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       # taz.de -- Syrische Geflüchtete in Deutschland: Asylrecht und Ordnungsrufe
       
       > Die Bundesregierung will vorerst nicht nach Syrien abschieben und mahnt
       > zur Besonnenheit in der Debatte um Abschiebungen.
       
   IMG Bild: Erstmal kommt der Weihnachtsmann: Tausende Menschen feiern in Berlin den Sturz des Assad-Regimes
       
       Berlin taz | Während sich in Syrien die Ereignisse überschlagen, übt sich
       die Bundesregierung vor allem in einem: Abwarten. Der Sturz der
       Assad-Diktatur sei zwar eine gute Nachricht für das syrische Volk,
       [1][bekräftigte Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin], aber
       die Lage bleibe unübersichtlich. Die Bundesregierung beobachte vor allem,
       ob die neuen Machthaber den Schutz von Minderheiten gewährleisten würden.
       Es gelte, Recht und Ordnung im Land wiederherzustellen.
       
       Wegen der unübersichtlichen Situation will das Bundesministerium für
       Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Entscheidung über Asylanträge
       syrischer Staatsbürger*innen vorerst aussetzen. Die ungewisse Lage
       hinderte Unionspolitiker*innen jedoch nicht daran, über
       Rückkehrmöglichkeiten zu spekulieren. CSU-Chef Markus Söder sagte am
       Montag, man müsse jetzt eruieren, wann und wie Flüchtlinge zurückkehren
       könnten. Jens Spahn, Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, forderte
       Anreize für die Rückkehr: „Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt:
       Jeder, der zurück will nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der
       bekommt ein Startgeld von 1.000 Euro.“
       
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte diese Spekulationen unseriös. Es
       sei richtig, dass das Bamf in der unübersichtlichen Lage einen
       Entscheidungsstopp für die laufenden Asylverfahren verhängt habe.
       [2][Ungefähr 47.000 Anträge werden damit zunächst nicht weiterbearbeitet.]
       Amnesty International kritisierte die Maßnahme: „Schutzsuchende dürfen
       nicht mit Unsicherheit und Perspektivlosigkeit alleingelassen werden“
       
       Der Linken-Vorsitzende Jan van Aken kritisierte die Diskussion über
       Rückkehrmaßnahmen mit deutlichen Worten: „Alle, die jetzt anfangen, über
       Abschiebungen nach Syrien zu reden, sind einfach nur verkommene
       Drecksäcke.“ Ebenso äußerten Teile der Grünen scharfe Kritik an den
       Forderungen aus der Union: „Damit wird der gesellschaftliche Zusammenhalt
       zerstört und die Menschen werden in Unsicherheit gedrängt“, sagt etwa der
       Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke.
       
       ## Die Situation in Syrien ist unübersichtlich
       
       [3][Allerdings ist der Umgang mit dem Thema in der Partei nicht ganz
       einheitlich]. Grünen-Chefin Franziska Brantner formulierte vorsichtiger:
       „Die Situation ist unübersichtlich und man beobachtet jetzt entsprechend,
       um über die nächsten Schritte zu entscheiden“, sagte sie, versehen mit dem
       „Hinweis an den Kollegen Spahn, dass es noch Kampfhandlungen im Land gibt“.
       Offensichtlich ein Versuch, eine harte Auseinandersetzung zum Thema zu
       umgehen und die Migrationspolitik nicht zum dominierenden Wahlkampfthema zu
       machen. Schon vor dem Parteitag im November war innerhalb der Grünen
       umstritten, ob man Abschiebungen nach Syrien explizit ablehnen soll. Als
       Kompromiss stand am Ende die Formulierung, dass sich „Abschiebungen in
       Kriegs- und Krisengebiete verbieten“ würden.
       
       Nach Auskunft des Innenministerierums leben knapp eine Million Syrerinnen
       und Syrer in Deutschland (974.136), die Mehrzahl davon genießt einen
       Schutzstatus als Flüchtling. Rund 10.000 von ihnen sind ausreisepflichtig,
       wobei 8.960 davon über eine Duldung verfügen. Unmittelbar ausreisepflichtig
       sind 1.000 Personen, also 0,1 Prozent aller hier lebenden Syrerinnen und
       Syrer.
       
       Die Bundesregierung erwägt auch, ob und wie der gesellschaftliche Neuanfang
       Syriens mit Mitteln des Entwicklungsministeriums unterstützt werden kann.
       Das hänge davon ab, ob die neuen Herrscher zu ihren Zusagen stehen, dass
       alle Syrer*innen in Frieden und Freiheit und unter Wahrung ihrer Rechte
       in Syrien leben können.
       
       ## Ausreisepflichtig sind 1.000 Syrer:innen
       
       Seit der gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Proteste im Jahr 2011
       durch die Regierung Assad ist die bilaterale Zusammenarbeit mit Syrien
       ausgesetzt. Dennoch habe Deutschland die syrische Bevölkerung in allen
       Landesteilen weiter unterstützt, heißt es aus dem Entwicklungsministerium
       auf Anfrage der taz. „Diese Unterstützung erfolgte ohne Zusammenarbeit mit
       der Assad-Regierung oder anderen De-facto-Autoritäten“ über
       Nichtregierungsorganisationen wie Save the Children oder UN-Hilfswerke.
       
       Allein in diesem Jahr stellt das BMZ demnach rund 124 Millionen Euro
       bereit. Geld, das nach Auskunft des Ministeriums etwa in die
       Wiederherstellung von Trinkwassernetzen in Aleppo fließt oder zur Reparatur
       und Ausstattung von Schulen. In Idlib unterstützt das BMZ den Betrieb von
       Krankenhäusern und Rettungsinfrastruktur.
       
       Insgesamt sind seit Beginn des Bürgerkrieges rund 10 Milliarden Euro in
       die Region geflossen, ein Großteil auch zur Versorgung der Geflüchteten im
       Inland und in den Nachbarländern.
       
       Die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist laut UN-Angaben auf der Flucht,
       allein die Türkei hat rund 3 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen.
       Auch im Libanon und in Jordanien haben viele Syrer*innen Zuflucht
       gefunden.
       
       9 Dec 2024
       
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