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       # taz.de -- Tag der Arbeit in Griechenland: Züge und Schiffe stehen still
       
       > Die konservative Regierung Griechenlands steht in der Kritik,
       > insbesondere bei Arbeitern. Der dortige Sparkurs trifft vor allem
       > Geringverdiener.
       
   IMG Bild: Für mehr Lohn und ein besseres Leben auf den Straßen Athens am 1. Mai 2023
       
       Athen taz | Jannis Papageorgopoulos, Mitte fünfzig, Dreitagebart, steht an
       diesem stark bewölkten 1. Mai auf dem zentralen Athener Verfassungplatz,
       direkt vor der „Boule der Hellenen“, dem griechischen Parlament. Der
       Gewerkschafter lässt kein gutes Haar an der konservativen Regierung unter
       [1][Premier Kyriakos Mitsotakis]. „Die [2][Unzufriedenheit über die
       Regierung] ist groß. Das ist eine Regierung der Großunternehmer, nicht der
       Arbeitnehmer“, sagt er.
       
       So wie er denken viele Griechen. In Athen standen am Montag alle Züge der
       Metro und Elektrobahn still, in ganz Hellas blieben alle Passagierfähren
       und sonstige Schiffe in den Häfen angebunden. Zehntausende Menschen gingen
       auf die Straße, um am Tag der Arbeit für die Rechte der Arbeitnehmer
       einzutreten. Zu den Protesten hatten die beiden Dachgewerkschaften GSEE und
       ADEDY aufgerufen.
       
       „Wir streiken und demonstrieren für die Abschaffung aller
       arbeitsfeindlichen Bestimmungen. Gemeinsam kämpfen wir für einen
       Mindestlohn, der den Bedürfnissen der Arbeitnehmer entspricht, für eine
       freie Gewerkschaftsarbeit ohne Einmischung der Arbeitgeber und für die
       Abschaffung des Gewerkschaftsregisters, das zur staatlichen Kontrolle der
       Gewerkschaften führt. Wir kämpfen gegen unsere Verarmung und Verelendung“,
       erklärte das streikende Athener Metro-Personal zum 1. Mai.
       
       Apropos Mindestlohn: Zum 1. April hob ihn die Regierung Mitsotakis zwar auf
       brutto 10.920 Euro im Jahr an. Netto bleiben davon genau 9.336 Euro übrig.
       Damit kommt man hierzulande kaum über die Runden. Ohnehin sind die
       Lebenshaltungskosten in Athen laut dem Online-Portal numbeo.com fast so
       hoch wie in Berlin. Grundnahrungsmittel wie Milch, Eier sowie Wasser sind
       sogar teurer. Das zehrt an der hiesigen Kaufkraft. In der EU-27 liegt
       Griechenland in puncto Kaufkraft der Privathaushalte auf dem vorletzten
       Platz, nur noch vor Schlusslicht Bulgarien (Stand: 2021). Vor allem
       einkommensschwächere Haushalte leiden unter der hohen Inflation. Sie belief
       sich 2022 im Schnitt auf 9,6 Prozent.
       
       Griechenland ist ein Land der billigen Arbeit. Im Schnitt verdiente ein
       Single ohne Kinder in Griechenland 15.119 Euro netto pro Jahr (Stand:
       2021). Das sind fast 10.000 Euro weniger als im EU-Durchschnitt und
       entspricht dem Gehaltsniveau in Hellas im Jahr 2004. Ein Paar mit zwei
       Kinder brachte im Schnitt 33.044 Euro netto nach Hause, so wenig wie 2003
       und gut 20.000 Euro weniger als der EU-Durchschnitt (53.397 Euro).
       
       ## Weniger Lohn, um Staatsschulden zu tilgen
       
       Das liegt an [3][dem rigorosen Sparkurs in Athen] nach dem faktischen
       Staatsbankrott 2010. Stichwort: „intere Abwertung“. Auf Geheiß von Hellas'
       öffentlichen Kreditgebern EU, EZB und IWF wurden die hiesigen Löhne,
       Gehälter und Renten um bis zu 55 Prozent gekürzt. Arbeitnehmerrechte wurden
       zudem ausgehöhlt sowie die meisten Tarifverträge abgeschafft. Ersetzt
       wurden sie durch Firmenvereinbarungen sowie Individualverträge – zum
       Nachteil der Arbeitnehmer. Gegenwärtig existieren im Privatsektor gerade 26
       Tarifverträge. Sie decken nur etwa 25 Prozent der Beschäftigten ab.
       
       Vor den Parlamentswahlen am 21. Mai überbieten sich die Parteien in Sachen
       Wahlversprechen. Premier Mitsotakis verspricht bis 2027 den Anstieg der
       Gehälter auf im Schnitt 1.500 Euro. Sein Herausforderer, Ex-Premier Alexis
       Tsipras von der radikallinken Syriza, will den Mindestlohn auf 12.320 Euro
       pro Jahr anheben und zugleich die ersten 10.000 Euro von der
       Einkommensteuer befreien.
       
       1 May 2023
       
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