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       # taz.de -- Superreiche und Armut: Begünstigte und Geschädigte
       
       > Die renommierten Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman haben einen
       > Plan gegen die soziale Ungleichheit.
       
   IMG Bild: Reichtum von oben gesehen
       
       Steuerpolitik ist technisch und kompliziert. Sie führt im politischen
       Diskurs ein Schattendasein. Dabei sind Steuern ein zentraler Hebel, der das
       Maß gesellschaftlicher Gleichheit bestimmt, der Haushalt ist das
       Königsrecht des Parlaments. Dass Steuerpolitik trotzdem selten im Zentrum
       politischen Streits steht, ist auch ein Effekt der Globalisierung. Staaten
       stehen den raffinierten Tricks, mit denen globale Konzerne wie Google und
       Facebook Steuern vermeiden, ratlos gegenüber. Der Ruf nach gerechten
       Steuern klingt eher wie ein Stoßseufzer.
       
       In keinem westlichen Land hat sich die Steuerpolitik so radikal verändert
       wie in den USA. Nach Roosevelts New Deal wurden Reiche massiv zur Kasse
       gebeten. 1942 verkündete Roosevelt, dass kein US-Bürger mehr als 25.000
       Dollar im Jahr (was heute 1 Million Dollar entsprechen würde) verdienen
       sollte. Das wäre heute noch nicht mal in der Linkspartei konsensfähig. Die
       Vermögensteuer lag in den USA von den 1930ern bis in die frühen 80er Jahre
       bei 70 Prozent.
       
       Im Kernland des Kapitalismus war der Staat über Jahrzehnte, auch zu Zeiten
       von Eisenhower und Nixon, eine Maschine, die Reichtum energisch von oben
       nach unten umverteilte. Reagan, Clinton und vor allem Trump haben dieses
       System in sein Gegenteil verkehrt. Die Superreichen zahlen 2020, so die
       Erkenntnis der Wirtschaftswissenschaftler Emmanuel Saez und Gabriel Zucman,
       prozentual weniger Steuern als die Armen.
       
       Die Superreichen, die obersten 0,001 Prozent, führen dank Steuersenkungen
       und einer florierenden Steuervermeidungsindustrie nur rund 20 Prozent ihrer
       Einnahmen ab – weniger als Arbeiter. Faktisch ist die progressive Steuer
       damit abgeschafft. Auch deshalb nimmt die Ungleichheit in den USA rasant
       zu. Es kommt zu einem Schneeballeffekt: Reiche sparen mehr. Ihr Vermögen
       wächst, zumal es auch noch geringer besteuert wird als Arbeit.
       
       ## Mit Piketty assoziiert
       
       Saez und Zucman sind Franzosen, arbeiten in Berkeley und sind mit Thomas
       Piketty assoziiert. „Triumph der Ungerechtigkeit“ ist ein Sachbuch im
       erfreulich klassischen Sinn: Es fußt auf eigenen Forschungen, einer
       Datensammlung, die systematisch aufschlüsselt, welche Gruppe in den USA
       seit 1913 wie viel Steuern gezahlt hat.
       
       Dass in den USA Ungleichheit und Steuergeschenke für die Superreichen ein
       monströses Ausmaß angenommen haben, ist grosso modo (etwa durch Branko
       Milanović’ Studie „Globale Ungleichheit“) bekannt. Aber Saez’ und Zucmans
       Bild der Fiskalpolitik ist präziser und historisch fundiert. So waren weiße
       Plantagenbesitzer in den Südstaaten eine Quelle des zähen Widerstand gegen
       Steuern. Sie fürchteten Geld für ihren Besitz, Sklaven, zahlen zu müssen.
       
       Saez und Zucman sezieren kühl, warum es in den USA so ungemein schwierig
       ist, eine Krankenversicherung für alle zu etablieren. Zum einen ist das
       US-Gesundheitssystem verglichen mit dem deutschen extrem teuer. Zum anderen
       sind die Löhne so kläglich, dass die ärmere untere Hälfte dieses System
       kaum wesentlich mitfinanzieren kann. Das wiederum ist kein Naturereignis,
       sondern Resultat einer Steuerpolitik, die die Superreichen belohnt und das
       Gros jener, die arbeiten, schröpft. Dies weisen Saez und Zucmann schlüssig
       mit einem Gewitter von Daten und Zahlen nach.
       
       Seit Reagan 1980 an die Macht kam, hat sich der Anteil des oberen einen
       Prozent am Vermögen auf 40 Prozent verdoppelt, bei den unteren 90 Prozent
       auf 20 Prozent halbiert. Diese rabiate Umverteilung ist kein
       unvermeidlicher Nebeneffekt der mit der Globalisierung gewachsenen
       Möglichkeit von Konzernen, Gewinne auf die Caymaninseln oder die Bermudas
       zu verschieben. Sie wurde durch Parolen, etwa dass Steuer eine Art Raub
       seien, vorbereitet und von Lobbys durchgesetzt.
       
       ## Yes, we can
       
       Saez und Zucman setzen dagegen eine US-amerikanisch klingende Botschaft:
       Yes, we can. „Wir können Steuerungerechtigkeit beseitigen – und zwar
       sofort.“ Das ist für die USA aus zwei Gründen einleuchtend. Das
       Steuersystem des New Deal wurde systematisch zerstört, aber es ist möglich,
       dieses System wieder zu reparieren.
       
       Und es gibt wirksame Instrumente wie Mindeststeuern, an denen sich die
       Armada von Steueranwälten die Zähne ausbeißen würde. Als gerechten,
       machbaren Steuersatz für Superreiche visiert das Duo 60 Prozent an, dreimal
       so viel wie derzeit. Nur so wird, so die Vermutung, ein funktionsfähiges
       Gesundheitssystem auch für Ärmere machbar sein.
       
       Komplizierter ist die Frage, wie man die globale Steuervermeidung in den
       Griff bekommt. Hier hilft nur eine weltweite Mindeststeuer von 25 Prozent.
       Weil Staaten dies aus Eigeninteresse aber unterlaufen werden, ist dies ein
       langer, vielleicht unmöglicher Weg. Daher schlägt das Duo eine Ergänzung
       vor: eine nationale Ausgleichssteuer. Wenn Apple in Jersey nur 2 Prozent
       Steuern zahlt, kassieren die USA die 23 Prozent Steuern. So lohnt sich
       keine Steuervermeidung mehr.
       
       Auch das umzusetzen ist realpolitisch komplizierter, als es die beiden
       Autoren nahelegen. Allerdings skizzieren sie ein realistisches
       Horrorszenario, das klarmacht, dass nichts zu tun erst recht fatal ist: Die
       globale Steuervermeidung kann angesichts von digitalen Datenströmen und des
       fortwährenden Unterbietungswettbewerbs von Staaten noch viel extremer
       werden.
       
       „Triumph der Ungerechtigkeit“ ist, trotz aller Zahlen, gut lesbar. Wer
       nicht bloß rhetorisch einen renovierten Ordoliberalismus fordert, kommt
       weder um die scharfsinnige Analyse noch um kreative Lösungsideen herum. Der
       aktivistische Optimismus der Autoren mag mitunter etwas schrill klingen.
       Dafür aber spricht ein Argument: Falls wirklich die komplexe Textur der
       Globalisierung ein gerechtes Steuersystem unmöglich macht, warum bekämpfen
       die Superreichen alle Versuche, es herzustellen, dann so energisch?
       
       26 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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