Verkehrskonzept ist noch gar nicht beschlossen und
       logischerweise auch nicht umgesetzt. Schuld war nach Auskunft der Stadt
       vielmehr eine defekte Ampelschaltung.
       
       Als [1][Belit Onay im September sein Konzept für eine weitgehend autofreie
       Innenstadt vorstellte], erhielt er dafür bundesweit viel Aufmerksamkeit und
       Applaus. Doch seither formiert sich in der Stadt der Widerstand – wenig
       überraschend von Seiten der CDU, die mit markigen Worten den „Kulturkampf
       gegen das Auto“ geißelt.
       
       Auch die Wirtschaftsverbände – angefangen von den Kammern, über
       Handelsverbände, Gastronomen und Bauindustrie – haben öffentlich
       Nachbesserungen gefordert. Von ihren [2][„11 Forderungen für eine gute
       Erreichbarkeit“] befassen sich neun mit dem PKW-Verkehr, Lieferverkehren
       und Parkplatzproblemen und nur eine mit der Forderung nach besserem
       öffentlichen Nahverkehr, anderthalb wenn man die Forderung nach mehr
       Park+Ride-Parkplätzen mitzählt.
       
       ## SPD probt den Aufstand
       
       Soweit, so erwartbar. Vor ein strategisch viel größeres Problem dürfte es
       Onay und seine Grünen allerdings stellen, dass nun der Koalitionspartner
       SPD den Aufstand probt. Ohne die SPD hat das Konzept im Rat keine Mehrheit.
       Der Streit ist so massiv, dass politische Beobachter schon fragen, ob das
       nun wohl das Ende von Grün-Rot in der Stadt sein könnte.
       
       Bei den Deutungen wird viel herumpsychologisiert: Liegt es daran, dass die
       SPD den Verlust „ihres“ Rathauses nie verwunden hat? Fühlt sie drei Jahre
       vor der nächsten Kommunalwahl das dringende Bedürfnis, sich zu profilieren?
       Geht es um persönliche Befindlichkeiten?
       
       Tatsächlich scheinen die Genossen inhaltlich gar nicht so weit entfernt von
       ihren grünen Partnern zu sein. Betrachtet man den [3][Forderungskatalog,
       den die SPD-Ratsfraktion nun vorgelegt hat], findet sich darin auf den
       ersten Blick kaum ein fundamentaler Widerspruch zum Konzept der Stadt –
       eher Ergänzungen und Weiterentwicklungen. Anders als die CDU setzt die SPD
       keineswegs allein auf die Stimmen entnervter Autofahrer.
       
       Der Punkt, an dem sich die beiden Fraktionen hoffnungslos verhakt haben,
       scheint vor allem mit der politischen Kultur der beiden Parteien zu tun zu
       haben. Die SPD pocht auf ein umfangreiches Beteiligungsverfahren –
       Bezirksräte, die Region, Verbände, Anwohner und Bürger – alle sollen
       einbezogen und befragt werden.
       
       Aus Sicht der Grünen ist da aber schon einiges geschehen. Immerhin gab es
       einen großen [4][„Innenstadtdialog“] mit dutzenden Konferenzen in
       unterschiedlichen Besetzungen, eine Bürgerbefragung, öffentliche
       Veranstaltungen und „Experimentierräume“.
       
       Belit Onay möchte nun „endlich ins Handeln kommen“, wie er es ausdrückt.
       Man träumt vom großen Wurf und sieht sich getragen von einer großen Welle
       der Zustimmung. Immerhin ist Onay 2019 mit dem Versprechen auf eine
       autofreie Innenstadt ins Amt gekommen. Und bei nahezu jeder Veranstaltung
       zum Thema steht irgendwann jemand im Publikum auf und fragt, wann es denn
       nun endlich soweit sei.
       
       Manchen geht das aktuelle Konzept gar nicht weit genug – immerhin umfasst
       es nur den unmittelbaren Innenstadtbereich. Aus Sicht der Grünen ist der
       Zeitpunkt günstig: Denn selbst bei den weniger Veränderungsfreudigen hat
       sich angesichts der kränkelnden Innenstädte die Erkenntnis durchgesetzt,
       dass einfach immer so weitermachen keine gute Option ist.
       
       ## „Abpollern“ reicht nicht
       
       Die SPD zweifelt allerdings daran, dass das, was Grüne unter Beteiligung
       verstehen, alle relevanten Gruppen erfasst. „So viele Zuschriften von
       Leuten, die sich eben nicht beteiligt fühlen, habe ich in zwanzig Jahren
       Politik nicht gesehen“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Lars Kelich.
       
       Er glaubt außerdem, dass Onay den zweiten Schritt vor dem ersten macht. Man
       müsse sich doch erst einmal Gedanken darüber machen, wie diese städtischen
       Räume denn nun genutzt werden sollten – und dann die Verkehrsflüsse regeln.
       „Einfach nur abpollern, reicht nicht“, ist sein Lieblingssatz.
       
       Onays Konzept funktioniert aber genau anders herum: Erst einmal Freiräume
       schaffen, Impulse geben – und dann darauf setzen, dass daraus eine Dynamik
       entsteht, die andere Player animiert und mitreißt. Allen Recht machen,
       heißt es bei den Grünen hinter vorgehaltener Hand, kann man es bei diesem
       Thema nicht. Schon gar nicht jenen, für die an jeder ausgefallenen Ampel
       oder jedem Baustellenstau der grüne OB Schuld ist.
       
       27 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Autofreie-Innenstadt/!5961685
   DIR [2] https://www.hwk-hannover.de/artikel/11-forderungen-der-wirtschaft-fuer-eine-gute-erreichbarkeit-der-innenstadt-23,0,6643.html
   DIR [3] https://spd-ratsfraktion-hannover.de/meldungen/spd-fraktion-fordert-grundlegende-ueberarbeitung-des-mobilitaetskonzeptes-fuer-die-innenstadt
   DIR [4] https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Politik/B%C3%BCrgerbeteiligung-Engagement/Innenstadtdialog-Hannover
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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