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       # taz.de -- Studie zu Rechtstendenzen im Osten: Diagnose: Sachsenstolz
       
       > Immer wieder macht Ostdeutschland mit rechter Gewalt Schlagzeilen. Warum
       > nur? Eine Studie suchte nach Antworten.
       
   IMG Bild: Bei Pegida weisen Flaggen den Weg vom Lokalpatriotismus zum Nationalismus
       
       Berlin taz | Bautzen, Tröglitz, Freital – längst sind diese Orte Chiffren
       rechter Gewalt. Brandanschläge auf Asylunterkünfte, Neonazi-Randale,
       Bedrohungen von Flüchtlingshelfern und Lokalpolitikern: Das sind die
       Schlagzeilen, mit denen Ostdeutschland immer wieder aufwartet, allen voran
       Sachsen. Warum nur?
       
       Dieser Frage gingen Wissenschaftler des Göttinger Instituts für
       Demokratieforschung um den Politikprofessor Franz Walter nach. Der Auftrag
       erging vom Bundeswirtschaftsministerium, genauer von der dort angesiedelten
       Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Iris Gleicke
       (SPD). Sie wird die Studie am Donnerstag vorstellen, der taz lag sie vorab
       vor. Zentrales Ergebnis: Das Problem liegt bei den Politikern vor Ort – und
       ihrem mangelnden Widerspruch zu rechten Umtrieben.
       
       Vor allem zu Sachsen finden die Forscher deutliche Worte. Gerade dort gebe
       es ein „spürbares Bedürfnis nach einer kollektiven Identifikation mit einer
       möglichst positiven, moralisch ‚sauberen‘ regionalen Identität“. Es finde
       eine „Überhöhung des Eigenen, Sächsischen“ statt, die Fremdenfeindlichkeit
       ausblende – oder gar als „genuin sächsische Widerständigkeit“ auslebe. Und
       die Politik, vor allem der CDU, förderte dies, so die Studienautoren: Indem
       sie die Probleme „mit Sachsenstolz übertünchen“.
       
       Die Wissenschaftler hatten sich von Mai bis Dezember 2016 die sächsischen
       Städte Freital und Heidenau sowie den Erfurter Stadtteil Herrenberg genau
       angeschaut. Alle Orte gelten als rechte Hochburgen. Dort führten die
       Forscher rund 40 Einzelinterviews mit Politikern und Bürgern, dazu mehrere
       Gruppendiskussionen und eine „teilnehmende Beobachtung“ vor Ort.
       
       ## „Obsessive Sorge“
       
       Die Studie nennt ein „Ursachenbündel“ für den in Ostdeutschland
       grassierenden Rechtsextremismus. Einen Teil davon sehen die Autoren schon
       vor Jahrzehnten angelegt: in der DDR. Das Aufwachsen in einer geschlossenen
       Gesellschaft, die damalige Migrationspolitik – Völkerfreundschaft ja, aber
       MigrantInnen nur als Gäste – und ein von jeher begrenzter Kontakt zu
       Zuwanderer: All diese Faktoren könnten für eine erhöhte
       Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland „nicht stark genug betont werden“.
       
       Dazu komme die Erfahrung der Wiedervereinigung. Die Erwartungen der
       Ostdeutschen seien hier „überzogen“ gewesen. Als statt Wirtschaftswunder
       Jobverluste eintraten, blieb ein Gefühl der „kollektiven Benachteiligung“
       zurück. Bis heute bestehe in Ostdeutschland eine „obsessive Sorge“, so die
       Autoren, die da lautet: „‚Die Fremden‘ könnten besser wegkommen als ‚wir‘
       selbst.“
       
       Nicht hilfreich sei auch eine Distanzierung vieler Ostdeutscher von
       Parteien und Verbänden nach der Wende, als „Gegenreaktion auf die
       Zwangskollektivierung im sozialistischen Alltag“. Eine demokratische
       Entwicklung sei so ausgebremst worden, ebenso die politische Bildung. Dazu
       komme eine „selektive Erinnerungskultur“.
       
       So sagte ein Herrenberger Lokalpolitiker den Forschern, zu DDR-Zeiten habe
       es keine faschistischen Umtriebe gegeben. In Freital mochte sich laut
       Studie niemand an die Angriffe auf das örtliche Gastarbeiterwohnheim 1991
       erinnern.
       
       Generell, so die Wissenschaftler, komme es zu einer „unglücklichen
       Verquickung von Dispositionen“ in Ostdeutschland, die rechte Einstellungen
       beförderten. Die Politik vor Ort lasse diese zudem „eruptiv eskalieren“.
       
       ## Harmoniesehnsucht der CDU
       
       Harsche Kritik muss sich hier die sächsische CDU anhören. Vor allem ihre
       Vertreter seien es, die eine politische Kultur beförderten, „die das Eigene
       überhöht und Abwehrreflexe gegen das Fremde, Andere, Äußere kultiviert“, so
       die Studienautoren. Um „Ruhe und Ordnung“ zu schaffen, würden Probleme
       ausgeblendet und rechte Gewalttaten relativiert. Klare Worte blieben aus.
       Die Forscher sprechen von einer „Harmoniesehnsucht“. Selbst einige linke
       Parteien in Sachsen würden Gruppen, die auf Rechtsextremismus hinwiesen,
       als „Nestbeschmutzer“ angehen.
       
       „Besonders ernüchternd“ seien die Erfahrungen in Freital gewesen, heißt es.
       Die seit 16 Jahren von der CDU geführte Stadt machte 2015 mit einer ganzen
       Reihe an Übergriffen auf Flüchtlinge und linke Politiker auf sich
       aufmerksam. Eine lokale Gruppe steht heute unter Terrorvorwurf vor Gericht.
       Jegliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus sei in der Stadt „von
       vornherein abzuwehren versucht“, Interventionen von außen „grundsätzlich
       mit Argwohn“ begegnet worden.
       
       Für die Autoren ist klar: „Die Lösung liegt vor Ort.“ Ein Umsteuern der
       Politik auf dieser Ebene sei „möglich wie notwendig“. So gebe es etwa in
       Erfurt, ein überparteiliches Bündnis, dass sich klar gegen rechts
       positioniere. Allerdings geben die Forscher auch einen trostlosen Ausblick:
       Viele Ostdeutsche seien „für etwaige politische Gegenmaßnahmen nur sehr
       bedingt, meist überhaupt nicht mehr erreichbar“.
       
       Die Ostbeauftragte Gleicke appellierte, aus der Studie „Schlussfolgerungen
       für die Stärkung der Demokratie und für den aktiven Kampf gegen
       Rechtsextremismus“ zu ziehen. Bereits der jüngste Jahresbericht der
       Bundesregierung warnte, Fremdenfeindlichkeit stelle „eine große Gefahr für
       die gesellschaftliche, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung der Neuen
       Länder dar“.
       
       18 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
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