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       # taz.de -- Zuspitzung im Sudankrieg: Miliz im Blutrausch
       
       > In Darfur hat die RSF-Miliz die Stadt El Fasher erobert. Experten
       > sprechen von Massenmorden, Tausende Menschen sind auf der Flucht.
       
   IMG Bild: Aus einem Video, das auf dem Telegram Account der RSF verbreitet wurde: RSF-Kämpfer in den Straßen von El-Fasher, Darfur, Sudan
       
       Jeeps mit aufmontierten Sturmgewehren sperren Straßen ab. Vor Häusern
       liegen Leichenhaufen, der Sand ist an mehreren Stellen blutrot verfärbt.
       Die [1][Satellitenaufnahmen vom Montag aus der westsudanesischen Stadt El
       Fasher], die Forensikexperten der US-Universität Yale analysiert haben,
       sind eindeutig: „Säuberungen von Haus zu Haus“ begehen die Milizionäre der
       RSF (Rapid Support Forces) im Stadtviertel Daraja Oula, so die Experten.
       Sie sehen gar „Beweise für Massentötungen“. Auch die
       [2][UN-Menschenrechtskommission spricht] von „summarischen Hinrichtungen“,
       also willkürliche Tötungen. Menschenrechtskommissar Volker Türk warnt: „Das
       Risiko weiterer ethnisch motivierter Übergriffe und Gräueltaten in El
       Fasher steigt mit jedem Tag.“
       
       2.000 Menschen hat die RSF in El Fasher getötet, seit sie am Sonntag in die
       Stadt einfiel, die sie bereits seit anderthalb Jahren umstellt und belagert
       hatte. Das erklärten am Dienstag die mit der Regierung verbündeten
       bewaffneten lokalen Widerstandskämpfer, die sogenannten Joint Forces. Sie
       stammen aus früheren Darfur-Rebellengruppen.
       
       Seit Montag kursieren von Experten als authentisch eingestufte [3][Videos
       und Fotos aus El Fasher], offensichtlich von der RSF selbst als
       Siegesbeweis aufgenommen: Gruppen von gefangenen Männern sitzen im Sand vor
       bewaffneten Milizionären, sie flehen um ihr Leben, werden erschossen;
       grinsende Milizionäre spreizen die Finger zu einem V, dem Siegeszeichen.
       
       Mit der Eroberung von El Fasher hat die RSF die letzte Basis der
       sudanesischen Regierungsarmee in Darfur eingenommen und alle fünf
       Provinzhauptstädte der Region. Das ist für die Miliz ein Meilenstein. Im
       April 2023 war die RSF in Sudans Hauptstadt Khartum in den Aufstand gegen
       Sudans Militärregierung getreten, um ihre Integration in die Armee zu
       verhindern. Ihr Anführer Mohamed Hamdan Daglo hat in seiner Heimatstadt
       Nyala in Süd-Darfur eine [4][Gegenregierung für Sudan] gebildet, während
       das Militär aus Port Sudan im Osten Sudans heraus regiert. Umkämpft
       zwischen beiden ist jetzt noch vor allem die zentrale Region Kordofan.
       
       ## Massenmorde
       
       Massenvertreibungen und Massenmorde mit möglicherweise Zehntausenden Toten
       beging die RSF bereits bei ihrer ersten Einnahme einer
       Darfur-Provinzhauptstadt: [5][El Geneina im Mai 2023]. Über eine Million
       Menschen sind seitdem aus Darfur nach Tschad geflohen. In Darfur selbst
       sind nach UN-Angaben rund fünf Millionen Menschen auf der Flucht.
       
       Die Fliehenden wissen, mit wem sie es zu tun haben: Die RSF-Miliz ist die
       Nachfolgeorganisation der Reitermiliz „Janjaweed“, die vor zwanzig Jahren
       im Auftrag der damaligen sudanesischen Militärregierung nicht arabische
       Volksgruppen in Darfur systematisch verjagte und tötete – Sudans damaliger
       Militärherrscher Omar Hassan al-Bashir wird deswegen unter dem Vorwurf des
       Völkermordes vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht, vor wenigen
       Wochen erst wurde ein ehemaliger Janjaweed-Anführer [6][in Den Haag wegen
       Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt]. Darfurs Rebellen, die sich
       damals gegen die Janjaweed wehrten, haben sich gegen die RSF mit der Armee
       verbündet, und ihre Volksgruppen werden für die RSF erneut kollektiv zum
       Feind.
       
       Die RSF-Belagerung von El Fasher, wo sich Hauptquartier der 6.
       Infanteriedivision der sudanesischen Streitkräfte (SAF) befindet, begann im
       April 2024. Vor Kriegsbeginn hatte die Hauptstadt der Provinz Nord-Darfur
       nach UN-Angaben rund 1,1 Millionen Einwohner. Im Krieg suchten
       Hunderttausende von Menschen auf der Flucht vor der RSF Zuflucht in und um
       El Fasher.
       
       Auf zwei Millionen insgesamt schwoll in dieser ersten Kriegsphase die
       Bevölkerung des Großraums El Fasher an – ständig unterversorgt und in
       permanenter Unsicherheit. Weder Armee noch RSF nahmen Rücksicht auf die
       Zivilbevölkerung bei ihrem regelmäßigen gegenseitigen Beschuss. In El
       Fashers größtem Vertriebenenlager Zamzam [7][stellten UN-Experten bereits
       im Sommer 2024 eine Hungersnot fest] – gezieltes Aushungern ist eine
       bewährte Kriegspraxis in Sudan.
       
       ## Hunderttausende vertrieben
       
       Im April 2025 wurde Zamzam von der RSF erobert. Mehrere Hunderttausend
       Menschen mussten erneut fliehen. Je schärfer die Angriffe in den
       Folgemonaten wurden, desto mehr Menschen suchten einen Ausweg. Fast die
       gesamte Vorkriegsbevölkerung hat El Fasher mittlerweile verlassen. 400.000
       Einwohner vermeldete die UN noch im September, 260.000 sollen es heute sein
       – die meisten davon gestrandete Kriegsvertriebene, deren Volksgruppen
       bereits in der Vergangenheit Zielscheibe der RSF-Angriffe geworden sind.
       
       Ein Zielort für Fliehende aus El Fasher ist Tawila, knapp 60 Kilometer
       südwestlich, wo es eine Präsenz internationaler Hilfswerke gibt. Mit
       575.000 Menschen war Tawila bereits im September zum faktisch größten Ort
       der Region geworden, inzwischen schätzen Helfer die Einwohnerzahl auf
       800.000.
       
       „Wir hoffen auf medizinische Behandlung und Essen. Wir haben keine Spur
       eines Krankenhauses oder von humanitären Ausgabestellen für Essen gefunden,
       was uns zuvor versprochen wurde. Jetzt sitzen wir hier unter der Sonne“,
       berichtet Haram al-Nour [8][in einem Video des lokalen Emergency Response
       Room von Tawaila] – eine der unlängst mit dem Alternativen Nobelpreis
       ausgezeichneten zivilgesellschaftlichen Basisgruppen, die überall in Sudan
       die Selbstorganisation der Bevölkerung gegen die Warlords organisieren.
       
       Hilal Youssef begleitet offenbar seinen herzkranken Vater: „Wir sind Gott
       sei Dank heute im Morgengrauen an diesem Platz angekommen, wir danken Gott
       für unsere sichere Ankunft. Mein Vater hat einen Katheter, um ihn trotz
       Herzproblemen am Leben zu erhalten. Wir können nicht schlafen in der Nacht,
       weil es so kalt ist und alle hier haben Schmerzen und schreien, auch in der
       Nacht verstummen sie nicht.“
       
       ## Überlaufene Klinik
       
       Der Zustrom nach Tawila sei „massiv“, berichtete am Dienstag Sylvain
       Penicaud, der Teamchef des Hilfswerks Ärzte ohne Grenzen in Tawila. „Unsere
       Klinik ist überlaufen“, erzählt er in einer Audiobotschaft, die der taz
       vorliegt. Der erste große Andrang aus El Fasher nach Tawila habe bereits am
       18. Oktober eingesetzt – offenbar war den Leuten da schon klar, dass der
       RSF-Sturm bevorsteht.
       
       Jetzt seien erneut 1.000 Menschen angekommen, „viele in einem Zustand
       großer Schwäche, unterernährt und dehydriert und viele mit Verletzungen
       aufgrund von Gewalt“. Von 165 eingetroffenen Kindern unter fünf Jahre alt
       seien drei Viertel akut unterernährt „und über ein Viertel in sehr ernstem
       Zustand“. Es sei zu befürchten, dass in den kommenden Tagen noch viel mehr
       kommen, sofern sie überhaupt die 60 Kilometer aus El Fasher schaffen.
       
       Denn nur wenige Menschen können El Fasher verlassen. Die RSF hat ihre
       Eroberung der Stadt in aller Ruhe vorbereitet. Im August begann die Miliz
       mit der Aufschichtung von Erdwällen rund um El Fasher und das angrenzende
       Vertriebenenlager Abu Shouk. Ende September [9][berichteten die Analysten
       der Universität Yale,] der mittlerweile 68 Kilometer lange Erdwallring rund
       um El Fasher sei auf Satellitenaufnahmen nahezu komplett. An einigen
       wenigen Checkpoints kontrolliere die Miliz alles und jeden, der in die
       Stadt hinein oder aus ihr hinaus will.
       
       Vergeblich forderte die internationale Staatengemeinschaft freien Zugang
       für humanitäre Hilfe und ein Ende der Belagerung. Das sogenannte „Quad“ aus
       Ägypten, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA,
       das sich um Vermittlung in Sudan bemüht, verlangte am 12. September in
       einer [10][gemeinsamen Erklärung] der vier Außenminister eine dreimonatige
       Feuerpause, als ersten Schritt zum Einstieg in einen Friedensprozess. Der
       Appell verhallte ungehört. Am 19. September tötete ein RSF-Drohnenangriff
       auf die Safiya-Moschee in El Fasher 78 Menschen.
       
       ## Wer sich um Frieden bemüht
       
       Die internationalen Friedensbemühungen gehen weiter – aktuell befindet sich
       ein Teil der RSF-Führung in den USA zu indirekten Gesprächen. Aber Ägypten
       und Saudi-Arabien sind mit Sudans Militärregierung verbündet, die Emirate
       mit der RSF, und beide Kriegsparteien setzen auf eine militärische Lösung.
       Über Dubai in den Emiraten wickelt die RSF ihren Goldhandel ab, mit dem sie
       ihre Waffenkäufe finanziert, neuerdings vor allem Drohnen. Drohnenangriffe
       auf zivile Ziele in El Fasher haben im September und Oktober zugenommen.
       
       „Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Vertriebenenlager in El Fasher
       wurden in den vergangenen Wochen wiederholt getroffen“, [11][vermeldete das
       Hilfswerk Save the Children] am 22. Oktober und zählte 115 Tote in sechs
       Angriffen, darunter 17 Kinder beim Beschuss des Vertriebenenlagers Dar
       al-Arqam: „Etwa 130.000 Kinder sitzen in El Fasher in der Falle.“ Wenige
       Tage später schnappte die Falle zu.
       
       [12][Die Onlineteitung Sudans Post hat die Eroberung von El Fasher
       rekonstruiert]. RSF-Einheiten stürmten das Hauptquartier der 6.
       Armeedivision aus drei Richtungen am Sonntag kurz vor Sonnenaufgang. Es
       entwickelten sich heftige Gefechte in mehreren Stadtteilen, am Abend wurde
       Divisionskommandeur Generalmajor Mohamed Ahmed Khedr getötet. „Die gesamte
       Führungsebene wurde ausgelöscht“, zitiert das Medium eine Militärquelle. In
       der Nacht flohen die verbliebenen regierungstreuen Kräfte aus der Stadt,
       nachdem sie auch den Flughafen verloren hatten. Die wichtigsten Kommandeure
       der „Joint Forces“ aus ehemaligen Darfur-Rebellen wurden dem Bericht
       zufolge am frühen Montag bei der Flucht nördlich von El Fasher getötet.
       
       Am späten Montag [13][bestätigte schließlich Sudans Militärherrscher
       Abdelfattah al-Burhan] aus dem fernen Regierungssitz Port Sudan am Roten
       Meer den Rückzug der Armee aus El Fasher, „um die verbleibenden Bürger und
       den Rest der Stadt zu schonen“. Die Armee werde aber „jeden Zentimeter
       zurückholen“.
       
       Da zogen schon triumphierende RSF-Milizionäre durch El Fasher und filmten
       ihre eigenen Verbrechen. Getötet wurde unter anderem die ehemalige
       Parlamentsabgeordnete [14][Siham Hassan], eine Politikerin aus Darfur, die
       2016 als jüngste Frau ins sudanesische Parlament gewählt wurde. Nach
       Kriegsausbruch 2023 engagierte sie sich in Basisstrukturen in El Fasher und
       wurde landesweit als mutige zivile Stimme bekannt. „Siham Hassan hätte
       fliehen können, aber sie blieb zurück, um Suppenküchen für
       Vertriebenenfamilien zu leiten“, lautet eine der unzähligen
       Trauerbotschaften. „Solcher Mut angesichts der brutalen Wildheit der
       RSF-Miliz.“
       
       28 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://files-profile.medicine.yale.edu/documents/876b4afc-e1da-495b-ac32-b5098699a371
   DIR [2] https://www.ohchr.org/en/press-releases/2025/10/sudan-appalling-reports-summary-executions-and-other-serious-violations-rsf
   DIR [3] https://x.com/warfareanalysis/status/1982808272861123053
   DIR [4] /Krieg-in-Sudan/!6107799
   DIR [5] /Krieg-in-Sudan-haelt-an/!5932906
   DIR [6] /Internationaler-Strafgerichtshof/!6117711
   DIR [7] /Hoechste-Stufe-erreicht/!6025393
   DIR [8] https://x.com/_MalazEmad/status/1983109658677260710
   DIR [9] https://files-profile.medicine.yale.edu/documents/fa53bffe-06a7-4451-9276-afb784e94706
   DIR [10] https://www.state.gov/releases/office-of-the-spokesperson/2025/09/joint-statement-on-restoring-peace-and-security-in-sudan
   DIR [11] https://www.savethechildren.org/us/about-us/media-and-news/2025-press-releases/sudan-nearly-one-in-six-civillians-killed-were-children
   DIR [12] https://www.sudanspost.com/sudan-army-ex-rebel-command-in-el-fasher-wiped-out-in-citys-fall/
   DIR [13] https://x.com/ClashEdge/status/1982892576895316442
   DIR [14] https://x.com/ajplus/status/1982898673274028382
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
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